Dienstag, Mai 30, 2006

Der Chronist von Fürstenzell

Der Chronist schob den nun leeren Teller zur Seite, schlug das große, in Schweinsleder gebundene Buch auf und zückte seinen Füller. Das Pärchen am Nebentisch des Cafés musterte ihn unverhohlen. Das war er gewohnt. Er hatte sich bewußt gegen einen Laptop und für die traditionelle Ausrüstung entschieden.

Montag 29.05.06
Im Café Gantheimer gibt es wieder Linzer Torte. Heute ist sie besonders gut gelungen. Nicht dass sie sonst nicht schon hervorragend wäre. Aber heute ist sie ein Traum. Die perfekte Kreation. Womit hier festzuhalten bleibt: Die beste Linzer Torte der Weltgeschichte habe ich gerade gegessen.


Der Chronist blickt aus dem Fenster. Er beobachtet.

Heute kommt der Postbote sehr früh vorbei. Er strahlt über das ganze Gesicht.

Am Nachmittag wird er noch die Tischkarten für eine Hochzeit schreiben. Kalligraphie war seine zweite Leidenschaft, und diese brachte ihm auch noch das nötige Geld für Linzer Torte und andere Annehmlichkeiten.

Fluffi rennt den Bürgersteig entlang und zieht seine Leine hinter sich her. Seine zwei kleinen Besitzer laufen johlend hinterher.

Agnes stellt ihm unaufgefordert einen neuen Milchkaffee hin. Er strahlt sie an: "Heute lohnt es sich wieder besonder zu leben".


Der Chronist hätte auch seinen Platz im wunderbaren Dokumentarfilm "Gernstls Reisen - Auf der Suche nach dem Glück" verdient gehabt.

Montag, Mai 29, 2006

Prinzessin Ling trifft einen Freier

Prinzessin Ling versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Sie hatte mit großem Bedauern auf ihre prachtvolle Kleidung verzichtet und sich unauffällig gekleidet - Jeans nach aktueller Mode, flache Schuhe, unauffällige Bluse, und hatte auch ihren umfangreichen Silberschmuck abgelegt. Nur ihre Frisur, zwei lange geflochtene Zöpfe und eine Silberspange mit Sternmotiv im Haar hoben sie von den sonstigen Fahrgästen ab.
Aber das Erlebnis einer S-Bahnfahrt in einer deutschen Großstadt verunsicherte sie sehr. Sie überlegte kurz an der nächsten Station auszusteigen, ihre Träger anzurufen und sich bis zum Lokal tragen zu lassen. Aber so viel hatte sie von Europa schon verstanden um zu wissen dass es ein enormes Aufsehen erregen würde vor dem Szenelokal aus ihrer Sänfte zu entsteigen. Also musste sie durchhalten. Verstohlen ließ sie ihre Blicke schweifen: Anzugträger die Unterlagen studierten, Mütter mit quengelnden Kindern, Jugendliche mit seltsamen gegelten Frisuren, alte Omas mit Stock - so verschiedene Menschen in einem Verkehrsmittel. Eigentlich interessanter als in ihrer Sänfte.
Aber ganz sicher fühlte sie sich immer noch nicht. Tarnung hin oder her - sie zog die Perlenkette mit dem großen Jadeanhänger aus der Handtasche und legte sie um. Dann strich sie mit dem Zeigefinger über den Stein und murmelte eine Beschwörung ihres Ahnen, der diesen Stein vor über 1000 Jahren einem Drachen entrissen hatte um damit einer Prinzessin, und damit ihrer Urahnin, der sie übrigens sehr ähnlich sieht, den Hof zu machen. Sofort fühlte sie sich mutig und der Situation gewachsen.
Jetzt wird sie gleich den jungen Mann treffen den sie bei der Eröffnung der Chinesischen Filmtage kennengelernt hat. Mal sehen welchen Gefahren dieser getrotzt hat um sie zu beeindrucken.

