Montag, Oktober 30, 2006

Die Kraft der Imagniation

In der S-Bahn fühlt sich Frau Weber immer dann besonders unwohl wenn die Tunnel der Innenstadt kein Ende nehmen wollen. Welch ein Unding die Sicht zu verhindern und die Menschen in den Untergrund zu verbannen !
Allerdings ist sie nicht umsonst Spezialistin für Meditation und Bildfindung. Und so versetzt sie sich in eine schöne Landschaft: Der Zug durchquert herbstliche Wiesen, im Hintergrund Hügel auf denen Bäume das gesamte Farbspektrum zwischen gelb, rot und braun ausgiebig feiern. Sie fühlt sich gleich richtig wohl, kann die Natur fast spüren.
Plötzlich schreckt Frau Weber hoch. Ist sie etwa eingeschlafen ? Ihr Blick schweift nach draußen: Eine wunderbare Landschaft, wie sie eine vor sich gesehen hatte ! Der Blick auf die Anzeige im Waggon: Da ist sie ja viel zu weit gefahren.
Die Imagination hat aber funktioniert: Sie ist da wo sie sich hingeträumt hat.

Uhr bremsen, Zeit gewinnen ?

Der Tag vergeht wieder viel zu langsam. Eine Besprechung zum aktuellen Projekt. Vollgefüllt mit Worthülsen.
Herr Weinbrecher versucht sich vorzustellen er schaue im Fernsehen eine Satire über Projektarbeit, sozusagen Stromberg plus. Das erheitert ihn einige Zeit, zeigt aber auch um so mehr die Sinnlosigkeit der Ganzen. Erst 20 Minuten überstanden. Irgendwie vergeht die Zeit zu langsam.
Er schaut aus dem Fenster. Ein Vogel fliegt vorbei. Sehr langsam - wie in Zeitlupe. Ein schön gefärbtes Blatt bewegt sich im Wind - steht dabei aber fast still.
Herr Weinbrecher stutzt. Kann es sein dass hier die Zeit anders läuft ? Das er in 2 Stunden Außenzeit und zwei Stunden auf seiner Uhr hier mindestens vier Stunden Besprechung durchlebt ? Woran kann das liegen ?
Als begeisterter Leser von Science-Fiction kommen ihm natürlich die richtigen Ideen. Wird in dem Gebäude eine eigene Zeit generiert, um mehr Arbeit in die gleiche Zeit zu bringen ? Ist dass das Geheimnis der hohen Gewinne des Unternehmens ? Und warum er sich nach einem 9-Stunden Tag so furchtbar ausgelaugt vorkommt ?
Und wo könnte das Gerät dazu sein ? Natürlich im Keller.
Berauscht von seinen Gedanken entschuldigt er sich, geht aber nicht zur Toillette sondern fährt mit dem Aufzug in das unterste Kellergeschoß. Ihm ist dort immer schon die riesige Stahltür aufgefallen. Ein elektronisches Codeschloß an der Wand, daneben ein Feuermelder.
"Gewußt wie" denkt sich Herr Weinbrecher und betätigt den Feuermelder. Wie gehofft entriegelt sich die Tür und unter nervtötendem Alarmsignalen betritt Herr Steinbrecher einen riesigen Saal voller seltsamer Maschinen. Jetzt fühlt er sich wie ein Held seiner Lieblingsromane, der das Böse aufhalten muss. Er läuft durch die Gänge, drückt überall die Notausknöpfe. Eine Maschine nach der anderen schaltet sich mit einem letzten Blinken ab.
Dann läuft er über das Treppenhaus ins Freie und mischt sich unauffällig zwischen die sich wegen des Feueralarms dort allmählich einfindenden Kollegen. Wie ein aufkommender Wind fegt ein Rauschen durch die gleich einer Pinguinkolonie versammelten Menge von Angestellten: Die EDV sei ausgefallen, vielleicht wichtige Daten verloren, das Unternehmen gefährdet.
Herr Weinbrecher nimmt das nicht wahr, er fragt sich ob er jetzt die Angestellten vor der bösen Macht gerettet hat und ob die Besprechung bei ihrer Fortsetzung wirklich in Normalzeit verläuft.

Donnerstag, Oktober 26, 2006

Es fährt ein Bus nach...

