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Dienstag, November 07, 2006

Global und individuell

Eine Bäckerei an der Strassenecke. Eine ältere Frau bestellt: "Und wie immer ein Stück der hausgemachten Mohntorte, Frau Eberdinger."
Der neben ihr stehende junge Mann im Schlabberlook der frühen neunziger Jahre lacht höhnisch und meint: "Sie meinen die aufgebackene Torte aus der Produktion eines weißrussischen Gebäckfabrikanten !".
"Hier ist alles selbstgemacht. Wir sind eine echte Bäckerei im Familienbesitz. Ohne Filialen." widerspricht die Verkäuferin Frau Eberdinger stolz.
"Das ist ein tolles Werbekonzept. Aber sie benutzen sicher die gleichen Teigrohlinge wie der Schnellbäcker nebenan."
Bevor die indignierte Verkäuferin antworten kann erwidert die Kundin: "Junger Mann, sie haben keine Ahnung. Ich habe diese Torte schon bei Frau Hirmle senior gekauft als es Weißrussland noch gar nicht gab. Und auch noch keinen schrecklichen Plastikbäcker. Jetzt stellen sie sich erstmal vor."
Der junge Mann hat seinen festen Ansichten. Die er zum Teil auch als Buttons auf seinem abgenutzten Parka trägt. Seine Selbstsicherheit hat aber etwas gelitten. "Ich bin Herr Boost, Frau..."
"Frau Brettschneider, angenehm." antwortet die alte Dame mit einem angedeuteten Knicks.
Herr Boost sammelt sich. "Die Bäckerei wäre gar nicht konkurrenzfähig wenn sie die Kuchen noch selber herstellen würde."
Da mischt sich wieder Frau Eberdinger, geborene Hirmle ein. "Jetzt werde ich ihnen ein Geheimnis verraten dass selbst Frau Brettschneider noch nicht kennt: Ich backe extra einen einzelnen Kuchen mit besonders wenig Mohn, da Frau Brettschneider ihren Mohnkuchen so lieber mag. Und den hebe ich ihr auf, schauen sie hier."
Der junge Mann ist beeindruckt, auch wenn er sich mit Mohnkuchen nicht so recht auskennt. Seine kurze Verunsicherung ausnützend gibt Frau Eberdinger ihm auch noch ein pain au chocolat zum Probieren. Widerwillig muß er sich eingestehen dass das wirklich viel besser schmeckt als die labbrigen geschmacklosen Varianten beim Schnellbäcker.
Frau Brettschneider muß sich sehr zusammenreißen wie schon lange nicht mehr und prustet erst an der nächsten Kreuzung laut los. Einen Kuchen extra für sie backen ! Die Jugend läßt sich schnell einen Bären aufbinden. Wo doch jeder weiß dass sie immer einen Kuchen mit extra viel Mohn nehmen würde.
Als Herr Boost mit zwei großen Tüten an ihr vorübereilt schmettert sie ihm außer Puste aber über das ganze Gesicht strahlend ein "guten Appetit" nach. Und Herr Boost ahnt schon dass er auch morgen wieder in der Bäckerei stehen und sich von Frau Eberdinger Gebäck empfehlen lassen wird.

Montag, Oktober 30, 2006

Uhr bremsen, Zeit gewinnen ?

Der Tag vergeht wieder viel zu langsam. Eine Besprechung zum aktuellen Projekt. Vollgefüllt mit Worthülsen.
Herr Weinbrecher versucht sich vorzustellen er schaue im Fernsehen eine Satire über Projektarbeit, sozusagen Stromberg plus. Das erheitert ihn einige Zeit, zeigt aber auch um so mehr die Sinnlosigkeit der Ganzen. Erst 20 Minuten überstanden. Irgendwie vergeht die Zeit zu langsam.
Er schaut aus dem Fenster. Ein Vogel fliegt vorbei. Sehr langsam - wie in Zeitlupe. Ein schön gefärbtes Blatt bewegt sich im Wind - steht dabei aber fast still.
Herr Weinbrecher stutzt. Kann es sein dass hier die Zeit anders läuft ? Das er in 2 Stunden Außenzeit und zwei Stunden auf seiner Uhr hier mindestens vier Stunden Besprechung durchlebt ? Woran kann das liegen ?
Als begeisterter Leser von Science-Fiction kommen ihm natürlich die richtigen Ideen. Wird in dem Gebäude eine eigene Zeit generiert, um mehr Arbeit in die gleiche Zeit zu bringen ? Ist dass das Geheimnis der hohen Gewinne des Unternehmens ? Und warum er sich nach einem 9-Stunden Tag so furchtbar ausgelaugt vorkommt ?
Und wo könnte das Gerät dazu sein ? Natürlich im Keller.
Berauscht von seinen Gedanken entschuldigt er sich, geht aber nicht zur Toillette sondern fährt mit dem Aufzug in das unterste Kellergeschoß. Ihm ist dort immer schon die riesige Stahltür aufgefallen. Ein elektronisches Codeschloß an der Wand, daneben ein Feuermelder.
"Gewußt wie" denkt sich Herr Weinbrecher und betätigt den Feuermelder. Wie gehofft entriegelt sich die Tür und unter nervtötendem Alarmsignalen betritt Herr Steinbrecher einen riesigen Saal voller seltsamer Maschinen. Jetzt fühlt er sich wie ein Held seiner Lieblingsromane, der das Böse aufhalten muss. Er läuft durch die Gänge, drückt überall die Notausknöpfe. Eine Maschine nach der anderen schaltet sich mit einem letzten Blinken ab.
Dann läuft er über das Treppenhaus ins Freie und mischt sich unauffällig zwischen die sich wegen des Feueralarms dort allmählich einfindenden Kollegen. Wie ein aufkommender Wind fegt ein Rauschen durch die gleich einer Pinguinkolonie versammelten Menge von Angestellten: Die EDV sei ausgefallen, vielleicht wichtige Daten verloren, das Unternehmen gefährdet.
Herr Weinbrecher nimmt das nicht wahr, er fragt sich ob er jetzt die Angestellten vor der bösen Macht gerettet hat und ob die Besprechung bei ihrer Fortsetzung wirklich in Normalzeit verläuft.