Samstag, Mai 27, 2006

Auf nach Rimini

Natürlich hatte er sich das genau überlegt. Exakt durchgeplant. Durch Computersimulation überprüft. Dabei auch mögliche Varianten durchgespielt. Mit Hilfe der Chaostheorie Überraschungen den Schneid genommen. Was sollte die Frage "wissen Sie was Sie da machen" ?
Er hatte seinen VW-Transporter auf dem Schloßplatz abgestellt, seine im Garten gebaute Intrakontinentalrakete abgeladen und sich darangeschnallt. Gerade ging er mit dem Laptop die letzten Startvorbereitungen durch.
"Gehen Sie von dem Gerät weg" forderten ihn die Polizisten auf. Er mußte Sie nur noch 20 Sekunden hinhalten, der Countdown lief bereits. Das Ferienquartier in Rimini war gebucht, die Zielkoordinaten auf dem Strand nahe seiner Lieblingsbar eingegeben - und dank seiner Selbstbaurakete blieb ihm endlich die ewige Autofahrt erspart.
Zündung. Die Polizisten rannten davon und duckten sich hinter einer Parkbank. Langsam hob die Rakete ab.

Lundi wird mit der Realität konfrontiert

Nachdem mein Blog über ein halbes Jahr friedlich und ungestört prosperieren konnte, tauchen die ersten nichtsagenden (wenigstens vom Inhalt nicht fragwürdigen) Kommentare mit Links auf.
This is the end of Unschuld (frei nach you have to win Zweikampf von den Sportfreunden Stiller), ich habe daher die Wortbestätigung aktiviert...

Freitag, Mai 26, 2006

Mohnstriezel

Die Auswahl war gross. Zu gross. Florentiner. Apfeltaschen. Rosinenschnecken. Nußecken. Puddingbrezeln. Erich Lotzing ließ seinen Blick die Glastheke entlanggleiten - erst die oberste Etage, dann die darunter. Und da war er: Schlesischer Mohnstrudel !
Das Herz begann zu rasen. Er bestellte ein Stück - "bitte nicht einpacken" - und begann auf das köstlichst duftende Gebäck mit seinem inzwischen fast ausgestorbenen schlesischen Dialekt einzureden.
"Was machen Sie da" fragte die Verkäuferin den sehr rüstig wirkeden elegant gekleideten älteren Herren interessiert. "Ich beschwöre den guten Geist der Mohnstriezel, um mit ihm nochmal die gute alte Zeit aufleben zu lassen, aber es gelingt einfach nicht." Und auf den fragenden Blick der Verkäuferin hin ergänzte Herr Lotzing "vor der Flucht - da war ich sieben Jahre alt - habe ich mir immer ein Stück Mohnstriezel aus der Bäckerei geholt und mit dem Geist alles wichtige besprochen".
Die Verkäuferin war in diesem lebenswerten Stadtteil exzentrische Kunden gewöhnt und versuchte zu helfen: "Das ist Mohnstrudel nach schlesischem Rezept, aber in Baden-Württemberg von einem urschwäbischen Bäcker hergestellt. Fahren Sie doch mal nach Polen und beschwören einen echten Mohnstriezel !". "Nach Polen ?" Die Gesichtszüge von Herrn Lotzing verhärteten.
"Ja ! Das ist jetzt EU, also ganz einfach zu machen. Die Polen sind nett und hilfsbereit, es gibt auch Städtereisen zu buchen".
"Und Sie meinen da gelingt es mir den Geist der Mohnstriezel wieder zu finden ?"
"Ja" erwiderte die Verkäuferin und fügte in Gedanken hinzu: "Und Ihre Kindheit wird für Sie dort auch ohne den Geist wieder lebendig werden."

