Freitag, Dezember 22, 2006

Glückselige Pause bis Anfang Januar

Im Buch "Selige Zeiten, brüchige Welt" von Robert Menasse finden sich folgende Zeilen:
Das grenzenlose Glück und der grenzenlose Schmerz entziehen sich jeder Beschreibung. Darum war die Literatur voll von Beschreibungen der Liebe. Weil Menschen, die die Liebe nicht kennen, sie herbeischreiben wollen. Jeder der liebte, ist augenblicklich verstummt.
Die derzeitige Schweigephase dieses Blogs ist damit erklärt. Ich gebe aber der Figur Judith in diesem Roman von Robert Menasse nicht ganz recht. Ab Januar wird ein neuer Anfang gewagt.

Ich wünsche Ihnen/Dir, werter Leser oder werte Leserin, Fröhliche Weihnachten und einen Guten Rutsch ins Jahr 2007.

Donnerstag, Dezember 07, 2006

Our Hopes and Expectations (Muse: Starlight)

Freitag. Er starrt verzaubert in seinen Terminkalender, die aktuelle Woche aufgeschlagen vor sich liegend. Der Termin ist nicht eingetragen, er ist aber in den Lauf der Zeit eingebrannt.
Er blickt auf den Wandkalender. Für Dezember natürlich ein winterlich wirkendes Motiv, Polarlicht über dem Nordkap. Viel stärker scheint ihm aber der wichtigste der einundreissig durchnummerierten Tage zu leuchten, das Zimmer in ein strahlendes Licht zu tauchen, ein direkt spürbares Licht, wie ein Strom kleiner glitzender Perlen.
Aber auch ohne Kalender, auch im Freien spürt er die Zeit die ihn vom fixierten Moment trennt, eine Erwartung in Millisekunden, eine Spannung die ansteigt, eine Sehnsucht die mit der Verkürzung der Wartezeit ins Unermessliche steigt.
Die Hände in den Jackentaschen vergraben schlendert er etwas ziellos durch das Stadtviertel. Obwohl er ein Ziel vor Augen hat. Fühlt sich an wie

Mittwoch, Dezember 06, 2006

Schwarzer Nachtvogel im Advent

Ein typischer Dezemberabend. Ein Gefühl wie in tiefster Nacht, auch wenn es erst am frühen Abend ist. Die Fußgängerzone ist voller Einkäufer, die Fassaden der Kaufhäuser wetteifern im Blinken und Strahlen, in den Schaufenstern buhlen wunderschöne und oft unbenötigte Produkte um die Gunst der Einkäufer. Auf dem großen Platz wird von den Holzbuden erste Weihnachtsstimmung angeregt, viele Menschen schieben sich durch die Gänge der Weihnachtsmarkts oder stehen an den Glühweinständen, einen dampfenden Becher in der Hand.
Auf einem kahlen Baum am Rande der Platzes, von dem hellen Weihnachtsschein nicht erreicht, sitzt ein Mann mit schwarzem Mantel in Hockstellung. Mit den zwei nach hinten fallenden langen Mantelschößen und dem nach oben gereckten Kopf wirkt er aus der Entfernung wie ein riesiger schwarzer Vogel.
Eine Gruppe von Mitarbeitern des Vermessungsamtes, die sich nach der Arbeit am Glühweinstand versammelt haben, entdecken die Gestalt im Baum und beschliessen dies näher zu untersuchen - weniger aus Sorge oder Mitgefühl sondern eher aus Neugier und weil der Gesprächsstoff ausgegangen ist.
Die Gruppe setzt sich in Bewegung, und fünf durch den Glühwein schon leicht erröteten Gesichter blicken wenig später nach oben in die Baumkrone.
"Hallo Sie ! Was machen Sie da im Baum ?" ruft Henning Vatenstat dem Mann zu.
"Ich betrachte den Mond !" erwidert die Gestalt mit einer wohlklingenden Stimme ohne den Kopf der Gruppe zuzuwenden.
Unwillkürlich folgt die Gruppe der Blickrichtung des Mannes und sehen den Mond hell strahlend und tief über der Stadt stehen - bisher hatten sie ihn noch nicht im Blickfeld gehabt.
"Aber warum sitzen Sie im Baum ?" fragt der Wortführer nach.
Die Gestalt wendet nun erstmals den Blick der Gruppe zu und erwidert "Warum sitzen Vögel auf Bäumen ?"
Das Timbre der Stimme läßt Bettina Fleissner, der einzigen Frau in der Gruppe, einen wohligen Schauer den Rücken hinunterlaufen, und sie antwortet auf die rhetorische Frage "damit sie einen guten Überblick haben, nicht überrascht werden können. Und wahrscheinlich kann man so auch besser starten."
Ihre vier Kollegen schauen sie belustigt an, und Anton Illrich, der unfreiwillig in der Abteilung in die Position des Spaßvogels geraten ist, wird mit einem "da hat die Bettina mal wieder gut in der Schule aufgepasst" seiner Rolle gerecht.
Die Gestalt hat ihren Blick wieder dem Mond zugewandt. Bettina Fleissner versucht mit einem "dann sind sie ein Nachtvogel, und fliegen sie im Mondlicht ?" das Gespräch weiterzuführen. Damit bewirkt sie aber keine Reaktion beim Angesprochenen, Anton Illrich schlägt ihr aber jovial auf die Schulter und trompetet begeistert "die Bettina hat einen Witz gemacht ! Unsere Musterschülerin sollte vielleicht öfters Glühwein trinken !". Was Bettina Fleissner mit einem gezwungenen Lächeln quittiert, hatte sie ihre Frage doch ganz ernst gemeint.
Da die Gestalt keine Regung mehr zeigt strebt die Gruppe wieder dem lauten, geschäftigen und leuchtenden Treiben in der Mitte des Platzes zu. Als sich die Kollegen wieder am Glühweinstand sammeln und Richtung Baum schauen ist die Gestalt verschwunden. Nur Bettina Fleissner hält daraufhin im schwarzen Nachthimmel Ausschau nach einem großen Nachtvogel.

Donnerstag, November 30, 2006

Keine Veränderung ohne Bewegung

Das erste was Herr Salzner bemerkte war der in der Kaffeetasse zitternde Kaffee. Genaugenommen sah er nur leichte Schwingungen der Oberfläche. Fasziniert hörte er auf in seinen Computerbildschirm zu starren und schaute dem physikalischen Effekt zu. Dieser wurde immer stärker. Aber erst als der Kaffee sich über den Rand der Tasse auf die Papierstapel auf seinem Schreibtisch ergoß realisierte er dass irgendetwas nicht stimmte.
Die Bücher im Regal kippten, das ganze Gebäude knirschte. Und jetzt spürte er auch das Zittern. Ein Erdbeben ? Es gab aber keine Stösse. Nur diese gleichmäßigen Erschütterungen.
Ein Blick durch das Bürofenster nach draußen: Alles bewegt sich ! Fällt die Welt zusammen ? Es dauerte einige Zeit bis er verstand: Die Welt steht still, die Büroimmobilie ist plötzlich mobil.
Panisch stürzte er in den Gang und rannte in die Putzfrau die gerade die Papierkörbe leerte. "Hilfe das Gebäude fällt zusammen !" rief er der kurz vor der Rente stehenden Frau Cipschka zu.
"Guten Morgen Herr Salzner, sie sind ja ein geborener Schauspieler !" erwiderte die in Katastrophenfilmen sehr bewanderte Frau Cipschka ungerührt während sie das Papier in den große blaue Müllsack schüttete.
"Aber schauen Sie aus dem Fenster ! Das Haus steht nicht mehr am alten Platz !"
"Heute wird doch dieser Arbeitsbereich in das neue Industriegebiet verlagert !" antwortete die Putzfrau kopfschüttelnd. "Wo haben Sie nur wieder ihren Kopf !".
Herr Salzner war es gewohnt dass er bei Frau Cipschka mütterlichen Instinkte weckte. Und Frau Cipschka hatte es sich zur Aufgabe gemacht den sehr sympathischen aber oft etwas lebensuntüchtigen Herrn Salzner etwas auf die Sprünge zu helfen.
Dieser rannte zurück ans Fenster, öffnete es und blickte nach unten. Auf unzähligen kleinen Beinen bewegte sich das Haus einem Tausendfüssler gleich voran. Eindeutig Richtung Industriegebiet.
Er ließ sich auf seinen Bürostuhl sinken. Vielleicht sollte er in Zukunft Emails aus der Zentrale doch Wort für Wort lesen. Und sich nicht mit der ersten Interpretation zufrieden geben.

Dienstag, November 28, 2006

Frösche dürfen weiter hoffen

"Erzähl uns nochmal das Märchen vom Froschkönig" betteln die beiden Enkel im Kindergartenalter, Constantin und Tina, ihren Opa an. Der hatte schon lange aufgegeben mit seinen Augensternen zu diskutieren, holt das abgegriffene Märchenbuch und fängt an vorzulesen. Die beiden hängen an seinen Lippen, dulden keine Abweichung vom vorgegebenen Text.
Horst Mützle hat das Rätsel bisher nicht lösen können warum man Kindern immer wieder die gleichen Geschichten vorlesen muss, die diese besser als der Vorleser kennen und jede kleine Auslassung oder Improvisation hart kritisieren.
Ist ja eigentlich genauso wie in der Kirche denkt er sich diesmal. Immer wortwörtlich die gleichen Bibeltexte. Aber immer mit einer neuen Interpretation. Das wäre doch auch etwas für Märchen.
Laute Protestrufe reissen ihn in die Realität zurück, und er liest mit geübter Stimme das Märchen weiter.
Am Ende des Märchens beginnt Horst Mützle seine neuen Gedanken über das Vorlesen umzusetzen. "In diesem Märchen hat die Prinzessin am Anfang eine behütete Kindheit so wie ihr. Es gibt keine Probleme, keine Gefahren, keine Pflichten. Und ihre schöne goldene Kugel zeigt wie perfekt alles ist."
"So naive Kinder gibt es heutzutage gar nicht mehr" unterbricht Constantin. Tina pflichtet ihm bei. "Und wir haben schon von Anfang an Pflichten, werden im Kindergarten mit der Realität konfrontiert. Wir müssen nicht erst eine symbolisch eine goldene Kugel verlieren."
Der Opa ist sprachlos. "Warum soll ich euch die Geschichte dann immer vorlesen ?"
"Sie ist einfach sooo schön. Ich will auch einen verwunschenen Prinzen treffen" flötet Tina. "So ein Frosch im Schloss, das ist eklig" steuert Constantin begeistert bei.
Horst Mützle seufzt erleichtert. Er wird das Vorlesen nie wieder in Frage stellen.