Montag vormittag im Bus der aus der östlichen Innenstadt Richtung Stadtmitte fährt. Eine Mischung aus Passagieren auf dem Weg zur Arbeit, frühen Einkäufern, späten Schülern. Die Fahrgäste starren vor sich hin, lehnen zusammengekauert am Fenster um sich noch ein paar Minuten Schlaf zu erobern, führen sich die neuesten Klingeltöne vor.
Plötzlich die Durchsage des Busfahrers: "Wie wäre es wenn wir woanders hin fahren ? Hamburg, Paris, Wien, Nizza..."
Teilweise ein langsames Kopfheben, Tuscheln, insgesamt aber keine merkliche Reaktion.
Der Busfahrer bremst, steht auf und ruft in den Bus: "Wer ist für Hamburg ? Wer ist für Paris ?". Zwei Schüler melden sich mit unterdrücktem Kichern, etliche Fahrgäste starren aus dem Fenster, manche schütteln den Kopf und schauen ihren Sitznachbarn vielsagend an. Ein Mann im Anzug ruft: "Fahren Sie endlich, ich habe einen Termin !"
Der Busfahrer dreht sich wieder um, setzt sich und startet den Bus. Ein Bus voller abgestumpfter Fahrgäste. Ein Bus ohne Hoffnung und Freude. Wohin soll er jetzt fahren ? Zur nächsten Haltestelle ? Oder soll er diesen verlorenen Menschen etwas gutes tun ? Er würde jetzt gerne nach Nizza.

Mittwoch, Oktober 25, 2006

Wer schenkt uns den Morgenhimmel

An diesem Morgen erwachte Kiriakos Loupetis in besonders guter Stimmung. Er wußte sogleich, heute nacht hat er ein besonders eindrucksvolles Kunstwerk geschaffen, vergänglich wie alle anderen Kreationen seines Œuvres. Im Moment war aber noch nichts davon zu sehen. Er frühstückte mit seiner Frau die nichts von seinen schlafend vollbrachten Meisterleistungen ahnte, und machte sich auf den Weg in die Arbeit.
Als eine halbe Stunde später langsam die Sonne aufging bestätigte ihn der Blick aus dem Fenster. Die mit weichem Schwung auf die Himmelsleinwand gemalten Wolken leuchteten hellrot im frühen Morgenlicht. Eine Mischung aus Wellen, Watte, Schaum und geometrischen Verwerfungen. Und natürlich kein starres Gemälde, sondern alles in Bewegung, in stetiger Änderung.
Während er sich einen Kaffee vom Automaten holte dachte er darüber nach dass heute sicher wieder viele Leute bewundernd auf den Himmel schauen werden. Und auf so verrückte Dinge kommen wie dass dies ein meteorologisches, physikalisches Phänomen sei. Dabei liegt es auf der Hand sagte er sich, dass dies nur von Göttern geschaffen werden kann. Und in dieser künstlerisch herausragenden Gestaltung nur von griechischen Göttern. Auch wenn diese nicht mehr alle im Olymp zusammengepfercht wohnen sondern über die ganze Welt verteilt sind.
In seiner Rolle als Gestalter des Morgenhimmels fühlte er sich richtig wohl. Aber er hätte nur mal gerne andere Götter kennengelernt. Georgius Tsiliakas, den freundlichen Mann hinter der Theke des Tabak- und Zeitschriftenkiosks hatte er schon länger in Verdacht. Vielleicht sollte er ihn einfach mal auf einen Kaffee einladen.
Zufrieden kehrte er an seinen Schreibtisch zurück. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen dass man anderen Menschen eine Freude macht, ihren Morgen verzaubert, ohne irgendetwas dafür zu erwarten.

Dienstag, Oktober 24, 2006

Auf dem Markt eine Portion Glück kaufen

Auf dem kleinen esoterisch angehauchten Markt hat sich eine bunte Gruppe von Anbietern versammelt. Numerologische Lebensberatung, Filztaschen, ein Reki-Institut, Bachblüten-Produkte, Modeschmuck - und ein kleiner Stand mit der Überschrift Glück. Nicht professionell aufgemacht, sondern ein handgeschriebenes Plakat, geschmückt mit bunten Tüchern. Auf dem kleinen Tisch zwei Blumensträuße, altmodische Bilderbücher.
Die meisten Besucher laufen nach einem kurzen Blick weiter: Keine Flyer, keine Bonbons zum Mitnehmen. Keine persönliche Ansprache durch adrettes Standpersonal.
Nur wenige lesen sich das Plakat durch, das dazu auffordert sein Glück durch kleine, schöne Dinge auf die Sprünge zu helfen und bei näherem Interesse die Frau mit dem schwarzen langen Rock und der roten Jacke am Kaffeestand anzusprechen.
Und diejenigen die es machen sind schnell der Meinung dass Marianne Schiltbeck wohl eine der wenigen Aussteller war die ihr Produkt auch überzeugend vorlebt. Völlig entspannt erklärt sie ihre Glücksphilosophie, trinkt dabei immer wieder einen Schluck Milchkaffee und ißt einen Keks. Aber alle Interessenten müssen sich diesmal vertrösten lassen: Sie fühle sich gerade so ausgeglichen, sie wolle sich nicht mit Aufträgen beschäftigen. Sie sollen doch in einer Woche wieder auf dem Markt vorbeikommen.
Dies war ehrlich aus dem Inneren gemeint, aber dennoch die beste Werbung - jeder der so Vertrösteten wird wiederkommen und die Fähigkeiten von Frau Schiltbeck in Anspruch nehmen,