Donnerstag, Mai 25, 2006

Kluntje-Auftürmen is coming home

Auf diesen Termin hat das ganze Dorf schon lange hingefiebert: Der offizielle Kluntje-Auftürm-Worldcup 2006 findet bei ihnen statt, im Heimatort dieses anspruchsvollen Sports, der Schnelligkeit, Geschicklichkeit und schnelle Auffassungsgabe vereint.
Auch ohne einen Blick in die Annalen weiß man noch genau wo und wann diese Sportart erfunden wurde: Am 20. November 1954 in einer ungemütlichen, nasskalten Nacht bei Bauer Piet in der Stube bei dampfenden, wohlriechendem Tee am Kachelofen. Aus den Kluntje einen Turm zu bauen, dabei aber immer nur ein Stück auf ein anderes zu legen, und in 10 Sekunden möglichst hoch hinaus zu kommen - eine wahre Herausforderung.
Der Sport hat sich erstaunlicherweise nie außerhalb des Dorfes halten können. Nichtsdestotrotz hat Metzgermeister Jan die Bürgermeisterwahl 1998 mit dem Versprechen gewonnen die Gründung eines Kluntje-Aufturm-Weltverband zu forcieren und auf eine Weltmeisterschaft hinzuarbeiten. Und jetzt war es also soweit: Die erste Kluntje-Auftürm-Weltmeisterschaft findet im Juni 2006 statt.
Der Weltverband hat 500 Mitglieder - fast das ganze Dorf sowie etliche aus der Ortschaft und teils sogar aus Ostfriesland ausgewanderte ehemalige Dorfbewohner. Und bei der Weltmeisterschaft wird es sogar einen ausländischen Teilnehmer geben: Tyärk, den Sohn von Bauer Markolf, der bei seinem Studium in Oldenburg eine Österreicherin kennengelernt hat und nun mit ihr und nach langem Zögern angenommener österreichischer Staatsbürgerschaft im Salzkammergut lebt.
Natürlich wird man im Dorf im Juni auch Fußball schauen und mit der deutschen Mannschaft mitfiebern - aber nur wenn kein Kluntje-Aufturm-Match stattfindet, das an Dramatik und Unterhaltung jedes Fußballspiel in den Schatten stellt.

Papageientaucher sitzt im Wohnzimmer und schaut über die Stadt

Es ist vollbracht ! Wirklich alles aus der alten Wohnung ist in der neuen Bleibe (oder auf dem Sperrmüll) gelandet. Natürlich hat die Wohnung im Moment etwas sehr chaotisches an sich - aber sie ist schon benutzbar.

Nun kann ich im Wohnzimmer sitzen, den Blick über die Dächer der Stadt und auf die Hügel schweifen lassen und mir vorstellen ich säße auf einem Hügel am Meer.

Da sich Arcor für einen Umzug 4 Wochen Zeit ausbedingt bin ich in nächster Zeit noch ohne Internet (und Festnetzanschluß) zuhause. Daher beim Bloggen behindert - ich werde aber mein Bestes tun !

Freitag, Mai 19, 2006

Peter Licht(gestalt) bei König Harald

Kurz vor dem Umzug noch auf einem Seminar gewesen. Gestern Abends im Hotelzimmer noch schnell den Fernseher angeschaltet. Es laufen die letzten 5 Minuten des von Madame Einzelfall so hoch verehrten Herrn Schmidt. Und dieser kündigt einen Gast an: Peter Licht ! Dieser Musiker der uns vor ein paar Jahren den (Insider-) Sommerhit "Sonnendeck" bescherte und nun eine CD und ein Buch mit den Titeln "Wir werden siegen ! Buch / Lieder vom Ende des Kapitalismus" veröffentlicht hat. Und so erscholl in der Sendung von Harald Schmidt das "Lied vom Ende des Kapitalismus" mit der Textzeile "der Kapitalismus, der alte Schlawiner, ist uns lange genug auf der Tasche gelegen". Großartig !
Dafür alleine muss man Harald Schmidt mögen.

Dienstag, Mai 16, 2006

Warum ist der Pazifik nur so groß ?