Montag, November 27, 2006

Mein Leben als Piratenbraut

Anja Brenner schiebt ihren Kinderwagen über den geteerten Waldweg. Sie ist schon sehr priviligiert denkt sie sich. Von ihrem Haus mit der gläsernen Front und dem unverbaubaren Blick über die Stadt ist sie in wenigen Minuten in dem Waldstück. Wenn sie nach dem Spaziergang mit ihrem Sohn noch Lust auf Shopping hat kann Sie in ihren Porsche Cayenne steigen und die Boutiquen unsicher machen - ihr Mann, ein erfolgreicher Wirtschaftsanwalt sorgt für einen immer gedeckte Kreditkarte.
Aber jetzt kommt sie wieder an die Stelle wo ihr Herz immer stockt, die sie aber immer wieder magisch anzieht.
Vor fünfzehn Jahren war sie mit ihren drei besten Freundinnen dort entlang geritten. Sie gingen in die gleiche teure Privatschule, waren Mitglied im exclusiven Reitclub am Rande des Waldstücks, und hatten damals schon Shopping als wichtigstes Hobby.
Und da kamen die drei wild aussehenden Jungs auf ihren Mountainbikes vorbei. Sie hielten an und riefen "schaut mal, die Ausbeutertöchter", und "schämt ihr euch nicht". Und Anja fiel der eine auf, mit den längeren Haaren, dem Che Guevara T-Shirt. Er bemerkte ihren Blick, sie schauten sich tief in die Augen.
Karin meinte zu ihren Freundinnen "zum Glück haben wir mit solchem Proletariat nicht zu tun" und ritt weiter. Anja spürte den Impuls vom Pferd zu steigen, sich mit dem Jungen zu unterhalten, genau so wie die adlige Tochter vom wilden Pirat fasziniert ist. Dann ritt sie aber doch ihren Freundinnen hinterher. Auf einem Sommerfest eines Bankiers lernte sie dann ihren jetzigen Mann kennen, brach ihr Studium ab, wurde Hausfrau.
Wäre sie glücklicher wenn sie damals abgestiegen wäre ? Wenn Sie einmal ihre abgeschottete Welt verlassen hätte ? Oder ist das ihre Jungmädchenromantik, der Junge ist Arzt geworden und wohnt in einem tollen Haus in einer ähnlichen gehobenen Wohngegend, ist genauso selten zuhause wie ihr Mann ?
Sie schiebt den Kinderwagen entschlossen an ihrem Stammspielplatz vorbei und winkt den dort ihren Nachwuchs beschäftigenden Nachbarn in ihren teuren Kostümen zu. Es ist ja nie zu spät. Jetzt fängt sie an einem Spielplatz an wo die Kinder keine Designerkleidung tragen.

Freitag, November 24, 2006

Für meine Muse

Der Redakteur ist verzweifelt. Für die morgige Zeitung muss er unbedingt noch eine Glosse schreiben. Und die Leser erwarten das von ihm. Freitag ist der Wahlsteiner-Tag. Leserbriete haben ihm bestätigt dass manche Fans am Freitagmorgen als allererstes seine Glosse lesen, während sie am Frühstückstisch sitzen.
Keine Idee, keine Idee. Die Fahrgäste in der S-Bahn haben geschwiegen, geträumt oder gelesen. Und hier ihm Cafe bekommt Herr Wahlsteiner auch keine Ideen dargeboten.
Vielleicht sollte er einen Cocktail bestellen ? Erstmal einen Espresso mit Bananenlikör.
Ist die geschlossene Eingangstüre schuld ? Steht seine Muse vor dem Cafe und kann nicht herein ? Friert sie vielleicht ?
Er stürzt den Espresso herunter, zahlt und verlässt fluchtartig das Lokal. Draussen ruft Herr Wahlsteiner "Hier bin ich, komm zu mir !". Er ist kurz davor auf die Knie zu fallen, hält dann aber inne. Sitzt seine Muse vielleicht auf dem Denkmal und amüsiert sich über ihn ? Will sie sehen wie weit er in seiner Verzweiflung geht ?
Er klettert den Sockel hoch und setzt sich zu Füßen des marmornen Pferdes, das stolz einen König trägt. Und da weiß Herr Wahlsteiner plötzlich: Er wird eine Glosse über fehlende Inspiration schreiben.
Er lächelt und flüstert "danke, meine Liebe."

Mittwoch, November 22, 2006

L'Art pour l'Art ?

"Ich heisse Chris Buntherr und bin Maler" stellt sich der junge, schlaksige Mann bei der Verwaltung des Kunstmuseums im Büro von Frau Minther vor. Und erläutert dass er sich mit einem Gemälde der Grösse 3 auf 5 Meter an der Ausstellung "Die Welt neu definiert - junge Künstler stellen sich vor" beteiligen will.
Die Mitarbeiterin des Museums zeigt sich nicht sehr beeindruckt und schiebt ihm wortlos einen Zettel mit den Bewerbungsunterlagen hin.
Chris Buntherr liest sich diese mit wachsendem Unmut durch und meint dann: "Ich bin Künstler, und bewerbe mich nicht um eine Banklehre. Wollen Sie alle kreativen Menschen beleidigen ?"
Frau Minther liebt ihre Arbeit in der Verwaltung des Kunstmuseums, aber manche der Künstler behandeln sie doch zu sehr als Inkarnation der spröden, uninspirierten und kalten Welt.
"Wir wollen unseren Besuchern etwas über die Künstler erzählen können. Aber das wichtigste sind doch Referenzen und Proben ihrer Arbeit - in Ihrem Fall also einfach ein paar Fotos ihrer bisherigen Werke."
"Ich verspreche Ihnen, ich werde ein Werk erschaffen das die Welt völlig erklärt, das ein neues Verständnis ermöglicht. Der Betrachter wird davor stehen - und plötzlich verstehen. Vorbei ist die Suche nach dem Sinn, das Streben nach einem Gottesbeweis. Und ihre Ausstellung wird ein Besuchermagnet ohnegleichen."
Der schon vorher sehr gerade und mit erhobenem Kopf stehende Maler scheint noch etwas gewachsen und deklamiert seine Sätze mit strahlendem Blick und ausschweifenden Handbewegungen.
Aber Frau Minther hatte schon so einiges erlebt. "Reichen Sie Bilder ihrer bisherigen Werke und eine zweiseitige Beschreibung ihres Vorhabens ein, sonst kann nicht darüber entschieden werden."
Jetzt wird Chris Buntherr etwas leiser. "Ich habe bisher noch nichts gemalt. Ich war noch nicht so weit, und wollte auch nicht mein Inneres an eine Fingerübung verschwenden. Wenn dann gleich richtig."
Frau Minther schaut den Maler etwas fassungslos an. "Sie haben noch nie gemalt, und wollen für diese Ausstellung ein riesiges Gemälde erstellen. Und sie denken wir würden es dann ausstellen ?" Sie kann sich ein freches Grinsen nicht ganz verkneifen. "Woher wissen Sie dass sie das überhaupt können ? Sie werden staunen wie schwer es am Anfang fällt."
"Aber ich spüre es" wirkt der Künstler jetzt schon sehr verunsichert. "Und woher wollen Sie wissen wie es Malern ergeht ?".
"Ich male selber ein wenig als Hobby. Und es hat gedauert bis mir meine Bilder gefielen. Aber ich traue mich nicht so richtig sie anderen zu zeigen." Dabei zeigt sie auf das hinter ihr an der Wand hängende Gemälde.
Mit offenem Mund starrt Chris Buntherr abwechselnd das Gemälde und Frau Minther an. "Das haben Sie gemalt ? Ich bewundere es schon seit ich hier bei Ihnen bin. Warum verschwenden Sie dann ihr Leben in einem Büro ? Sie sind zur Malerin geboren !"
Frau Minther lächelt. Und findet den Maler ohne Bilder gar nicht mehr so unsympathisch. "Jetzt schmeicheln Sie mir nicht so. Das nützt Ihnen nichts."
Aber Chris Buntherr ist wirklich begeistert. "Sie malen so wie ich es immer können wollte. Stellen Sie doch ein Bild in der Ausstellung aus ! Wenn ich Ihnen irgendwie dabei helfen kann..."
Wenig später standen zwei strahlende Personen am Kaffeeautomat: Eine gerade neu entdeckte Malerin mit dem erweckten Drang ihre Bilder nun auch zu zeigen, und ein neuer Kunstmanager mit der Vision die Welt mit den Bildern seiner Künstler zu erklären.

Montag, November 20, 2006

Verabredung mit dem Zufall im Café

"Schön dass Du heute Zeit hast und wir uns endlich treffen, Meike !"
Meike Patzlow schaut den Mann der an ihrem kleinen runden Tisch im altmodisch eingerichteten Café steht, entgeistert an. Sie hat ihn noch nie gesehen, und sie wollte jetzt in Ruhe nochmal ihren Vortragstext durchgehen.
"Entschuldigung, ich kenne Sie nicht. Und ich bin auch nicht mit Ihnen verabredet."
"Meike" seufzt der Mann, und setzt sich auf den noch freien Stuhl am Tisch. "Ich habe Dich nicht gleich gesehen, aber Deine unglaublichen Augen haben mich wie magisch durch das Lokal geleitet."
Meike Patzlow schaut den Mann näher an. Er sieht attraktiv aus, verwuschelte Frisur, sympathisches Lächeln.
"Sie wirken sehr überzeugend. Aber ich habe mich erst vor einer Viertelstunde entschlossen hierher zu kommen. Und ich muss noch etwas arbeiten." Damit legt Sie das Manuskript mit dem Titel "Zufall und Verabredung - philosophisches Traktat über Begegnungen im Café" auf den Tisch.
"Ludwig Witter" stellt sich nun endlich der ungebetene, aber gar nicht mehr so unwillkommene Gast vor. "Vor dem Arbeiten muss man sich stärken." Und damit winkt er die Kellnerin heran um sich die Kuchenauswahl erläutern zu lassen.
Während Meike Patzlow wenig später ein riesiges Stück Linzer Torte verspeist, versucht sie mit dem Astrophysiker Ludwig Witter eine Verbindung zwischen Milchkaffee, österreichischen Torten und Wurmlöchern zu ziehen. Und langsam beschleicht sie die Ahnung dass Sie vielleicht doch in einem metaphysischen Sinne verabredet waren. Und dass ihr Vortrag stark überarbeitet werden muss.

Inspiriert durch den Satz "Ja, vielleicht ist wirklich jede zufällige Begegnung in Wahrheit eine Verabredung !" in Selige Zeiten, brüchige Welt von Robert Menasse.

Freitag, November 17, 2006

Gedanken sind frei

Frau Lisa Schönmeier sitzt in der Straßenbahn. Die silbernen Ohrringe mit den schwarzen Perlen werden durch silberfarbene Kopfhörer stilvoll ergänzt. Konzentriert lauscht Sie auf die nur für sie hörbaren Klänge. Ab und zu fixiert sie einen Mitreisenden, stellt an ihrem flachen, einem i-Pod ähnlichen Gerät etwas ein und sitzt dann wieder in sich versunken da.
"Was hören Sie da" fragt ihr Gegenüber,Kevin Mutzner, die Gelegenheit nutzend mit der attraktiven Mitdreissigerin ins Gespräch zu kommen.
"Das ist ein Gerät zum Gedankenlesen. Ich höre mir gerne die Gedanken der Fahrgäste an".
"Sehr gute Idee" meint ihr Mitpassagier. "Zum Glück habe ich meine Abschirmbrille auf" und rückt die im Haar sitzende Sonnenbrille zurecht.
"Die nützt aber bei meinem Gerät offensichtlich nichts. Und deswegen müssen Sie es erst gar nicht weiter versuchen. Noch eine gute Reise."
Damit richtet Frau Schönmeier ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Fahrgast, und versinkt dann wieder in tiefer Konzentration.
Kevin Mutzner ist verärgert. Die Abfuhr war sehr kreativ, dass muß er zugeben. Aber sich von dieser Zicke so etwas anhören zu müssen. Dabei sieht sie gar nicht so gut aus.
Lisa Schönmeier hebt den Kopf und wirft ihrem Gegenüber mit verärgerter Miene einen eiskalten Blick zu. Der zuckt zusammen und läuft rot an, während seine Beobachterin zu lächeln beginnt.