Montag, Oktober 23, 2006

Das Leben am Fluss

Eine sehr belebte Innenstadt. Die Einkäufer mit den großen, vollen Tüten treffen auf die bummelnden Spaziergänger. Überall Restautants und Kneipen vor denen Gäste sitzen, den lauen Herbsttag genießen und die Passanten begutachten. Man spürt die glückliche, städtische Welt von wohlhabenden Bürgern.
Plötzlich ist eine leichte atmospärische Störung zu spüren. Ein verwahrlost aussehender Mann, in Fetzen gekleidet, die bei näherer Betrachtung als Felle zu erkennen sind, mit einem langen, fülligem Bart kommt durch die belebte Strasse gelaufen und ruft: "Wo sind meine Schafe ? Haben Sie meine Schafe gesehen ?".
Die Passanten wenden sich ab, vermeiden den Blickkontakt. Als der Mann sich dem Außenbereich eines etwas nobleren italienischen Lokals nähert springen sofort zwei Kellner herbei, packen ihn an den Armen und ziehen ihn etwas unsanft am Lokal vorbei.
Erschöpft und enttäuscht lehnt sich der Mann an eine Straßenlaterne. Plötzlich wird er von einem Mann mit weißem Trainingsanzug angesprochen. "Können Sie mir helfen ? Ich bin anerkannter Spezialist für Obertongesang und Muschelmeditation, halte in einer Stunde meinen nächsten Kurs. Ich suche immer noch die richtige Verbindung zur Natur. Und Sie sehen mir so aus. Ich bin der Ben".
Der Mann schaut erst etwas sprachlos und erwidert dann: "Angenehm. Volker. Ich suche meine Schafe."
Jetzt ist es an Ben sprachlos zu sein: "Ich habe sofort gespürt dass Sie ein Mann der Natur sind. Aber gleich Schäfer ? Und warum suchen Sie Ihre Schafe in der Fußgängerzone ?"
Volker schmunzelt etwas. "Das ist nicht so wörtlich zu nehmen ! Ich habe keine Tiere. Aber ich suche die über die ich wachen sollte. Die auf die ich die vielen Jahre nicht gut genug aufgepaßt habe. Die ich enttäuscht habe." Dabei trübt sich seine Miene zunehmend ein, das Lächeln verschwindet.
Jetzt ist es an Ben seine professionellen Talente zu versuchen. "Es hilft nicht in die Vergangenheit zu schauen. Das hier und jetzt zählt. Erst völlig Loslassen, und dann neu Sammeln. Zu genießen wagen"
"So erzählen Sie das sicher in Ihren Kursen den konsumgeschädigten, orientierungslosen Städtern. Das müssen Sie bei mir nicht ausprobieren."
Aber Ben ist nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Schließlich ist er von sich überzeugt.
"Kennen Sie diese Stadt ?" fragt er. Und als Volker den Kopf schüttelt meint Ben "Dann habe ich etwas für Sie, kommen Sie mit".
Und während Ben ein paar Stunden später verzweifelt versucht interessierten aber nicht besonders konzentrierten Kursteilnehmern einen Oberton zu entlocken sitzt Volker auf einer Bank auf der Rheinpromenade, blickt über den breiten, stark befahrenen Fluß auf die dort grasende Schafsherde und fühlt dass an dem hier und jetzt wohl etwas dran sein muss. Und dass Ben wirklich etwas vom Leben versteht. Und er freut sich schon ihn später wieder hier am Ufer zu treffen.

Donnerstag, Oktober 19, 2006

Protestäußerung. Floristisch.