Gott war müde. Furchtbar müde. Er sehnte sich nach seinem weichen Bett. Vielleicht noch seine aktuelle Bettlektüre in die Hand nehmen, aber nach spätestens einer halben Seite würde er eingeschlafen sein.
Aber er musste noch den letzten Kontinent formen. Er hatte sich in verschiedene Kunsttheorien eingearbeitet, hatte es auch mit Le Corbusier versucht, hielt sich dann aber doch mehr an sein Gefühl.
Langsam fielen ihm die Augen zu. Erde rieselte zwischen seinen Fingern auf die große Wasserfläche auf der noch unbearbeiteten Seite der Kugel und formte winzige Inseln. Gott schreckte auf. Nein, jetzt schaffte er keinen Kontinent mehr, diese große Wasserfläche wird einfach ein riesiges Meer bleiben. Er muss jetzt dringend schlafen, denn der Projektplan für den nächsten Tag war auch sehr voll.
Gott begab sich in sein Badezimmer und wusch sich die Erde von den Händen. Und der Pazifische Ozean blieb entgegen dem göttlichen Projektplan bis auf die unzähligen kleinen Inseln eine leere Fläche.

Montag, Mai 15, 2006

Die grössten Plagen: Umzug bis 22.5.

Es gibt so manche Dinge die man seinen schlimmsten Feinden nicht wünschen sollte: Lepra, Tinnitus, Einkaufen am Samstag Nachmittag oder Umzug. Ich weiss nicht ob mir jemand Umzug gewünscht hat - ich stecke aber gerade mittendrin. Und im Chaos zwischen Kartons und abgebauten Möbeln fehlt dann etwas die Motivation und die Kreativität sich an seinen Blog zu setzen.

Eventuelle Zwischenbeiträge sind nicht ausgeschlossen - ansonsten geht es hoffentlich in etwas über einer Woche in gewohnter Manier weiter.

Freitag, Mai 12, 2006

Parole Potemkin

Wenn man jeden Tag im Büro verbringt um seinen Lebensunterhalt zu verdienen kommt einem diese Tätigkeit normal vor, man denkt selten darüber nach mit was man sich da die Zeit vertreibt. Sehr erfrischend ist es da die Aussensicht einer nicht im "normalen" Arbeitsleben befindlichen Person zu erfahren.
Hier Ausschnitte aus dem Lied "Büro, Büro" aus der neuen CD "Das schöne Leben" von Britta:

Andere spielen Büro, Büro
Projekt-Projekte sowieso
Und sie rennen rum
Und raus kommt doch nur
Smoke on the water, Baby

...

Andere spielen Büro, Büro
Projekt-Projekte sowieso
decken sich mit Arbeit ein
Die es gar nicht gibt
Parole Potemkin, Baby

Donnerstag, Mai 11, 2006

Hauptfriedhof 2 Minuten

U2 Hauptfriedhof 2 Minuten stand auf der Leuchttafel, die man am Bahnsteig montiert hatte. Frau Bertelsacker erstarrte. Sie war zwar schon 75 Jahr alt, aber immer noch sehr rüstig, nur etwas vergeßlich, und freute sich schon sehr auf ihr erstes Urenkelkind das in einer Woche geboren werden sollte. Und jetzt soll sie in 2 Minuten auf den Friedhof ?
Frau Bertelsacker war nicht dumm. Sie hatte zwar nicht studiert, was zu ihrer Zeit für Frauen auch eher unüblich war, hätte aber durchaus die Eignung für ein Jura-Studium gehabt, was sie ihrem mittlerweile verstorbenem Mann, einem Rechtsanwalt, immer wieder eindrucksvoll bewiesen hatte. Ihr war also durchaus klar dass dies eine Anzeige der nächsten U-Bahn war. Aber sie glaubte auch an Zeichen.
U2 Hauptfriedhof 1 Minute. Sie begann zu überlegen ob sie so aus dem Leben scheiden will. Da war noch die Sache mit ihrer alten Freundin Jutta die sie unbedingt ausräumen wollte, sie war schon öfters kurz davor gewesen, hatte im letzten Moment dann aber irgendetwas anderes gesagt. Und ihr Enkel Kevin. Dem war sie solange mit ihrer politischen Meinung auf den Geist gegangen bis der sich geweigert hatte weiter mir ihr zu sprechen. Das war vor 10 Jahre gewesen.
U2 Hauptfriedhof 0 Minuten. Die U-Bahn fährt ein, Türen öffnen sich, Leute steigen ein und aus, und Frau Bertelsacker mustert sie. Ein korrekt gekleideter alter Herr mir Stock, ein Junge mit diesen seltsam heruntergerutschten Hosen und einer Kappe, ein sportlich gekleidete Frau mit dreirädigem Kinderwagen - sie hat aufgehört sich über die neuen Entwicklungen zu wundern und das Alte zu loben, sie fand sie vielmehr spannend und war froh noch soviele Dinge erleben zu können.
U2 Hauptfriedhof 9 Minuten. Die U-Bahn war abgefahren, und Frau Bertelsacker lebte immer noch. Sie betrachtete dieses Erlebnis aber als strenge Warnung, zog ihren Terminkalender aus der Handtasche und notierte in Sütterlinschrift für den nächsten Tag: Jutta besuchen. Kevin anrufen.