Donnerstag, November 16, 2006

Elefantöser Gottesbeweis

Herr Steinbrenner legte eine Vollbremsung hin. Es war früh am Morgen, er war auf dem Weg zur Arbeit. Wie immer fuhr er - noch nicht ganz wach - durch ein Wohngebiet. Und da stand der Elefant auf der Fahrbahn.
Herr Steinbrenner kurbelte das Fenster herunter, spürte die kalte Luft, klatschte fest in die Hände um zu überprüfen ob er sich nicht in einem Traum befände. Er fand aber keine näheren Hinweise.
Stand dann dieser verärgerte Elefant auf der Straße weil er sich gestern gebenüber seinem Sohn über Benjamin Blümchen lustig gemacht hatte ? Elefanten sollen ja telepathisch begabt sein. Und dann hatte er einem Kollegen gesagt er benehme sich wie ein Elefant im Porzellanladen.
Bei diesen Gedanken begann Herr Steinbrenner etwas zu zittern. Der Elefant starrte ihn unentwegt an.
Und hatte er sich nicht auch über Ganesha den Elefantengott amüsiert ? Wie man sich solche Gottheiten ausdenken könne ?
"Vergib mir Ganesha ! Ich habe nicht an Dich geglaubt. Aber jetzt hast Du mir bewiesen dass Du existierst !" begann Herr Steinbrenner den Elefanten anzubeten.
Ein Lastwagen mit der Aufschrift "Circus Pastelli" kam aus der Gegenrichtung angefahren und hielt hinter dem Elefanten. Vier Männer stürzten heraus und führten den kleinen indischen Elefanten in den Wagen. Kurz bevor er die Rampe hochstieg schien er Herrn Steinbrenner zuzuzwinkern.
Herr Steinbrenner saß noch eine ganze Weile regungslos im Auto. Sein Leben hatte sich geändert.

Dienstag, November 14, 2006

Der Kunde ist König. Nein - Graf.

Es ist ein trüber, dunkler Herbstabend, kurz vor Geschäftsschluß. Der Angestellte der "Schuhreparatur. Schlüsselservice. Schnell und preiswert." räumt die Regale auf und schaut immer wieder sehnsüchtig auf die Uhr. Da tritt ein schwarzgekleideter Mann in den Laden. Er hat langes strähniges schwarzes Haar und ein fahles Gesicht - die Grippe denkt sich der Angestellte und fragt höflich nach dem Begehr.
"Können Sie mir diesen Schlüssel nachmachen ?" bittet der Kunde und legt einen großen massiven Schlüssel auf die Ladentheke.
"Das ist ja eine Antiquität ! In dieser Größe kann ich hier keine Duplikate herstellen."
"Aber wie soll ich dann einen Zweitschlüssel für mein Schloß bekommen ?"
Der Angestellte schaut den Kunden etwas fragend an, meint dann aber:
"Der Schlüssel ist zwar groß, aber primitiv. Wenn sie noch etwas warten kann ich sie mit nach Hause in meine Werkstatt nehmen, dann habe ich das schnell."
Und so fährt Herr Kulardi mit seinem Kunden, der sich als Graf Arthur von Drachenstein vorgestellt hatte in seinem VW 1600 nach Hause. Ihm fröstelt leicht, sein Fahrgast hat eine unheimliche Ausstrahlung, ist sonst aber sehr freundlich und erzählt spannende Geschichten über Fledermäuse.
In seiner Werkstatt, eine mit Motorrädern in verschiedenstem Zustand zugestellte Garage, schweißt und biegt er auf der Werkbank am hinteren Ende schnell einen geeigneten Schlüssel zusammen. Zwar nicht schön aussehend, aber funktional.
"Wissen Sie, wenn meine Freundin zu mir zieht braucht sie natürlich einen Schlüssel" erklärt der Graf und gibt Herrn Kulardi als Dank eine Goldmünze die wie der Schlüssel sehr alt aussieht.
Dann erklärt er noch es sei nicht nötig ihn irgendwo hinzufahren, verläßt die Garage und ist spurlos in der Nacht verschwunden.
Herr Kulardi betrachtet die Goldmünze. Wahrscheinlich hat er nur zu viel Phantasie. Und zu viele Filme gesehen. Aber vielleicht hat er auch einem Vampir ein glückliches Leben ermöglicht.

Montag, November 13, 2006

Das Hause, der Schneck, Lebbe

Es war so angenehm zuhause. Eine optimal angepaßte Umgebung. Sozusagen auf den Körper maßgeschneidert. Wunderbar um einfach träge zu existieren.
Das ganze da draußen vergessen. Nichts mitbekommen von den schrecklichen Dingen die in der Welt passieren. Nicht aufpassen müssen. Nicht auf Einflüsse reagieren. Nur sein.
Auf Dauer dann vielleicht doch nicht genug. Es soll ja Mönche geben die genau so leben. Aber das muss man können.
Es fehlt der Austausch mit anderen. Neue Impulse bekommen. Selber etwas bewegen. Etwas weitergeben. Also wirklich leben.
Entschlossen streckt die Schnecke ihren Kopf aus dem Haus. Schon viel besser.

Freitag, November 10, 2006

Spirituelles Handgepäck

Eine lange Schlange an der Sicherheitskontrolle des Flughafens. Geschäftsleute, Familien auf dem Weg in den Urlaub. Allgemeine Unruhe, nervöse Blicke auf die Uhr, Protestäußerungen.
In der Schlange ein asiatisch aussehender Mann mit weißer Mönchskutte. Stoisch in der Schlange stehend. In den Händen hält er einen verschlossenen Tonkrug.
Schließlich steht er an der Kontrolle.
"Flüssigkeiten können Sie nicht mit an Bord nehmen. Geben Sie den Behälter bitte ab."
"Dieses Behältnis transportiert nichts irdisches" erwidert der Mönch mit weicher Stimme und leichtem Akzent.
"Dann öffnen Sie bitte den Behälter" fordert der Mann vom Sicherheitspersonal.
"Das kann ich nicht, dann entweicht es."
Der Mann in Uniform wird nervös: "Gas ? Ich rufe Verstärkung."
Aber die beruhigende Stimme wirkt:" Nein, das Gefäß ist angefüllt mit spirituellem Inhalt."
"Tut mir leid, wenn ich es nicht kontrollieren kann dürfen sie es nicht mitnehmen."
Die anderen Mitwartenden beginnen schon laut zu protestieren, "was macht der Spinner da", "darf so einer überhaupt alleine reisen" sind ein paar der Bemerkungen.
Bei dem völlig gefaßt und ruhig wirkendem Mönch ist eine leichte Verzweiflung zu spüren. Er klammert sich fest an den Tonkrug und schaut um sich, auf Rettung wartend. Die kommt von hinten.
"Sie wollen also einen Geist transportieren, dürfen aber kein Gefäß mit ins Flugzeug nehmen ?" erschallt eine laute Stimme mit australischem Akzent.
Der Mönch schaut sich um. Ein kräftiger Mann, gekleidet wie für das Outback, mit riesigem Hut. "Das ist kein Geist..."
"Sie wollen nach Bangkok ? Da fliege ich auch hin. Ich könnte ihr Phantom unter dem Hut mitnehmen."
Der Mönch denkt kurz nach und ist begeistert. So kann nichts entweichen !
Der Australier kniet sich nieder, der Mönche öffnet das Gefäß und füllt den nicht wahrnehmbaren Inhalt unter den Hut. Dabei versucht er den Australier zu beruhigen: "Das ist völlig harmlos. Gute und glückliche Ideen, Erfahrung..."
"Mir macht das nichts. Bei uns gibt es so manches seltsames da draußen."
Der Mönch strahlt. Fehlt es dem spontanen Helfer an Würde und Respekt vor dem Spirituellen, so hat er doch ein gutes Herz, einen wachen Geist und ist offen für das Immaterielle. Im Gegensatz zu den anderen Menschen in der Schlange.
Wenig später sieht man ein erstaunliches Paar tief in ein Gespräch versunken beim Gate an der Bar sitzen - vor sich einen Tee und ein Bier.

Donnerstag, November 09, 2006

Die Macht der Musik

Das waren die bitteren Momente in seinem Beruf. Wenn er an den Rand des Saales gedrängt an seinem Synthesizer stand und Schlager aus den sechziger Jahren sang, die Gäste sich aber sehr gut unterhalten, essen oder sich langweilen - genau so als wäre er gar nicht anwesend.
Natürlich trauert er der alten Zeit hinterher. Als er mit seiner Band auf Dorffesten oder in Festsälen auftrat. Dort bewegte er die Menschen, brachte Einzelwesen zueinander - er war für diese Momente wie ein Gott, der das Schicksal der Tänzer anstieß. Und dann von der Bühne das ganze Leben in einen Saal gedrängt beobachten konnte: Annäherung, Verführung, Liebe, Entfremdung, Gleichgültigkeit...
Nachdem nun überall DJs Einzug gehalten haben wurden solche Bands nicht mehr gebraucht. Höchstens noch Alleinunterhalter für Kreise, die bei einem DJ vielleicht doch die Nase rümpfen würden.
Gerade hat er ein schönes Lied aus den zwanziger Jahren intoniert, und wieder hat sich nichts getan. Er rückte das Schild mit seinem dämlichen Künstlernamen Joe Roseman zurecht. Den hatte er sich vor 30 Jahren gewählt weil er dachte dann könnte etwas aus Jochen Rossmann werden.
Aus der großen Karriere wurde natürlich nichts, aber als Musiker war er dennoch glücklich. Außer bei Auftritten wie diesem. An denen auch die Gäste nicht ganz freiwillig da waren. Ein Empfang, ein Firmenfest, ein Veranstaltung bei der man gesehen werden muss.
Wenn aber keiner zuhört, dann kann er doch auch mal etwas anderes machen. Auch wenn er sich in seiner langer Karriere bisher immer zumindest grob an die Vorgaben des Veranstalters gehalten hat. Aber warum eigentlich ? Und genauso unauffällig wie bisher beginnt er Going Underground von the Jam zu spielen. Und da nimmt er Veränderungen war. Ein paar Köpfe drehen sich kurz zu ihm hin. Dort beginnt ein hochhackiger Fuß unter der Tischdecke zu wackeln. Am Nebentisch schlägt eine Kuchengabel im Takt auf den übriggebliebenen Sahneklecks. Zwei Blicke treffen sich.
Das ist doch kein verlorener Tag denkt sich Jochen Rossmann und beginnt als nächstes London Calling zu spielen, da er schon den Veranstalter mit irritiertem Gesicht auf sich zukommen sieht.

Inspiriert durch den Film "Quand j'étais chanteur" mit Gérard Depardieu und Cécile de France. Hoffentlich bald auch in deutschen Kinos.