Eine enge, malerische Landstraße windet sich durch eine hügelige Landschaft in Cornwall. Oft von einer Hecke begrenzt, teilweise Rhododendron.
Lord Sauterbridge jagt seinen Aston Martin gerne über diese Strecke von seinem kleinen Schlößchen in jahrhundertelangem Familienbesitz zur Anwaltskanzlei in der nahen Kleinstadt. Er läßt sich dort als Inhaber täglich blicken - um den guten Kaffee zu trinken, gepflegt zu plaudern und mit den beiden neuen, hübschen und sehr jungen Büroangestellten zu flirten, die bei seinen doch immer sehr diskreten und eines Lords würdigen Komplimenten leicht erröten.
Die direkte Strecke zur Kanzlei wäre kürzer und schneller, aber Lord Sauterbridge liebt das Autofahren, sein Auto offen durch die Kurven zu zirkeln, die Reifen quietschen zu hören.
Gerade jagt er wieder einen leichten Anstieg auf eine Kuppe hoch. Oben begrenzt links ein alter Wachturm und rechts ein uralter Baum die Straße. Die letzten Tage kam ihm die Durchfahrt immer enger vor, vielleicht sollte er noch mehr ausspannen, oder vielleicht braucht er auch eine Brille. Er visiert die Engstelle an - und legt eine Vollbremsung hin. Der Baum steht mitten auf der Straße.
Ich habe einen Gehirntumor der auf das Sehzentrum drückt denkt sich der Lord bevor er sich selber zur Ordnung ruft. Panik nützt gar nichts. Die Sachlage analysieren. Der Baum hat sich mindestens vier Meter auf die Straße bewegt. Kommt so etwas öfters vor ? Nein. Obwohl...
Plötzlich fallen Lord Saunderbridge wieder die alten Geschichten seines Kindermädchens ein, über seltsame Vorgänge in Dartmoor, Bäume die eine Eisenbahnstrecke blockierten, den Bau eines Schlosses verhinderten.
Ich rase hier wirklich völlig unnötig durch die schöne Natur muß der Lord sich eingestehen. Und wenn ein Baum dagegen einschreitet muß es sehr störend sein.
Er wendet seinen Wagen, um ab jetzt nur noch die direkte Strecke zu fahren. Außerdem beschließt er sein Kindermädchen Miss Hendergrass gleich morgen im Seniorenwohnsitz in Torquay zu besuchen.
Als er in der Kanzlei angekommen von seinem Erlebnis berichtet verrät natürlich keiner der Zuhörer was er wirklich denkt. Und seine beiden neuen Angestellten hoffen daß die von ihnen soeben bei ihrem Chef entdeckte Exzentrik und Verschrobenheit zusammen mit seinem Charme die Arbeit in der Kanzlei noch interessanter und angenehmer macht.

Mittwoch, Oktober 18, 2006

Nicht suchen, gefunden werden

Die Schuhverkäuferin Frau Li stürmt auf die Kundin im Kaufhaus zu. "Kann ich Ihnen behilflich sein ? Suchen sie etwas bestimmtes ?".
Die Kundin, Frau Berger, eine Mitdreissigerin in schickem Bürooutfit, fühlt sich völlig überrumpelt. Sie hat sich inzwischen so daran gewöhnt in Kaufhäusern das Personal nur mühsam aufstöbern zu können, dass sie fast ins Stottern gerät.
"Ich schaue mich nur so um..."
"Gerne. Mehr Büroschuhe, Freizeit ?"
"Büro" stößt Frau Berger völlig überrumpelt hervor. Warum eigentlich nicht Freizeit ? Und warum ist sie nicht zu den Hosen gegangen ?
Ein prüfender Blick von Frau Li nach unten. "Größe 36 ?" Frau Berger nickt nur.
Die Verkäuferin eilt davon. Frau Berger stößt einen Seufzer aus. Eigentlich wollte sie nach der Arbeit nur mal entspannen, und das kann sie nun mal am besten beim ungestörten Shoppen - auch wenn sie dann meistens gar nichts kauft. In der Ferne sieht sie Frau Li langsam ein Schuhregal entlang gehen und dabei das Ohr an die Schuhe halten. Vorsichtig nähert sie sich um eine Regalreihe. Da sieht sie dass die Verkäuferin auch redet, über die Schuhe streicht. Fasziniert schaut sie zu, wendet sich dann aber doch ab und schlendert durch die Regale, kann sich aber wie immer nicht auf die Ware konzentrieren. Die Gänge zwischen den verlockend dargebotenen Kleidungsstücken sind ihre Kreuzgänge kommt ihr in den Sinn, ihr Klostergarten.
Am Ende der Regalreihe steht plötzlich wieder Frau Li vor ihr, und passt als asiatischer Mönch in ihren Tagtraum.
"Ich habe die perfekten Schuhe für Sie gefunden. Probieren Sie doch mal !"
Frau Berger purzelt in das Jetzt zurück und will erst spontan ablehnen. Aber die Schuhe sehen wirklich toll aus. Hat sie nicht solche Schuhe gesucht ? Nein. Aber hätte sie nicht gerne solche Schuhe gesucht wenn Sie gewusst hätte dass sie genau diese will ? Während sie versucht ihre Gedanken zu ordnen zieht sie die Schuhe an. Sie passen perfekt, sind angenehm. Jetzt nur nicht in den Spiegel schauen...
"Kommen Sie hier her, schauen Sie in den Spiegel. Die Schuhe passen wunderbar zu Ihnen !"
Frau Berger seufzt. Sie sieht es kommen. Die Schuhe passen wirklich in Farbton und Form, sehen anders aus als ihre üblichen Modelle, treffen aber ihren Typ viel besser.
Während Frau Li die neuen Schuhe in einen Karton verpackt frage Frau Berger bewundernd: "Haben Sie geahnt dass diese Schuhe so gut zu mir passen ?"
"Ich bin da nicht sehr begabt" flüstert Frau Li und zwinkert ihrer Kundin verschwörerisch zu. "Ich habe die Schuhe gefragt welches Paar gerne mit ihnen mitgehen will."
Frau Berger nickt und weiß nicht was sie antworten soll. Mit einem vielen Dank geht sie Richtung Kasse.
Am Absatz der Rolltreppe schaut sie sich nochmal um und sieht Frau Li bereits über Winterstiefel gebeugt. Im Abwärtsfahren hebt sie die Einkaufstüte hoch: "Jetz fahren wir erstmal zu mir nach Hause".