Mittwoch, Mai 10, 2006

Lass uns Wolken angeln gehen

Wie jeden Morgen kurz nach Öffnung des Fernsehturms fand sich Herr Pletzka auf der obersten Aussichtsplattform ein. Im goldgelben Licht der aufgehenden Sonne steckte er seine Angel zusammen, bestückte den Haken mit frisch gepflückten Wiesenblumen und warf die Angel aus. Der Himmel sah vielversprechend aus, leichte weiße Schleier waren auf dem blauen Hintergrund zu sehen, aber auch ein paar Schäfchenwolken. Jetzt konnte er wieder in Ruhe seiner Passion nachgehen. Bevor die nächsten Besucher eintreffen muss er schnell wieder seine Ausrüstung zusammenpacken um nicht bei seiner sicherlich nicht gestatteten Beschäftigung ertappt zu werden.
Er liebte diese morgendliche Stille hoch über der Stadt, den weiten Ausblick über das von hier völlig erstarrt wirkende Land, diese Möglichkeit der Meditation und des Begreifens. Bisher war es ihm noch nicht gelungen eine Schäfchenwolke zu angeln. Aber er wusste eines Tages würde er diesen großen Fang machen, der Schäfchenwolke in seinem Garten ein neues Zuhause geben und den großen Traum seines Anglerlebens verwirklicht haben.

Dienstag, Mai 09, 2006

Der Sturz ins Nirvana

So sieht also das große Nichts aus denkt sich der Wassertropfen und klammert sich am Rand des Wasserhahns fest. Gerade ist er erst geboren worden, und schon wird er mit dem Absoluten konfrontiert. Ganz unten ist eine glatte spiegelnde Oberfläche zu sehen, gleißendes Licht zeigt rundherum eine dezent graue Welt. Bei angestrengtem Starren glaubt der Tropfen ein weißes gekreuztes Linienmuster zu erkennen - ist das Ende der Welt eine in graue Rechtecke unterteilte Fläche ?
Er spürt seine Kräfte schwinden, und egal ob die Spezialisten das Adhesion, Oberflächenspannung oder anders nennen würden, er weiß dass er sich nicht mehr lange halten kann, und sein noch ganz junges Leben nach einem kurzen wachen Augenblick wieder zuende gehen wird. Da unten wartet das Nirvana auf ihn, das Auflösen in der Gesamtheit, das Einswerden mit den anderen vormaligen Wassertropfen, die den selben Weg genommen haben wie er. Er saugt nochmal alle Eindrücke dieser fremden Umgebung in sich auf und lässt los.

Montag, Mai 08, 2006

Wann kann ich endlich intellektuelle Sätze bilden und dadurch glänzen ?