Mittwoch, November 08, 2006

Herbstfarben

Herbst. Zeit der bunt leuchtenden Laubbäume. Herr Wiedner steht am Ende der schmalen Straße in der Vorstadtsiedlung und blickt über die Gärten. Es ist eindeutig. Er hat die schönsten Bäume in seinem Garten stehen., auch wenn sie noch ziemlich klein sind.
Schon als Kind hat er begeistert die bunten Blätter gesammelt, war enttäuscht wie sie immer schnell Farbe und Glanz verloren. Hat dann langsam verstanden dass die Blätter an den Bäumen bewundert werden müssen. Die Faszination liess aber nie nach.
Als Student hat er dann den Herbst weltweit genossen, Indian Summer, oder den verschobenen Herbst auf der Südhalbkugel.
Nun als Rentner hat er sich der Aufgabe gewidmet die schönen Farben selbst zu erschaffen. Hat sich mit deren Züchtung beschäftigt. Mit Baumpflege. Und was so alles dazugehört. Und nun sieht es das Ergebnis.
Als er stolz seine Erfahrungen im Gärtnerverein präsentieren wollte wurde er nur ausgelacht: Die Färbung der Blätter sei wegen der Bodenbeschaffenheit, der Nährstoffversorgung und des Klimas so wie sie ist. Und nicht wegen Züchtung.
Seine Farben haben aber alle verblüfft. Dann sind die Spezialisten bis aus der Universität gekommen und haben ganz genau studiert wie er düngt, gießt, fönt, bestrahlt, berieselt und anbläst. Haben sogar einen langen Artikel über seine Methode geschrieben.
Sie haben nichts kapiert, denkt er sich. Er will nur dass es seine Bäume gut haben. Die Farben aber züchtet er.
Zufrieden schlendert er die Straße entlang, magisch angezogen von den weithin leuchtenden Blättern.

Dienstag, November 07, 2006

Global und individuell

Eine Bäckerei an der Strassenecke. Eine ältere Frau bestellt: "Und wie immer ein Stück der hausgemachten Mohntorte, Frau Eberdinger."
Der neben ihr stehende junge Mann im Schlabberlook der frühen neunziger Jahre lacht höhnisch und meint: "Sie meinen die aufgebackene Torte aus der Produktion eines weißrussischen Gebäckfabrikanten !".
"Hier ist alles selbstgemacht. Wir sind eine echte Bäckerei im Familienbesitz. Ohne Filialen." widerspricht die Verkäuferin Frau Eberdinger stolz.
"Das ist ein tolles Werbekonzept. Aber sie benutzen sicher die gleichen Teigrohlinge wie der Schnellbäcker nebenan."
Bevor die indignierte Verkäuferin antworten kann erwidert die Kundin: "Junger Mann, sie haben keine Ahnung. Ich habe diese Torte schon bei Frau Hirmle senior gekauft als es Weißrussland noch gar nicht gab. Und auch noch keinen schrecklichen Plastikbäcker. Jetzt stellen sie sich erstmal vor."
Der junge Mann hat seinen festen Ansichten. Die er zum Teil auch als Buttons auf seinem abgenutzten Parka trägt. Seine Selbstsicherheit hat aber etwas gelitten. "Ich bin Herr Boost, Frau..."
"Frau Brettschneider, angenehm." antwortet die alte Dame mit einem angedeuteten Knicks.
Herr Boost sammelt sich. "Die Bäckerei wäre gar nicht konkurrenzfähig wenn sie die Kuchen noch selber herstellen würde."
Da mischt sich wieder Frau Eberdinger, geborene Hirmle ein. "Jetzt werde ich ihnen ein Geheimnis verraten dass selbst Frau Brettschneider noch nicht kennt: Ich backe extra einen einzelnen Kuchen mit besonders wenig Mohn, da Frau Brettschneider ihren Mohnkuchen so lieber mag. Und den hebe ich ihr auf, schauen sie hier."
Der junge Mann ist beeindruckt, auch wenn er sich mit Mohnkuchen nicht so recht auskennt. Seine kurze Verunsicherung ausnützend gibt Frau Eberdinger ihm auch noch ein pain au chocolat zum Probieren. Widerwillig muß er sich eingestehen dass das wirklich viel besser schmeckt als die labbrigen geschmacklosen Varianten beim Schnellbäcker.
Frau Brettschneider muß sich sehr zusammenreißen wie schon lange nicht mehr und prustet erst an der nächsten Kreuzung laut los. Einen Kuchen extra für sie backen ! Die Jugend läßt sich schnell einen Bären aufbinden. Wo doch jeder weiß dass sie immer einen Kuchen mit extra viel Mohn nehmen würde.
Als Herr Boost mit zwei großen Tüten an ihr vorübereilt schmettert sie ihm außer Puste aber über das ganze Gesicht strahlend ein "guten Appetit" nach. Und Herr Boost ahnt schon dass er auch morgen wieder in der Bäckerei stehen und sich von Frau Eberdinger Gebäck empfehlen lassen wird.

Freitag, November 03, 2006

Die Arie des Alexandro

Der Vogelfänger geht durch die Innenstadt. Nein so nüchtern kann das nicht beschrieben werden. Er macht einen Sprung hier, ein paar Trippelschritte hier, tänzelt um die verblüfften Einkäufer herum.
Er bewegt sich zu einer Melodie die nur er hört. Alexandro hat aber kein Federkleid an, und denkt auch nicht an ein Lied von Mozart. Ihm geht ein Stück von den Hidden Cameras durch den Kopf, außerdem trägt er ein extravagantes Ensemble von Gautier.
In einer Großstadt Vögel fangen zu wollen ist kein motivierendes Unterfangen. Ohne jegliche Mühe könnte er ganze Taubenschwärme einsperren, aber an diesen hässlichen Tieren hat er kein Interesse. Auch Spatzen sind nicht besonders interessant. Ab und zu ist eine Blaumeise oder eine Elster zu entdecken, alles aber keine Herausforderung.
Er ist aus einem besonderen Grund in der Stadt: Weil er über ein neues Leben nachdenkt. Und weil er im Wald auf der Suche nach Mädchen nicht sehr erfolgreich ist. Ab und zu rauscht eine Mountainbikerin vorbei - Alexandro kann sich manchmal nur durch einen Sprung retten. Keuchende Joggerinnen sind auch noch anzutreffen, aber Prinzessinnen hat er noch nie gesehen.
"Es ist halt nicht mehr so einfach wie bei meinem berühmten Vorfahren" denkt sich Alexandro, "Leben in einer abgeschlossenen Gegend, Stammkunden die das Auskommen sichern. Die neuen Abenteuer warten in der Stadt. Aber mit Optimismus kann man immer noch alles erreichen."
Alexandro hat das Café erreicht in dem er über den Winter als Bedienung arbeiten wird. Er mustert die Gäste. Auch wenn er den traditionellen Beruf erstmal nicht weiter ausübt, sein Vorfahre wäre mit dieser Wahl sicher einverstanden.

Montag, Oktober 30, 2006

Die Kraft der Imagniation

In der S-Bahn fühlt sich Frau Weber immer dann besonders unwohl wenn die Tunnel der Innenstadt kein Ende nehmen wollen. Welch ein Unding die Sicht zu verhindern und die Menschen in den Untergrund zu verbannen !
Allerdings ist sie nicht umsonst Spezialistin für Meditation und Bildfindung. Und so versetzt sie sich in eine schöne Landschaft: Der Zug durchquert herbstliche Wiesen, im Hintergrund Hügel auf denen Bäume das gesamte Farbspektrum zwischen gelb, rot und braun ausgiebig feiern. Sie fühlt sich gleich richtig wohl, kann die Natur fast spüren.
Plötzlich schreckt Frau Weber hoch. Ist sie etwa eingeschlafen ? Ihr Blick schweift nach draußen: Eine wunderbare Landschaft, wie sie eine vor sich gesehen hatte ! Der Blick auf die Anzeige im Waggon: Da ist sie ja viel zu weit gefahren.
Die Imagination hat aber funktioniert: Sie ist da wo sie sich hingeträumt hat.

Uhr bremsen, Zeit gewinnen ?

Der Tag vergeht wieder viel zu langsam. Eine Besprechung zum aktuellen Projekt. Vollgefüllt mit Worthülsen.
Herr Weinbrecher versucht sich vorzustellen er schaue im Fernsehen eine Satire über Projektarbeit, sozusagen Stromberg plus. Das erheitert ihn einige Zeit, zeigt aber auch um so mehr die Sinnlosigkeit der Ganzen. Erst 20 Minuten überstanden. Irgendwie vergeht die Zeit zu langsam.
Er schaut aus dem Fenster. Ein Vogel fliegt vorbei. Sehr langsam - wie in Zeitlupe. Ein schön gefärbtes Blatt bewegt sich im Wind - steht dabei aber fast still.
Herr Weinbrecher stutzt. Kann es sein dass hier die Zeit anders läuft ? Das er in 2 Stunden Außenzeit und zwei Stunden auf seiner Uhr hier mindestens vier Stunden Besprechung durchlebt ? Woran kann das liegen ?
Als begeisterter Leser von Science-Fiction kommen ihm natürlich die richtigen Ideen. Wird in dem Gebäude eine eigene Zeit generiert, um mehr Arbeit in die gleiche Zeit zu bringen ? Ist dass das Geheimnis der hohen Gewinne des Unternehmens ? Und warum er sich nach einem 9-Stunden Tag so furchtbar ausgelaugt vorkommt ?
Und wo könnte das Gerät dazu sein ? Natürlich im Keller.
Berauscht von seinen Gedanken entschuldigt er sich, geht aber nicht zur Toillette sondern fährt mit dem Aufzug in das unterste Kellergeschoß. Ihm ist dort immer schon die riesige Stahltür aufgefallen. Ein elektronisches Codeschloß an der Wand, daneben ein Feuermelder.
"Gewußt wie" denkt sich Herr Weinbrecher und betätigt den Feuermelder. Wie gehofft entriegelt sich die Tür und unter nervtötendem Alarmsignalen betritt Herr Steinbrecher einen riesigen Saal voller seltsamer Maschinen. Jetzt fühlt er sich wie ein Held seiner Lieblingsromane, der das Böse aufhalten muss. Er läuft durch die Gänge, drückt überall die Notausknöpfe. Eine Maschine nach der anderen schaltet sich mit einem letzten Blinken ab.
Dann läuft er über das Treppenhaus ins Freie und mischt sich unauffällig zwischen die sich wegen des Feueralarms dort allmählich einfindenden Kollegen. Wie ein aufkommender Wind fegt ein Rauschen durch die gleich einer Pinguinkolonie versammelten Menge von Angestellten: Die EDV sei ausgefallen, vielleicht wichtige Daten verloren, das Unternehmen gefährdet.
Herr Weinbrecher nimmt das nicht wahr, er fragt sich ob er jetzt die Angestellten vor der bösen Macht gerettet hat und ob die Besprechung bei ihrer Fortsetzung wirklich in Normalzeit verläuft.

Donnerstag, Oktober 26, 2006

Es fährt ein Bus nach...