Dienstag, Oktober 17, 2006

Kommt ein Stöckchen geflogen

Eine immer wieder beliebte Beschäftigung unter Bloggern ist ja das Stöckchen zuwerfen. Gerade noch das von Frau Samoafex von Wien aus geworfene Stöckchen entdeckt:

Fünf Dinge, die ich nicht habe, aber gerne hätte
1. Mehr Freizeit für die zu vielen Interessen.
2. Ein Häuschen in Südfrankreich.
3. Ein besseres Gedächtnis bezüglich Filmen und Schauspielern.
4. Bessere Kochfähigkeiten.
5. Eine Superkraft nach Wahl.

Fünf Dinge, die ich habe, aber lieber nicht hätte
1. Einen früh läutenden Wecker.
2. Zuviel Kram im Keller.
3. Eine Abneigung gegen Hitze.
4. Ungeduld.
5. Rückenschmerzen.

Fünf Dinge, die ich nicht habe und auch nicht haben möchte
1. Einen i-Pod.
2. Einen Bart.
3. Kopfweh.
4. Auffällige Klingeltöne.
5. Einen Frack.

Drei (anstatt fünf) Gerngelesene, an die das Stöckchen weiterfliegt
1. Markus Quint
2. MKH
3. Madame Einzelfall (deren Blog hoffentlich wieder zum Leben erwacht)
An Ole und andere ward es bereits geworfen (wenn auch noh nicht aufgehoben)

Montag, Oktober 16, 2006

Jeder sucht den Ort seiner Träume

Der Ort seiner Träume. Jeder hat seinen eigenen denkt sich Walter Brimke, als er wie viele andere im morgendlichen Stau steht. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, Nebelschwaden ziehen durch die Stadt, es ist Herbst.
Die Plakatwand vor der Kreuzung. Palmen, blaues Meer, weißer Strand. Gibt es diese Orte überhaupt ? Wer hat sie schon jemals gesehen ? Sind sie nicht eine reine Erfindung der Touristikbranche ?
Er muß aber nur die Fahrer in den Autos um sich beobachten. Sie schauen in Richtung des Plakats, und ihre harte, enttäuschte Miene hellt sich auf, die morgendliche Verbitterung wird durch ein Leuchten unterbrochen, teilweise bricht sogar ein Lächeln hervor, ein träumerisches Gefühl streift den Gesichtsausdruck bis die Ampel grün wird und der Hintermann hektisch hupt.
Der Ort der Träume von Walter Brimke sieht ganz anders aus. Ein russisches Dorf mit schiefen Häusern. Überdimensionale Blumensträusse, freundliche Kühe, langgestreckte Liebespaare. Musikanten und Artisten. Ein Geiger im Baum, ein Mond. Der Hahn darf nicht fehlen. Und dies in einer ungewöhnlichen Farbenpracht.
Natürlich weiß er dass er nicht nach Wittebsk fahren sollte um diesen Ort zu suchen. Und auch nicht nach Saint Paul. Sondern hier bleiben. Und er wird dann gar nicht aussehen wie von Chagall gemalt. Sondern wie von Brimke gestaltet.
Eigentlich gar nicht so schwierig. Er müsste nur Zeit dafür haben. Die nächste Ampel zeigt Rot.