Ein typisches Pollesch-Stück, zur Zeit im Stuttgarter Schauspielhaus zu bewundern. Die im gutbürgerlichen Theater üblichen Gewohnheiten werden teils gebrochen - so befindet sich die Bühne neben den Sitzreihen, die Schauspieler spielen teils hinter einer nur etwas durchsichtigen Plastikwand, dann ist das Geschehen auf einer großen Leinwand auf der eigentlichen Bühne zu bewundern, und die Souffleuse läuft immer mit den Schauspielern mit, und wird auch öfters mal angebrüllt ("was sollen immer diese Überleitungen ?" oder "Sie dürfen mir nicht helfen").
Ansonsten die üblichen etwas schwer verständlichen Texte, ab und zu schreiende Schauspieler, absurde und komische Zwischeneinlagen - aber zwischendrin ist ein tieferer Sinn zu entdecken. Und die Schauspieler machen das Stück zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Nikki Sudden

In einem kürzlichen Beitrag habe ich mich an das Nikki Sudden - Universum erinnert, an ein Konzert von Nikki Sudden das ich Ende 2005 besucht habe - und an seinen Bruder Epic Soundtrack, der vor 9 Jahren gestorben ist. Erst jetzt habe ich erfahren dass Nikki Sudden neun Tage nach meinem Beitrag im Alter von 49 Jahren in New York gestorben ist.
Ein schönes Nachruf ist u.a. in der Spex zu finden.

Freitag, Mai 05, 2006

Wenn Buchstaben schreien könnten

Der Regisseur Thomas Polpe saß lässig im Straßencafé, das Moleskin-Notizbuch auf das rechte Bein gelegt, welches er am gegenüber stehenden Stuhl abstützte. Das Seidenhemd tief aufgeknöpft schob er die Sonnenbrille ins Haar - er hatte das Gefühl mit Sonnenbrille erkannte ihn niemand. Er nahm einen Schluck aus seinem Milchkaffee - er hatte genug Stil um nicht etwa Latte Macchiato zu bestellen und lächelte die Frau am Nebentisch an, die ihn eher an eine überdekorierte Schaufensterpuppe erinnerte - aber er hatte ja einen Ruf zu bewahren. Er spielte mit seinem Stift und sinnierte über seine Arbeit.
Wenn er sich eine Szene überlegte, diese niederschrieb und wieder durchlas, dann klang das so langweilig. Und auch fünf Sätze Regieanweisungen vor einem einzigen gesprochenen Satz konnten das nicht erläutern. Er las die letzten Sätze auf der Seite nochmal durch: "Mein Leben besteht nur aus dem was andere in mir sehen. Ich existiere nur als Ware in einem globalisierten Austausch von Sinnesausdrücken. Wo bleibt da mein Gefühl ? Mein Leben besteht nur als Bilanz von Transaktionen. Wenn ich nicht mehr gehandelt werde bin ich tot. Wer bin überhaupt Ich ?". Irgendwie fade und unverständlich. Er hielt das Moleskin-Buch an sein Ohr. Wenn die Buchstaben die Texte flüstern, schreien, seufzen könnten, dann wär das Schreiben nicht der Tod des Theaters.
Er knallte das Notizbuch auf den Tisch, sprang auf und sprach die Nachbarin am Nebentisch mit in der Satzmitte und am Satzende überschnappender Stimme an: "Mein Leben besteht nur aus dem was andere in mir sehen. Ich existiere nur als Ware in einem globalisierten Austausch von Sinnesausdrücken.". Er beugte sich über ihren Tisch und schrie der sich erschrocken zurücklehnenden Frau mit feuchter Aussprache ins Gesicht: "Wo bleibt da mein Gefühl ?". Daraufhin schüttete er sich ihren Latte Macchiato über den Kopf.
Passanten waren mitten in der Bewegung erstarrt, eine Mutter zog ihr Kind schnell weiter. Thomas Polpe setzte sich ruhig wieder an seinen Platz und atmete durch. Der Text war wunderbar. Wenn Buchstaben schreien könnten würde man das auch beim Lesen verstehen.