Montag vormittag im Bus der aus der östlichen Innenstadt Richtung Stadtmitte fährt. Eine Mischung aus Passagieren auf dem Weg zur Arbeit, frühen Einkäufern, späten Schülern. Die Fahrgäste starren vor sich hin, lehnen zusammengekauert am Fenster um sich noch ein paar Minuten Schlaf zu erobern, führen sich die neuesten Klingeltöne vor.
Plötzlich die Durchsage des Busfahrers: "Wie wäre es wenn wir woanders hin fahren ? Hamburg, Paris, Wien, Nizza..."
Teilweise ein langsames Kopfheben, Tuscheln, insgesamt aber keine merkliche Reaktion.
Der Busfahrer bremst, steht auf und ruft in den Bus: "Wer ist für Hamburg ? Wer ist für Paris ?". Zwei Schüler melden sich mit unterdrücktem Kichern, etliche Fahrgäste starren aus dem Fenster, manche schütteln den Kopf und schauen ihren Sitznachbarn vielsagend an. Ein Mann im Anzug ruft: "Fahren Sie endlich, ich habe einen Termin !"
Der Busfahrer dreht sich wieder um, setzt sich und startet den Bus. Ein Bus voller abgestumpfter Fahrgäste. Ein Bus ohne Hoffnung und Freude. Wohin soll er jetzt fahren ? Zur nächsten Haltestelle ? Oder soll er diesen verlorenen Menschen etwas gutes tun ? Er würde jetzt gerne nach Nizza.

Mittwoch, Oktober 25, 2006

Wer schenkt uns den Morgenhimmel

An diesem Morgen erwachte Kiriakos Loupetis in besonders guter Stimmung. Er wußte sogleich, heute nacht hat er ein besonders eindrucksvolles Kunstwerk geschaffen, vergänglich wie alle anderen Kreationen seines Œuvres. Im Moment war aber noch nichts davon zu sehen. Er frühstückte mit seiner Frau die nichts von seinen schlafend vollbrachten Meisterleistungen ahnte, und machte sich auf den Weg in die Arbeit.
Als eine halbe Stunde später langsam die Sonne aufging bestätigte ihn der Blick aus dem Fenster. Die mit weichem Schwung auf die Himmelsleinwand gemalten Wolken leuchteten hellrot im frühen Morgenlicht. Eine Mischung aus Wellen, Watte, Schaum und geometrischen Verwerfungen. Und natürlich kein starres Gemälde, sondern alles in Bewegung, in stetiger Änderung.
Während er sich einen Kaffee vom Automaten holte dachte er darüber nach dass heute sicher wieder viele Leute bewundernd auf den Himmel schauen werden. Und auf so verrückte Dinge kommen wie dass dies ein meteorologisches, physikalisches Phänomen sei. Dabei liegt es auf der Hand sagte er sich, dass dies nur von Göttern geschaffen werden kann. Und in dieser künstlerisch herausragenden Gestaltung nur von griechischen Göttern. Auch wenn diese nicht mehr alle im Olymp zusammengepfercht wohnen sondern über die ganze Welt verteilt sind.
In seiner Rolle als Gestalter des Morgenhimmels fühlte er sich richtig wohl. Aber er hätte nur mal gerne andere Götter kennengelernt. Georgius Tsiliakas, den freundlichen Mann hinter der Theke des Tabak- und Zeitschriftenkiosks hatte er schon länger in Verdacht. Vielleicht sollte er ihn einfach mal auf einen Kaffee einladen.
Zufrieden kehrte er an seinen Schreibtisch zurück. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen dass man anderen Menschen eine Freude macht, ihren Morgen verzaubert, ohne irgendetwas dafür zu erwarten.

Dienstag, Oktober 24, 2006

Auf dem Markt eine Portion Glück kaufen

Auf dem kleinen esoterisch angehauchten Markt hat sich eine bunte Gruppe von Anbietern versammelt. Numerologische Lebensberatung, Filztaschen, ein Reki-Institut, Bachblüten-Produkte, Modeschmuck - und ein kleiner Stand mit der Überschrift Glück. Nicht professionell aufgemacht, sondern ein handgeschriebenes Plakat, geschmückt mit bunten Tüchern. Auf dem kleinen Tisch zwei Blumensträuße, altmodische Bilderbücher.
Die meisten Besucher laufen nach einem kurzen Blick weiter: Keine Flyer, keine Bonbons zum Mitnehmen. Keine persönliche Ansprache durch adrettes Standpersonal.
Nur wenige lesen sich das Plakat durch, das dazu auffordert sein Glück durch kleine, schöne Dinge auf die Sprünge zu helfen und bei näherem Interesse die Frau mit dem schwarzen langen Rock und der roten Jacke am Kaffeestand anzusprechen.
Und diejenigen die es machen sind schnell der Meinung dass Marianne Schiltbeck wohl eine der wenigen Aussteller war die ihr Produkt auch überzeugend vorlebt. Völlig entspannt erklärt sie ihre Glücksphilosophie, trinkt dabei immer wieder einen Schluck Milchkaffee und ißt einen Keks. Aber alle Interessenten müssen sich diesmal vertrösten lassen: Sie fühle sich gerade so ausgeglichen, sie wolle sich nicht mit Aufträgen beschäftigen. Sie sollen doch in einer Woche wieder auf dem Markt vorbeikommen.
Dies war ehrlich aus dem Inneren gemeint, aber dennoch die beste Werbung - jeder der so Vertrösteten wird wiederkommen und die Fähigkeiten von Frau Schiltbeck in Anspruch nehmen,

Montag, Oktober 23, 2006

Das Leben am Fluss

Eine sehr belebte Innenstadt. Die Einkäufer mit den großen, vollen Tüten treffen auf die bummelnden Spaziergänger. Überall Restautants und Kneipen vor denen Gäste sitzen, den lauen Herbsttag genießen und die Passanten begutachten. Man spürt die glückliche, städtische Welt von wohlhabenden Bürgern.
Plötzlich ist eine leichte atmospärische Störung zu spüren. Ein verwahrlost aussehender Mann, in Fetzen gekleidet, die bei näherer Betrachtung als Felle zu erkennen sind, mit einem langen, fülligem Bart kommt durch die belebte Strasse gelaufen und ruft: "Wo sind meine Schafe ? Haben Sie meine Schafe gesehen ?".
Die Passanten wenden sich ab, vermeiden den Blickkontakt. Als der Mann sich dem Außenbereich eines etwas nobleren italienischen Lokals nähert springen sofort zwei Kellner herbei, packen ihn an den Armen und ziehen ihn etwas unsanft am Lokal vorbei.
Erschöpft und enttäuscht lehnt sich der Mann an eine Straßenlaterne. Plötzlich wird er von einem Mann mit weißem Trainingsanzug angesprochen. "Können Sie mir helfen ? Ich bin anerkannter Spezialist für Obertongesang und Muschelmeditation, halte in einer Stunde meinen nächsten Kurs. Ich suche immer noch die richtige Verbindung zur Natur. Und Sie sehen mir so aus. Ich bin der Ben".
Der Mann schaut erst etwas sprachlos und erwidert dann: "Angenehm. Volker. Ich suche meine Schafe."
Jetzt ist es an Ben sprachlos zu sein: "Ich habe sofort gespürt dass Sie ein Mann der Natur sind. Aber gleich Schäfer ? Und warum suchen Sie Ihre Schafe in der Fußgängerzone ?"
Volker schmunzelt etwas. "Das ist nicht so wörtlich zu nehmen ! Ich habe keine Tiere. Aber ich suche die über die ich wachen sollte. Die auf die ich die vielen Jahre nicht gut genug aufgepaßt habe. Die ich enttäuscht habe." Dabei trübt sich seine Miene zunehmend ein, das Lächeln verschwindet.
Jetzt ist es an Ben seine professionellen Talente zu versuchen. "Es hilft nicht in die Vergangenheit zu schauen. Das hier und jetzt zählt. Erst völlig Loslassen, und dann neu Sammeln. Zu genießen wagen"
"So erzählen Sie das sicher in Ihren Kursen den konsumgeschädigten, orientierungslosen Städtern. Das müssen Sie bei mir nicht ausprobieren."
Aber Ben ist nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Schließlich ist er von sich überzeugt.
"Kennen Sie diese Stadt ?" fragt er. Und als Volker den Kopf schüttelt meint Ben "Dann habe ich etwas für Sie, kommen Sie mit".
Und während Ben ein paar Stunden später verzweifelt versucht interessierten aber nicht besonders konzentrierten Kursteilnehmern einen Oberton zu entlocken sitzt Volker auf einer Bank auf der Rheinpromenade, blickt über den breiten, stark befahrenen Fluß auf die dort grasende Schafsherde und fühlt dass an dem hier und jetzt wohl etwas dran sein muss. Und dass Ben wirklich etwas vom Leben versteht. Und er freut sich schon ihn später wieder hier am Ufer zu treffen.

Donnerstag, Oktober 19, 2006

Protestäußerung. Floristisch.

Eine enge, malerische Landstraße windet sich durch eine hügelige Landschaft in Cornwall. Oft von einer Hecke begrenzt, teilweise Rhododendron.
Lord Sauterbridge jagt seinen Aston Martin gerne über diese Strecke von seinem kleinen Schlößchen in jahrhundertelangem Familienbesitz zur Anwaltskanzlei in der nahen Kleinstadt. Er läßt sich dort als Inhaber täglich blicken - um den guten Kaffee zu trinken, gepflegt zu plaudern und mit den beiden neuen, hübschen und sehr jungen Büroangestellten zu flirten, die bei seinen doch immer sehr diskreten und eines Lords würdigen Komplimenten leicht erröten.
Die direkte Strecke zur Kanzlei wäre kürzer und schneller, aber Lord Sauterbridge liebt das Autofahren, sein Auto offen durch die Kurven zu zirkeln, die Reifen quietschen zu hören.
Gerade jagt er wieder einen leichten Anstieg auf eine Kuppe hoch. Oben begrenzt links ein alter Wachturm und rechts ein uralter Baum die Straße. Die letzten Tage kam ihm die Durchfahrt immer enger vor, vielleicht sollte er noch mehr ausspannen, oder vielleicht braucht er auch eine Brille. Er visiert die Engstelle an - und legt eine Vollbremsung hin. Der Baum steht mitten auf der Straße.
Ich habe einen Gehirntumor der auf das Sehzentrum drückt denkt sich der Lord bevor er sich selber zur Ordnung ruft. Panik nützt gar nichts. Die Sachlage analysieren. Der Baum hat sich mindestens vier Meter auf die Straße bewegt. Kommt so etwas öfters vor ? Nein. Obwohl...
Plötzlich fallen Lord Saunderbridge wieder die alten Geschichten seines Kindermädchens ein, über seltsame Vorgänge in Dartmoor, Bäume die eine Eisenbahnstrecke blockierten, den Bau eines Schlosses verhinderten.
Ich rase hier wirklich völlig unnötig durch die schöne Natur muß der Lord sich eingestehen. Und wenn ein Baum dagegen einschreitet muß es sehr störend sein.
Er wendet seinen Wagen, um ab jetzt nur noch die direkte Strecke zu fahren. Außerdem beschließt er sein Kindermädchen Miss Hendergrass gleich morgen im Seniorenwohnsitz in Torquay zu besuchen.
Als er in der Kanzlei angekommen von seinem Erlebnis berichtet verrät natürlich keiner der Zuhörer was er wirklich denkt. Und seine beiden neuen Angestellten hoffen daß die von ihnen soeben bei ihrem Chef entdeckte Exzentrik und Verschrobenheit zusammen mit seinem Charme die Arbeit in der Kanzlei noch interessanter und angenehmer macht.