Freitag, Oktober 13, 2006

Alle fahren im Kreis, dem Ziel entgegen

Eine Sitzbank an der Hauptverkehrsstrasse. Ein Ort wo die Passanten nur schnell vorbeihasten. Verkehrslärm, schlechte Luft, Aussicht auf Blech und Beton. Ein überlaufender Abfalleimer steht daneben.
Herr Bertholdsmeiner ist froh über diese Bank. Seit er sich nach seiner letzten Hüft-OP nur noch schwerfällig bewegen kann, ist er über jede Sitzmöglichkeit glücklich. Etappenziele auf seiner täglichen Tour de France nennt er diese. Und er ist stolz darauf noch selbständig zu wohnen und sich nicht in ein Altersheim begeben zu haben.
Er setzt sich hin, versucht etwas zu entspannen und beobachtet mal wieder fasziniert den Verkehr. In seiner nur wenige Minuten dauernden Pause werden wieder hunderte von Autos an ihm vorbeirasen, drängelnd, hupend. Haben diese Autos wirklich alle ein Ziel ? Nicht nur einen Ort wo sie gerade hinfahren. Und ist alles wirklich so dringlich ?
Er lächelt. So schwer ihm seine angeschlagene Gesundheit das Leben auch macht - er hat gelernt dass er besser lebt und mehr versteht seit dem er zur langsamen Bewegung gezwungen ist.
Er richtet sich langsam auf, nimmt seine Krüken und wirft noch einen Blick auf die Strasse. Wenn die Fahrer einfach mal anhalten würden um Zeit zum Nachdenken zu haben. Da würden Sie sehen dass sie übertragen gesehen immer im Kreis fahren. Herr Bertholdsmeiner zuckt mit den Schultern und schleppt sich langsam weiter. Er hat es auch erst erkannt als es fast zu spät war.

Donnerstag, Oktober 12, 2006

Fernsprechen nur mit Stil

Das Handy von Frau Brugger klingelt. Der durchdringende, fast markerschütternde Klingelton durchschneidet die angenehme gedämpfte Atmosphäre des Cafés. Panisch kramt die weißhaarige Frau in ihrer Handtasche nach dem Unruhestifter. Endlich findet sie ihn, schiebt die Brille hoch und drückt konzentriert die grün markierte Taste.
Dann spricht sie hinein: "Mußt Du so ein Lärm machen, Susanne ?"
"Aber Mama ! Ich wollte Dir sofort erzählen was mir heute passiert ist."
"Warum mußt Du hier hereinplatzen wenn ich beim Kaffeetrinken bin ? So habe ich Dich nicht erzogen. Ich werde das Ding nicht mehr mitnehmen."
"Mutter, ich habe Dir oft erklärt dass das zu Deiner eigenen Sicherheit ist, wenn Du zum Beispiel stürzt..."
"Fangen wir diese Diskussion nicht wieder an ! Übrigens, könntest Du mich bitte mal anrufen ? Ich habe da eine Bitte an Dich."
"Mama ! Wir telefonieren gerade !"
"Ich meine nicht diesen schrecklichen Störenfried benutzen. Ich meine richtig anrufen und miteindander sprechen, mein Kind. Entspannt in meinem Lieblingssessel. Mit einem schönen Telefon. Ich bin so um 17 Uhr zuhause."
"Aber willst Du gar nicht wissen warum ich mich angerufen hast ?"
"Doch, da bin ich sehr gespannt. Also rufe mich bald an und erzähle es mir !"
Damit unterbricht sie das Gespräch mit einem konzentrierten Druck auf die rot markierte Taste und räumt das Handy wieder in die Handtasche. "Kinder" seufzt sie und die Freundinnen nicken wissend und nippen an den Kaffeetassen.

Mittwoch, Oktober 11, 2006

Kunstaustellung in der Hypergalerie

Nick Schäbele schiebt seinen Einkaufswagen durch die Gänge des großen Supermarktes. Staunend blickt er an den Nudelpackungen entlang. Wie soll sich da ein Mensch entscheiden können ? Aber ein sehr ästethischer Anblick, wie ein Mosaik aus verschiedenen Grundsteinen, jeweils ein anderes Material, und dann noch unterschiedlich eingefärbt.
Der nächste lange Gang: Konservendosen. Das ist ein wunderbares Farbenspiel ! Fast schon wie eine auf Farbpunkte reduzierte Blumenwiese.
Einen Gang quer dazu: Haushaltswaren. Eine beeindruckende Skulptur. Was will mir der Künstler mit dieser Ansammlung von Schüsseln und Töpfen in allen Formen und Farben sagen fragt sich Nick.
Die Größe dieser Ausstellung ist schon mehr als super. Die Franzosen haben das richtig erkannt, denkt sich Nick: Hypermarkt heißt so eine unendliche Konsumgalerie bei ihnen. Galerie im Sinne von Kunst überlegt Nick weiter, als er die verschiedenen Schokoladenpackungen auf sich wirken läßt. Und Einkaufspassage heißt auf Französisch ja auch galerie marchande.
Und wie beim Besuch eines Museums beginnt ihm langsam der Kopf zu brummen. Einfach zu viele visuelle Eindrücke. Er schiebt den leeren Einkaufswagen Richtung Ausgang. "Jetzt muß ich aber noch einkaufen gehen" denkt sich Nick als er in sein Auto steigt.