Donnerstag, Mai 04, 2006

Nicht das Leben, nur noch das Projekt des Lebens

Ein Tourist auf der Suche nach spektakulären Fotomotiven stößt im Norden von Indien auf ein malerisches Kloster. Es liegt sehr romantisch in einem Tal und ist gut erhalten. Der Tourist füllt fleißig die Speicherkarte seiner Digitalkamera.
Im Inneren des Klosters trifft er einen alten Mönch an. Dieser verkündet ihm der Heilige des ewigen Tals zu sein und ihm seine tiefsten Fragen zu beantworten. "Dann sagen Sie mir, wie bekomme ich Sie hier im Tempelinneren am besten ins Bild ? Und wie kann ich die Glitzereffekte auf dieser goldbestäubten Figur festhalten ?" eröffnet ihm der Tourist seine brennendsten Fragen. Dem Mönch fallen trotz jahrelanger Meditation etwas die Gesichtszüge zusammen, dann faßt er sich aber wieder und ergänzt: "Ich meine Fragen mit andauernder Bedeutung für das Leben". "Wieviel Megapixel braucht man für professionelle Aufnahmen im DIN A 4 Format ?".
Der Mönch bekommt einen Hustenanfall, fängt sich und spricht: "Du bist offensichtlich von der Weisheit weit entfernt und führst ein gänzlich leeres Leben. Hast Du zum Beispiel schon mal etwas von Der Weg ist das Ziel gehört ?". Der Tourist starrt den Mönche mit großen Augen an: "Der Weg ist das Ziel ? Das gilt wohl nur für Bauarbeiter die einen bestimmten Weg aufgraben oder neu teeren sollen und deswegen zu diesem Weg fahren. Alle anderen benutzen diesen Weg nur um an ihr Ziel zu gelangen."
Der Mönch sammelt seine letzten Zen-Reserven und startet einen verzweifeltes letztes Kommandounternehmen: "Das ist gerade der Fehler, nur auf ein fernes Ziel fixiert zu sein und dabei...". "Ziele sind das A und O" fällt ihm der Tourist ins Wort. "Die Weisheit fehlt wohl eher ihnen, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Sie haben ja gar keine Ahnung von Projektmanagement."
Entrüstet weist ihn der Mönch vor die Tür. "Kein Wunder dass die Welt vor die Hunde geht" denkt er sich, "wenn die Menschen nur noch in Management-Kategorien denken und ihr Seelenheil verkümmern lassen. Sie leben nicht mehr ihr Leben, sondern nur noch das Projekt ihres Lebens". Der Tourist ist froh etwas über die fernöstlichen Religionen gelernt zu haben. "Kein Wunder dass die Religionen aussterben, wenn sie nicht die grundlegendsten Projekt-Management Regeln befolgen !"

Dienstag, Mai 02, 2006

Lethargie im Nordatlantik

Dem Kapitän war langweilig. Wieder eine Atlantik-Überquerung. Vergnügungssüchtige Passagiere, jeden Abend Kapitäns-Dinner, belanglose Konversation, von alleinreisenden Frauen zum Tanz aufgefordert werden, die Nacht mit manchen von ihnen verbringen.
Tagsüber auf der Brücke stolzieren, einen Blick auf den Kurs werfen, den ersten Offizier loben. Nichts kann ihn aus seiner Lethargie wecken. Alles ist unbedeutend, die Zeit fliesst dahin ohne dass irgendetwas passiert.
Auch der Anblick von Eisbergen löst bei ihm keine Begeisterung mehr wie bei den Passagieren aus, und der große Eisberg direkt vor dem Schiff lässt ihn auch gleichgültig. Als das Schiff frontal den Eisberg rammt beobachtet er das plötzlich entstehende Getümmel von der Brücke: So wie wenn man aus Langeweile mit einem Stock in einen Ameisenhaufen sticht.
Ein aufmunternder Blick zum ersten Offizier der den Notfallplan ausarbeitet ist alles was von ihm verlangt war. Er steigt die Brücke hinab, krempelt die Hosenbeine hoch und geht über das schon leicht unter Wasser stehende Deck. Das Leben ödet ihn an. Für was lebt man wenn nie etwas von Bedeutung geschieht ? Und als er dann schliesslich im eiskalten Wasser schwimmt denkt er dass ihm Schwimmen schon als Kind zu gleichförmig war.
Die Leiche des Kapitäns sowie der meisten anderen Passagiere wird nie gefunden werden.