Mittwoch, Oktober 18, 2006

Nicht suchen, gefunden werden

Die Schuhverkäuferin Frau Li stürmt auf die Kundin im Kaufhaus zu. "Kann ich Ihnen behilflich sein ? Suchen sie etwas bestimmtes ?".
Die Kundin, Frau Berger, eine Mitdreissigerin in schickem Bürooutfit, fühlt sich völlig überrumpelt. Sie hat sich inzwischen so daran gewöhnt in Kaufhäusern das Personal nur mühsam aufstöbern zu können, dass sie fast ins Stottern gerät.
"Ich schaue mich nur so um..."
"Gerne. Mehr Büroschuhe, Freizeit ?"
"Büro" stößt Frau Berger völlig überrumpelt hervor. Warum eigentlich nicht Freizeit ? Und warum ist sie nicht zu den Hosen gegangen ?
Ein prüfender Blick von Frau Li nach unten. "Größe 36 ?" Frau Berger nickt nur.
Die Verkäuferin eilt davon. Frau Berger stößt einen Seufzer aus. Eigentlich wollte sie nach der Arbeit nur mal entspannen, und das kann sie nun mal am besten beim ungestörten Shoppen - auch wenn sie dann meistens gar nichts kauft. In der Ferne sieht sie Frau Li langsam ein Schuhregal entlang gehen und dabei das Ohr an die Schuhe halten. Vorsichtig nähert sie sich um eine Regalreihe. Da sieht sie dass die Verkäuferin auch redet, über die Schuhe streicht. Fasziniert schaut sie zu, wendet sich dann aber doch ab und schlendert durch die Regale, kann sich aber wie immer nicht auf die Ware konzentrieren. Die Gänge zwischen den verlockend dargebotenen Kleidungsstücken sind ihre Kreuzgänge kommt ihr in den Sinn, ihr Klostergarten.
Am Ende der Regalreihe steht plötzlich wieder Frau Li vor ihr, und passt als asiatischer Mönch in ihren Tagtraum.
"Ich habe die perfekten Schuhe für Sie gefunden. Probieren Sie doch mal !"
Frau Berger purzelt in das Jetzt zurück und will erst spontan ablehnen. Aber die Schuhe sehen wirklich toll aus. Hat sie nicht solche Schuhe gesucht ? Nein. Aber hätte sie nicht gerne solche Schuhe gesucht wenn Sie gewusst hätte dass sie genau diese will ? Während sie versucht ihre Gedanken zu ordnen zieht sie die Schuhe an. Sie passen perfekt, sind angenehm. Jetzt nur nicht in den Spiegel schauen...
"Kommen Sie hier her, schauen Sie in den Spiegel. Die Schuhe passen wunderbar zu Ihnen !"
Frau Berger seufzt. Sie sieht es kommen. Die Schuhe passen wirklich in Farbton und Form, sehen anders aus als ihre üblichen Modelle, treffen aber ihren Typ viel besser.
Während Frau Li die neuen Schuhe in einen Karton verpackt frage Frau Berger bewundernd: "Haben Sie geahnt dass diese Schuhe so gut zu mir passen ?"
"Ich bin da nicht sehr begabt" flüstert Frau Li und zwinkert ihrer Kundin verschwörerisch zu. "Ich habe die Schuhe gefragt welches Paar gerne mit ihnen mitgehen will."
Frau Berger nickt und weiß nicht was sie antworten soll. Mit einem vielen Dank geht sie Richtung Kasse.
Am Absatz der Rolltreppe schaut sie sich nochmal um und sieht Frau Li bereits über Winterstiefel gebeugt. Im Abwärtsfahren hebt sie die Einkaufstüte hoch: "Jetz fahren wir erstmal zu mir nach Hause".

Dienstag, Oktober 17, 2006

Kommt ein Stöckchen geflogen

Eine immer wieder beliebte Beschäftigung unter Bloggern ist ja das Stöckchen zuwerfen. Gerade noch das von Frau Samoafex von Wien aus geworfene Stöckchen entdeckt:

Fünf Dinge, die ich nicht habe, aber gerne hätte
1. Mehr Freizeit für die zu vielen Interessen.
2. Ein Häuschen in Südfrankreich.
3. Ein besseres Gedächtnis bezüglich Filmen und Schauspielern.
4. Bessere Kochfähigkeiten.
5. Eine Superkraft nach Wahl.

Fünf Dinge, die ich habe, aber lieber nicht hätte
1. Einen früh läutenden Wecker.
2. Zuviel Kram im Keller.
3. Eine Abneigung gegen Hitze.
4. Ungeduld.
5. Rückenschmerzen.

Fünf Dinge, die ich nicht habe und auch nicht haben möchte
1. Einen i-Pod.
2. Einen Bart.
3. Kopfweh.
4. Auffällige Klingeltöne.
5. Einen Frack.

Drei (anstatt fünf) Gerngelesene, an die das Stöckchen weiterfliegt
1. Markus Quint
2. MKH
3. Madame Einzelfall (deren Blog hoffentlich wieder zum Leben erwacht)
An Ole und andere ward es bereits geworfen (wenn auch noh nicht aufgehoben)

Montag, Oktober 16, 2006

Jeder sucht den Ort seiner Träume

Der Ort seiner Träume. Jeder hat seinen eigenen denkt sich Walter Brimke, als er wie viele andere im morgendlichen Stau steht. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, Nebelschwaden ziehen durch die Stadt, es ist Herbst.
Die Plakatwand vor der Kreuzung. Palmen, blaues Meer, weißer Strand. Gibt es diese Orte überhaupt ? Wer hat sie schon jemals gesehen ? Sind sie nicht eine reine Erfindung der Touristikbranche ?
Er muß aber nur die Fahrer in den Autos um sich beobachten. Sie schauen in Richtung des Plakats, und ihre harte, enttäuschte Miene hellt sich auf, die morgendliche Verbitterung wird durch ein Leuchten unterbrochen, teilweise bricht sogar ein Lächeln hervor, ein träumerisches Gefühl streift den Gesichtsausdruck bis die Ampel grün wird und der Hintermann hektisch hupt.
Der Ort der Träume von Walter Brimke sieht ganz anders aus. Ein russisches Dorf mit schiefen Häusern. Überdimensionale Blumensträusse, freundliche Kühe, langgestreckte Liebespaare. Musikanten und Artisten. Ein Geiger im Baum, ein Mond. Der Hahn darf nicht fehlen. Und dies in einer ungewöhnlichen Farbenpracht.
Natürlich weiß er dass er nicht nach Wittebsk fahren sollte um diesen Ort zu suchen. Und auch nicht nach Saint Paul. Sondern hier bleiben. Und er wird dann gar nicht aussehen wie von Chagall gemalt. Sondern wie von Brimke gestaltet.
Eigentlich gar nicht so schwierig. Er müsste nur Zeit dafür haben. Die nächste Ampel zeigt Rot.

Freitag, Oktober 13, 2006

Alle fahren im Kreis, dem Ziel entgegen

Eine Sitzbank an der Hauptverkehrsstrasse. Ein Ort wo die Passanten nur schnell vorbeihasten. Verkehrslärm, schlechte Luft, Aussicht auf Blech und Beton. Ein überlaufender Abfalleimer steht daneben.
Herr Bertholdsmeiner ist froh über diese Bank. Seit er sich nach seiner letzten Hüft-OP nur noch schwerfällig bewegen kann, ist er über jede Sitzmöglichkeit glücklich. Etappenziele auf seiner täglichen Tour de France nennt er diese. Und er ist stolz darauf noch selbständig zu wohnen und sich nicht in ein Altersheim begeben zu haben.
Er setzt sich hin, versucht etwas zu entspannen und beobachtet mal wieder fasziniert den Verkehr. In seiner nur wenige Minuten dauernden Pause werden wieder hunderte von Autos an ihm vorbeirasen, drängelnd, hupend. Haben diese Autos wirklich alle ein Ziel ? Nicht nur einen Ort wo sie gerade hinfahren. Und ist alles wirklich so dringlich ?
Er lächelt. So schwer ihm seine angeschlagene Gesundheit das Leben auch macht - er hat gelernt dass er besser lebt und mehr versteht seit dem er zur langsamen Bewegung gezwungen ist.
Er richtet sich langsam auf, nimmt seine Krüken und wirft noch einen Blick auf die Strasse. Wenn die Fahrer einfach mal anhalten würden um Zeit zum Nachdenken zu haben. Da würden Sie sehen dass sie übertragen gesehen immer im Kreis fahren. Herr Bertholdsmeiner zuckt mit den Schultern und schleppt sich langsam weiter. Er hat es auch erst erkannt als es fast zu spät war.

Donnerstag, Oktober 12, 2006

Fernsprechen nur mit Stil

Das Handy von Frau Brugger klingelt. Der durchdringende, fast markerschütternde Klingelton durchschneidet die angenehme gedämpfte Atmosphäre des Cafés. Panisch kramt die weißhaarige Frau in ihrer Handtasche nach dem Unruhestifter. Endlich findet sie ihn, schiebt die Brille hoch und drückt konzentriert die grün markierte Taste.
Dann spricht sie hinein: "Mußt Du so ein Lärm machen, Susanne ?"
"Aber Mama ! Ich wollte Dir sofort erzählen was mir heute passiert ist."
"Warum mußt Du hier hereinplatzen wenn ich beim Kaffeetrinken bin ? So habe ich Dich nicht erzogen. Ich werde das Ding nicht mehr mitnehmen."
"Mutter, ich habe Dir oft erklärt dass das zu Deiner eigenen Sicherheit ist, wenn Du zum Beispiel stürzt..."
"Fangen wir diese Diskussion nicht wieder an ! Übrigens, könntest Du mich bitte mal anrufen ? Ich habe da eine Bitte an Dich."
"Mama ! Wir telefonieren gerade !"
"Ich meine nicht diesen schrecklichen Störenfried benutzen. Ich meine richtig anrufen und miteindander sprechen, mein Kind. Entspannt in meinem Lieblingssessel. Mit einem schönen Telefon. Ich bin so um 17 Uhr zuhause."
"Aber willst Du gar nicht wissen warum ich mich angerufen hast ?"
"Doch, da bin ich sehr gespannt. Also rufe mich bald an und erzähle es mir !"
Damit unterbricht sie das Gespräch mit einem konzentrierten Druck auf die rot markierte Taste und räumt das Handy wieder in die Handtasche. "Kinder" seufzt sie und die Freundinnen nicken wissend und nippen an den Kaffeetassen.

Mittwoch, Oktober 11, 2006

Kunstaustellung in der Hypergalerie

Nick Schäbele schiebt seinen Einkaufswagen durch die Gänge des großen Supermarktes. Staunend blickt er an den Nudelpackungen entlang. Wie soll sich da ein Mensch entscheiden können ? Aber ein sehr ästethischer Anblick, wie ein Mosaik aus verschiedenen Grundsteinen, jeweils ein anderes Material, und dann noch unterschiedlich eingefärbt.
Der nächste lange Gang: Konservendosen. Das ist ein wunderbares Farbenspiel ! Fast schon wie eine auf Farbpunkte reduzierte Blumenwiese.
Einen Gang quer dazu: Haushaltswaren. Eine beeindruckende Skulptur. Was will mir der Künstler mit dieser Ansammlung von Schüsseln und Töpfen in allen Formen und Farben sagen fragt sich Nick.
Die Größe dieser Ausstellung ist schon mehr als super. Die Franzosen haben das richtig erkannt, denkt sich Nick: Hypermarkt heißt so eine unendliche Konsumgalerie bei ihnen. Galerie im Sinne von Kunst überlegt Nick weiter, als er die verschiedenen Schokoladenpackungen auf sich wirken läßt. Und Einkaufspassage heißt auf Französisch ja auch galerie marchande.
Und wie beim Besuch eines Museums beginnt ihm langsam der Kopf zu brummen. Einfach zu viele visuelle Eindrücke. Er schiebt den leeren Einkaufswagen Richtung Ausgang. "Jetzt muß ich aber noch einkaufen gehen" denkt sich Nick als er in sein Auto steigt.