Dienstag, Oktober 10, 2006

Die Linien des Lebens

Stefanie Mertensbacher beschäftigt sich mit vielen Themen die die meisten ihrer männlichen Bekannten als "Eso-Kram" abtun. Und so dosiert sie sehr vorsichtig wieviel sie von dieser Seite preisgibt, und wieviel Welt abseits der reinen Daten ein männliches Wesen vertragen kann.
Gerade sitzt sie mit Ralph Schlomken, den sie bei der Geburtstagsfeier ihrer besten Freundin Manuela kennengelernt hat, in einer Kneipe und fängt vorsichtig an seine spirituelle Offenheit auszutesten.
"Manche behaupten man könne in den Händen die Lebenslinien lesen. Darf ich mal Deine sehen ?"
"Steffi, ich glaube nicht dass die Zukunft vorherbestimmt ist. Aber die Hände verraten dennoch viel."
"Was meinst Du, Ralph ?"
"Man sieht das Leben. An den Lebenslinien sieht man ob es bisher gradlinig war, ob es persönliche Katastrophen, Irrwege gab."
"An den Händen kann man die Vergangenheit ablesen ?"
"Ja. Du mußt beobachten wie sich die Lebenslinien im Laufe des Lebens ändern, wie aus geraden verästelte werden..."
"Ralph, das ist Blödsinn. Die Lebenslinien bleiben gleich. Von Anfang an."
"Steffi, ich bin überzeugt dass es funktioniert. Ich habe es bei meiner Oma gesehen. Und bei Manuela. Die Scheidung hat sich deutlich in den Lebenslinien verewigt."
"Das kann biologisch gar nicht funktioniert ! Ralph, Du bist schon ziemlich abgehoben."
"Steffi, Du enttäuscht mich. Ich habe Dich eigentlich für eine offene Frau gehalten. Es gibt viel jenseits Deines materialistischen Weltbilds zu entdecken."
Steffi schaut Ralph mit großen Augen an. Das ist sonst immer ihr Satz mit dem sie Gespräche wieder zurück auf festen Boden bringt. Obwohl der Abend bisher nicht so besonders verläuft, findet sie Raph immer anziehender.

Montag, Oktober 09, 2006

Ich wäre so gerne kein Individualist

Eva Mandtke sitzt etwas unruhig auf der Sitzbank der S-Bahn und kramt in ihrer braunen Lederhandtasche. Sie holt den kleinen Schminkspiegel hervor, klappt ihn auf und kontrolliert schnell ihr Styling. Lidschatten, Wimperntusche, Lippenstift - alles sitzt perfekt. Die Nase und die Wangen glänzen nicht. Auch das kleine Piercing über der Oberlippe glänzt. Die Haare sitzen perfekt, wie zufällig in die ansprechende Form gefallen.
Die großen Ohrringe pendeln locker. Vielleicht die Kleidung ? Schnelle prüfende Blicke beruhigen sie: Die weiße Hose ist tadellos, das Top sitzt perfekt. Kein übertriebenes Outfit wie für eine Party Freitag Nacht, sondern eher dezent und ansprechend.
Warum schauen sie die anderen Passagiere nur so unverhohlen an ? Sie durchwühlt wieder die Handtasche und findet die kleine Pillendose, holt einen lebenden Wurm heraus und füttert ihn Ludwig, der auf ihrer Schulter sitzenden Echse.
Die Menschen sind schon seltsam denkt sich Eva Mandtke. Da bietet so ein Begleiter schon Sicherheit. Vor allem da er auch Feuer speien kann. Gerade kringeln sich ein paar Rauchwolken aus den Nüstern der Echse.
Dem Kind auf dem Sitz gegenüber fallen fast die Augen aus dem Kopf. Er stottert nur "Der Drache, der Drache...". Seiner neben ihm sitzenden Mutter klappt der Mund auf.
Jetzt endgültig entnervt schreit Eva Mandtke sie an: "Starren Sie mich nicht so an ! Bin ich grün im Gesicht ? Habe ich Lepra ? Warum können Sie mich nicht in Ruhe lassen !"
Die Mutter spring auf, nimmt ihr Kind an der Hand und geht den Gang entlang.
Eva Mandtke seufzt tief und krault Ludwig auf dem Kopf. Sie wird die Menschen nie begreifen. Sie gibt sich alle Mühe ein normales Mitglied der Gesellschaft zu sein. Aber es klappt einfach nicht.