Dienstag, Oktober 10, 2006

Die Linien des Lebens

Stefanie Mertensbacher beschäftigt sich mit vielen Themen die die meisten ihrer männlichen Bekannten als "Eso-Kram" abtun. Und so dosiert sie sehr vorsichtig wieviel sie von dieser Seite preisgibt, und wieviel Welt abseits der reinen Daten ein männliches Wesen vertragen kann.
Gerade sitzt sie mit Ralph Schlomken, den sie bei der Geburtstagsfeier ihrer besten Freundin Manuela kennengelernt hat, in einer Kneipe und fängt vorsichtig an seine spirituelle Offenheit auszutesten.
"Manche behaupten man könne in den Händen die Lebenslinien lesen. Darf ich mal Deine sehen ?"
"Steffi, ich glaube nicht dass die Zukunft vorherbestimmt ist. Aber die Hände verraten dennoch viel."
"Was meinst Du, Ralph ?"
"Man sieht das Leben. An den Lebenslinien sieht man ob es bisher gradlinig war, ob es persönliche Katastrophen, Irrwege gab."
"An den Händen kann man die Vergangenheit ablesen ?"
"Ja. Du mußt beobachten wie sich die Lebenslinien im Laufe des Lebens ändern, wie aus geraden verästelte werden..."
"Ralph, das ist Blödsinn. Die Lebenslinien bleiben gleich. Von Anfang an."
"Steffi, ich bin überzeugt dass es funktioniert. Ich habe es bei meiner Oma gesehen. Und bei Manuela. Die Scheidung hat sich deutlich in den Lebenslinien verewigt."
"Das kann biologisch gar nicht funktioniert ! Ralph, Du bist schon ziemlich abgehoben."
"Steffi, Du enttäuscht mich. Ich habe Dich eigentlich für eine offene Frau gehalten. Es gibt viel jenseits Deines materialistischen Weltbilds zu entdecken."
Steffi schaut Ralph mit großen Augen an. Das ist sonst immer ihr Satz mit dem sie Gespräche wieder zurück auf festen Boden bringt. Obwohl der Abend bisher nicht so besonders verläuft, findet sie Raph immer anziehender.

Montag, Oktober 09, 2006

Ich wäre so gerne kein Individualist

Eva Mandtke sitzt etwas unruhig auf der Sitzbank der S-Bahn und kramt in ihrer braunen Lederhandtasche. Sie holt den kleinen Schminkspiegel hervor, klappt ihn auf und kontrolliert schnell ihr Styling. Lidschatten, Wimperntusche, Lippenstift - alles sitzt perfekt. Die Nase und die Wangen glänzen nicht. Auch das kleine Piercing über der Oberlippe glänzt. Die Haare sitzen perfekt, wie zufällig in die ansprechende Form gefallen.
Die großen Ohrringe pendeln locker. Vielleicht die Kleidung ? Schnelle prüfende Blicke beruhigen sie: Die weiße Hose ist tadellos, das Top sitzt perfekt. Kein übertriebenes Outfit wie für eine Party Freitag Nacht, sondern eher dezent und ansprechend.
Warum schauen sie die anderen Passagiere nur so unverhohlen an ? Sie durchwühlt wieder die Handtasche und findet die kleine Pillendose, holt einen lebenden Wurm heraus und füttert ihn Ludwig, der auf ihrer Schulter sitzenden Echse.
Die Menschen sind schon seltsam denkt sich Eva Mandtke. Da bietet so ein Begleiter schon Sicherheit. Vor allem da er auch Feuer speien kann. Gerade kringeln sich ein paar Rauchwolken aus den Nüstern der Echse.
Dem Kind auf dem Sitz gegenüber fallen fast die Augen aus dem Kopf. Er stottert nur "Der Drache, der Drache...". Seiner neben ihm sitzenden Mutter klappt der Mund auf.
Jetzt endgültig entnervt schreit Eva Mandtke sie an: "Starren Sie mich nicht so an ! Bin ich grün im Gesicht ? Habe ich Lepra ? Warum können Sie mich nicht in Ruhe lassen !"
Die Mutter spring auf, nimmt ihr Kind an der Hand und geht den Gang entlang.
Eva Mandtke seufzt tief und krault Ludwig auf dem Kopf. Sie wird die Menschen nie begreifen. Sie gibt sich alle Mühe ein normales Mitglied der Gesellschaft zu sein. Aber es klappt einfach nicht.

Samstag, Oktober 07, 2006

A oder B: Landschaft oder Stadtleben

Mrs Coldbury tritt auf die Terasse ihres kleinen Häuschens. Ihr Blick schweift über die malerische kleine Bucht, die Steilküste, den weißen Sandstrand, die sorgsam darauf drapiert wirkenden Felsbrocken.
Sie stellt das Tablett auf dem Teakholztisch ab, setzt sich, rückt die Teekanne, die Tasse und das Besteck zurecht, nimmt sich den Teller Weetabix und blickt auf das Meer. Sie kneift die Augen zusammen und blickt auf den Horizont. Heute könnte die französische Küste auf der anderen Seite des Ärmelkanals zu sehen sein.
Aber auch so wird sie von ihren Gästen beneidet: "Ach wenn ich so wohnen könnte. Diese Ruhe. Und dieser Ausblick. Da muß man ja nie mehr in den Urlaub." Und Mrs Coldbury lächelt dazu und streicht das widerspenstige graue Haar hinter das Ohr.
Sie würde gerne nicht so einsam leben. Nachbarn mit denen man sich über den Zaun unterhalten kann. Einkaufen ohne lange Autofahrt. Abends zu Fuß in den Pub. Einfach raus und unter Leuten sein. Und nicht diese bedrückenden Herbstabende wenn der Nebel vom Meer die Felsen emporkriecht und das Haus in undurchdringbarem grauen Tuch umhüllt.
Sie beißt vom Toast ab. Unten auf dem Strand hat sich ein Seehund in Pose geworfen. Ein Schiff zieht nahe dem Horizont über die silberblaue Fläche.
Wahrscheinlich haben ihre Gäste trotz allem recht.

Freitag, Oktober 06, 2006

Zugvogel

Sehnsüchtige Blicke in den Himmel. Wolkenformationen studieren. Warten auf den richtigen Moment. Warten auf die Anderen. Kurz Aufsteigen. Die Thermik spüren.
Das goldene Herbstlicht ist ein Zeichen. Die Kühle der Morgen ebenfalls.
Bald geht es los.
Abschied nehmen. Vertrautes zurücklassen. Ein Abenteuer ruft. Auch Gefahr.
Die letzten Tage genießen. Im Baum sitzen und singen. Die Nervosität überwinden.
Dann aufwachen und spüren: Heute ist der Tag.

Donnerstag, Oktober 05, 2006

Aus dem Impuls handeln, beim Zeus !

Zeus will heute unter Anleitung richtig abschalten. Nach einem Tag mit endlosen Sitzungen in der Olymp AG, einem Interview mit der führenden japanischen Götterzeitung und einer Probeaufführung einer neuartigen Flutwelle schlendert er auf den Wolken entlang, begleitet und angeleitet von seinem persönlichen Fitness-Trainer.
Plötzlich ruft der Coach "Freak out !". Zeus beginnt zu brüllen und herumzuspringen, will einen Blitz schleudern - und bleibt dann etwas verwirrt stehen.
"Nicht nachdenken ! Kopf abschalten und aus dem Gefühl handeln" schaltet sich der Trainer ein.
"Aber wohin soll ich den Blitz schleudern ? Will ich wirklich die Wandergruppe treffen ? Die Kirche ? Das Hochhaus ?"
"Oh je. Da müssen wir langsam anfangen, war wohl ein sehr harter Tag heute."
Nach 30 Minuten verschiedenster Übungen zum Entleeren des Kopfes und zur Aktivierung der inneren Spontanität erschillt plötzlich wieder der Ruf "Freak out !".
Und Zeus folgt unbekannten Impulsen, versenkt erst einen Öltanker, schießt eine Taube aus einem Baumwipfel und fügt einer Kindergartengruppe schwere Verbrennungen zu.
Am nächsten Tag muss sich Zeus schwere Vorwürfe anhören, sein kindisches Verhalten passe nicht in das Bild eines modernen, offenen Unternehmens und würde das gute Verhältnis mit den Kunden beschädigen.
Zeus lehnt sich in seinem Chefsessel zurück, auf den er trotz aller "wir sind alle ein Team"-Rhetorik nicht verzichtet, und blickt in die Runde. "Nichtsdestotrotz bin ich ein Gott. Und damit Schicksal. Das müssen unsere Kunden begreifen."

Mittwoch, September 27, 2006

Wort-Ex

Wie verläßt man ausgefahrene Gleise ? Wie kann beim Dichten etwas ganz Neues entstehen ? Man muß die bereits in einer Umgebung gedachten Wörter ignorieren und bei Null anfangen sagte sich Andreas Breitlein, der sich unter seinem Pseudonym Andi Psita schon eine gewisse Anhängerschaft erarbeitet hatte.
Aber das neu anfangen war schwierig. Er versuchte nicht zu esoterisch zu klingen wenn er Freunden sein Problem darlegte: Dass die Schwingungen der an einem Ort entstandenen Wörter seine Gedanken beeinflussten und ihm die Freiheit der Kreativität einschränkten.
Daher war er auf der Suche nach einem Wort-Ex. Beseitigt abgestandene Wörter sofort. Einfach sprühen und die Buchstaben auf dem Boden zusammenkehren. Um dann frei erschaffen zu können.
Sein Freund Bit Sequenz, dessen bürgerlicher Name niemand bekannt war, hatte aufgehört mit Andi über diese These zu diskutieren. Er wußte genau - mit Word-Ex würde Andi nie mehr etwas zustandebringen, verzweifelt vor dem leeren Blatt Papier sitzen.
Denn er selber wurde als König der referenzlosen Poesie gefeiert, als jemand der alles hinter sich eingerissen hat und nun eine neue Literaturwelt erschafft. Aber jedes seiner einzelnen Gedichte spiegelte nur genau den Entstehungsort und die dortige Aura wieder.

Montag, September 25, 2006

Ein Loblied der Flora und ihren Freunden

Stefan liebt seinen Garten. Wenn er abends nach Hause kommt schaut er nach seinen Pflanzen. Und immer gibt es etwas zu tun: Schneiden, Unkraut jäten, gießen, stecken, binden, säen, einpflanzen - und natürlich ernten. Das verbindet Stefan besonderes mit seinem kleinen Paradies: Es gibt eine Erdbeerzeit - jeden Abend frische Erdbeeren, Erdbeerquark, Erdbeereis. Es gibt die Johannisbeerzeit - frische Johannisbeeren mit Milch, Johannisbeerkuchen. Es gibt die Radieschenzeit.
Es gibt aber auch die Dahlienzeit - sich auf der Terasse sitzend an den bunten Farben laben. Oder die Schneeglöckchenzeit - die Vorboten des Frühlings entdecken.
Und so erfreut ihn seine grüne Oase jeden Tag - und dankt ihm für seine Gartenarbeit. Und kommuniziert auch eifrig mit ihm.
Als Stefan sich überlegte dieses Jahr auf die Herstellung des eigenen Birnenschnaps zu verzichten fiel ihm eine Birne direkt vor die Füße. Der Garten hatte ihm ein Zeichen gegeben - und der sehr geschmackvolle Hochprozentige wird auch dieses Jahr wieder destilliert.