Samstag, Oktober 07, 2006

A oder B: Landschaft oder Stadtleben

Mrs Coldbury tritt auf die Terasse ihres kleinen Häuschens. Ihr Blick schweift über die malerische kleine Bucht, die Steilküste, den weißen Sandstrand, die sorgsam darauf drapiert wirkenden Felsbrocken.
Sie stellt das Tablett auf dem Teakholztisch ab, setzt sich, rückt die Teekanne, die Tasse und das Besteck zurecht, nimmt sich den Teller Weetabix und blickt auf das Meer. Sie kneift die Augen zusammen und blickt auf den Horizont. Heute könnte die französische Küste auf der anderen Seite des Ärmelkanals zu sehen sein.
Aber auch so wird sie von ihren Gästen beneidet: "Ach wenn ich so wohnen könnte. Diese Ruhe. Und dieser Ausblick. Da muß man ja nie mehr in den Urlaub." Und Mrs Coldbury lächelt dazu und streicht das widerspenstige graue Haar hinter das Ohr.
Sie würde gerne nicht so einsam leben. Nachbarn mit denen man sich über den Zaun unterhalten kann. Einkaufen ohne lange Autofahrt. Abends zu Fuß in den Pub. Einfach raus und unter Leuten sein. Und nicht diese bedrückenden Herbstabende wenn der Nebel vom Meer die Felsen emporkriecht und das Haus in undurchdringbarem grauen Tuch umhüllt.
Sie beißt vom Toast ab. Unten auf dem Strand hat sich ein Seehund in Pose geworfen. Ein Schiff zieht nahe dem Horizont über die silberblaue Fläche.
Wahrscheinlich haben ihre Gäste trotz allem recht.

Freitag, Oktober 06, 2006

Zugvogel

Sehnsüchtige Blicke in den Himmel. Wolkenformationen studieren. Warten auf den richtigen Moment. Warten auf die Anderen. Kurz Aufsteigen. Die Thermik spüren.
Das goldene Herbstlicht ist ein Zeichen. Die Kühle der Morgen ebenfalls.
Bald geht es los.
Abschied nehmen. Vertrautes zurücklassen. Ein Abenteuer ruft. Auch Gefahr.
Die letzten Tage genießen. Im Baum sitzen und singen. Die Nervosität überwinden.
Dann aufwachen und spüren: Heute ist der Tag.

Donnerstag, Oktober 05, 2006

Aus dem Impuls handeln, beim Zeus !

Zeus will heute unter Anleitung richtig abschalten. Nach einem Tag mit endlosen Sitzungen in der Olymp AG, einem Interview mit der führenden japanischen Götterzeitung und einer Probeaufführung einer neuartigen Flutwelle schlendert er auf den Wolken entlang, begleitet und angeleitet von seinem persönlichen Fitness-Trainer.
Plötzlich ruft der Coach "Freak out !". Zeus beginnt zu brüllen und herumzuspringen, will einen Blitz schleudern - und bleibt dann etwas verwirrt stehen.
"Nicht nachdenken ! Kopf abschalten und aus dem Gefühl handeln" schaltet sich der Trainer ein.
"Aber wohin soll ich den Blitz schleudern ? Will ich wirklich die Wandergruppe treffen ? Die Kirche ? Das Hochhaus ?"
"Oh je. Da müssen wir langsam anfangen, war wohl ein sehr harter Tag heute."
Nach 30 Minuten verschiedenster Übungen zum Entleeren des Kopfes und zur Aktivierung der inneren Spontanität erschillt plötzlich wieder der Ruf "Freak out !".
Und Zeus folgt unbekannten Impulsen, versenkt erst einen Öltanker, schießt eine Taube aus einem Baumwipfel und fügt einer Kindergartengruppe schwere Verbrennungen zu.
Am nächsten Tag muss sich Zeus schwere Vorwürfe anhören, sein kindisches Verhalten passe nicht in das Bild eines modernen, offenen Unternehmens und würde das gute Verhältnis mit den Kunden beschädigen.
Zeus lehnt sich in seinem Chefsessel zurück, auf den er trotz aller "wir sind alle ein Team"-Rhetorik nicht verzichtet, und blickt in die Runde. "Nichtsdestotrotz bin ich ein Gott. Und damit Schicksal. Das müssen unsere Kunden begreifen."