Sonntag, September 24, 2006

Die Revolution ist abgesagt

Robert Wintersteiger hatte genug. Tag für Tag war er durch die zentralen Straßen des Stadtteils gegangen, die selbstgemalten Werbeplakate umgehängt, und hatte Flugzettel verteilt. "Revolution jetzt ! Aufruf zur Gründung der Stadtteilrepublik. Keine Macht den Bonzen - alle Macht dem Proletariat."
Die Resonanz war gering gewesen, er war aber die ganze Zeit überzeugt gewesen seine Zeit als Rentner so sinnvoll zu nutzen. Die Stadtteilrepublik war sein Lebensziel.
Allerdings war es schon immer etwas kränkend spöttisch gefragt zu werden ob er 1918 auch dabeigewesen sei. Schlimmer waren aber die mit vollen Tüten der Nobelläden beladenen Passanten, die ihn als Kommunisten beschimpften und die üblichen "dann geh doch nach drüben" Sprüche klopften. Genau gegen diese Personen mußte sich das Volk erheben. Am schlimmsten war es aber von Bewohnern des Stadtteils ihren Gästen von außerhalb als lokales Kuriosum vorgeführt zu werden.
Das waren ein paar Kränkungen zu viel. Jetzt mußte er den Prozeß beschleunigen - und die Republik gleich ausrufen. Den ganzen Nachmittag streifte Robert Wintersteiger durch sein Viertel und suchte einen geeigneten Balkon. Er sollte repräsentativ sein, an einem kleinen Platz liegen, gut erreichbar sein.
Aber als die Sonne die Dächer bereits blutrot färbte hatte er immer noch keinen geeigneten Balkon gefunden.
"Dieser Stadtteil ist einfach nicht für Revolutionen gemacht" dachte sich Robert Wintersteiger und warf die umgehängten Plakate und die Flublätter in die nächste Abfalltonne.

no regrets and no excuses now

In letzter Zeit macht sich eine gewisse Blogunlust breit. Wenn ich wüsste woran das liegt könnte ich vielleicht etwas dagegen tun falls ich dann zum Schluß kommen würde daß dies etwas ist was geändert werden sollte.
Aber so - der Titel dieses Beitrags ist zur Melodie von "no suprises" von Radiohead zu singen.

Mittwoch, September 20, 2006

Die ferne Verwandschaft

"Fledermäuse. Alleine der Klang dieses Namens. Und dann sehen sie so niedlich aus. Schau wie friedlich sie da hängen und sich in süßen Träumen vom anstrengenden Tagwerk erholen."
"Heiner ! Wenn Du sie nicht verscheuchst mache ich das. Ich kann in meinem Schlafzimmer kein Auge zutun wenn da Fledermäuse an der Decke hängen !"
"Ach Erika ! Die sind geschützt. Und es ist doch toll die bei uns zu haben. Außerdem sind sie nachts aktiv."
"Du spinnst ! Wenn sie auch noch herumflattern während ich schlafen will, ist das besser ? Schluß !"
"Hör doch bitte. Du weißt doch von meinen verwandschaftlichen Wurzeln."
"Heiner, lenke jetzt nicht wieder ab."
"Ich meine die rumänische Linie, Transsylvanien..."
"Du behauptest das sind Verwandte ? Dann sollen sie sich vorher anmelden. In diesem Haushalt sind Gäste sehr willkommen, aber nur angemeldete."
"Erika, nicht !"
"Schau wie sie davon fliegen. Und wenn jetzt gleich ein schwarzgekleideter Mann vor der Wohnungstür steht und seinen Besuch anmelden will, bitte schön !"

Dienstag, September 19, 2006

Die Kunst des Schenkens

"Schlicht sollte sie aussehen. Klassisch aber sachlich. Zeitlos und harmonisch".
Der zukünftige Ehemann beschreibt gerade im Haushaltswarengeschäft seine Vorstellung von einer Kaffeetasse, die er sich auf den Hochzeits-Wunschtisch in der renommierten Adresse stellen lassen will. Zusammen mit seiner Freundin und zukünftigen Ehefrau hatte er schon ein Service von Wedgewood und eines von Hutschenreuther, WMF-Besteckgarnituren und ganze Gläser-Kollektionen für die Wunschliste an die illustren Gäste ausgesucht. Nun waren sie bei den Kaffeetassen für den Kaffee zwischendurch angelangt.
"Aber Steffen, ich will da lieber etwas buntes, fröhliches, leuchtendes" widerspricht Aurelia.
"Du hast schon die Bordure auf dem Teeservice durchgesetzt."
"Aber du die Bauhaus-Suppengarnitur."
"Und was ist mit den Bowle-Gläsern, liebe Aurelia ?"
"Komm, wir streiten jetzt nicht. Es soll doch nur etwas für zwischendurch sein. Da kann ich doch eine Tasse nehmen und Du eine andere."
"Warum hast Du immer so gute Ideen ? Was haben Sie denn da zur Auswahl ?"
Der Verkäufer blickt ratlos zwischen den hochwertigen Porzellanbergen umher. "Ich glaube ich habe da etwas".
Er verschwindet in einer Ecke des hell erleuchteten Raumes hinter einem Vorhang und kommt dann mit einer Standard Kaffeeautomatentasse und einer Biene Maja Tasse zurück.
"Das nenne ich gelungenes Design" lobt Steffen das funktionale Trinkgefäß.
"Die ist aber nett" freut sich Aurelia über die Erinnerung an eine ihrer Kindheitsheldinnen. "Wieviel kosten die denn ?"
"Gar nichts" meint der Verkäufer. "Die benutze ich hier immer in den Pausen zum Kaffeetrinken. Die schenke ich ihnen gerne zur Hochzeit."

Montag, September 18, 2006

Auf die andere Seite der Theke wechseln

Bettina hatte seit einer Woche wieder Spaß an der Arbeit. Die Kunden die morgens früh mit versteinerter Miene die Bäckerei betraten, mit möglichst wenigen Worten bestellten, sie beeinträchtigten ihre Stimmung nicht mehr. Auch das Aufstöhnen wenn Bettina in den Augen ihrer furchtbar wichtigen Kunden etwas zu lange zum Einpacken brauchte, oder wenn sie etwa nach Kleingeld zu fragen wagte wenn mal wieder eine gockelhaft ausstaffierter Büromensch eine Butterbrezel mit einem 50 Euro-Schein bezahlen wollte.
Nachmittags hatte ihr der Beruf schon immer Spaß gemacht. Wenn sie die Kunden beraten konnte, auf ihren Geschmack eingehen.
Als vor zwei Wochen ein Kunde mehrere Stücke Mohnkuchen verlangte, und dann ratlos vor den Angebot aus Mohntorte, Mohnstriezel, Mohnkuchen gedeckt und Mohnkuchen mit Apfel stand, hat sie mit zielgerichteten Fragen und kluger Analyse festgestellt für welchen der vier Gäste des Kunden welches Mohngebäck am besten geeignet war.
Zwei Tage später hat sie der Kunde zu einem Vorstellungsgespräch geladen, da ihre Analyse auf seine Geschäftspartner voll zugetroffen hatte und er dieses Wissen für einen erfolgreichen Geschäftsabschluß hatte ausnutzen können. Und nun hat sie einen Vertrag auf ihrem Küchentisch liegen, und wird in der kleinen Unternehmensberatung in der Personalberatung tätig sein.
Jetzt freut Bettina sich jeden Morgen über den Gedanken ein paar dieser sich überwichtig nehmenden Kunden eines Tages in ganz anderer Funktion gegenüber zu sitzen.
Nur die nachmittäglichen Stammkunden werden sie sehnlichst vermissen.

Für D. und U. - ich drücke die Daumen !

Sonntag, September 17, 2006

Eisklang

Seit Heinz Seitenegger im Alter von 10 Jahren den Gitarrenkoffer in einer völlig verstaubten und von Spinnweben überdeckten Ecke des Kellers entdeckt hatte war ihm klar dass er sein Leben lang Musik machen wird. Er fing an sich das Spielen selber beizubringen. Später hatte er seine Eltern überredet ihm Gitarrenunterricht zu zahlen, zu dem er durch die Felder in das Nachbardorf radeln musste. Natürlich hatte er ihnen nichts von seinen Plänen erzählt - schließlich sollte er als ältester Sohn eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten und den seit mehreren Generationen in Familienbesitz befindlichen Hof übernehmen.
Mit 12 Jahren war er bei der elektrischen Gitarre angekommen und spielte in seiner ersten Band. Dort wurde er aber bald wieder hinausgeschmissen, da er schon längst jenseits der üblichen Riffs und der traditionellen Gitarrensolos war, die seine Bandkollegen von ihm verlangten. Aber Metallica oder Queens of the Stone Age nachzuspielen war ihm zu öde. Er wusste jetzt dass er die Welt mit neuen Klängen begeistern muß, dass er eine neue Dimension des Gitarrenklangs eröffnen wird.
Und so steht er nun mit 14 Jahren auf dem Steg des Chiemsees und beginnt das Boot zu beladen, dass er von seinem Onkel ausleihen wird - ohne es ihm vorher zu sagen. Er hat alles gut geplant. Viele Vorräte, genug Geld aus der schwarzen Kasse seines Vaters, Winterkleidung, und die Hauptsache: Seine elektrische Gitarre, die umfassende Sammlung an Effektgeräten, und der Generator.
Eisresonanz, das wird der Gitarrenklang der alles bisher dagewesene in den Schatten stellt. Ein Sound der direkt das Innerste anspricht, der alles erklärt, sozusagen der Heilige Gral der Gitarre.
Der Boot ist beladen, noch einen Blick in den Weltatlas: Im Prinzip erst immer flußabwärts, dann der Rhein-Main-Donau Kanal, dann wieder flußabwärts, und dann immer Richtung Norden, bis Eisberge in Sicht kommen.

Freitag, September 15, 2006

Gold

"Ich suche Gold" antwortet der zusammengekauerte Mann auf die Frage des Polizisten, was er da im Rinnstein mache.
"Stehen Sie erstmal auf" meint der Polizist zu der nicht richtig in diese glänzende Einkaufsstrase passenden Gestalt, die mit den zerfetzten und verdreckten Mantel und den wilden, grauen Haaren nicht den besten Eindruck hinterläßt. Der Mann steht auf, dreht sich um und schaut den Polizisten mit stechend blauen Augen an. Es ist eine imponierende Gestalt, um die 60 Jahre, durchtrainiert, und abgesehen von der Kleidung und dem wilden Haar und Bartwuchs gepflegt aussehend.
Der Polizist ist ziemlich beeindruckt, aber professionell genug um sich nicht anmerken zu lassen dass er eigentlich einen besoffenen, heruntergekommenen Menschen im Rinnstein vermutet hat.
Er kontrolliert die Papiere, ein Wohnort in einer fernen Stadt ist eingetragen. Er ist etwas unschlüssig und sagt dann: "Das ist gefährlich, an der befahrenen Straße im Rinnstein zu sitzen. Bitte gehen Sie jetzt weiter".
Der Mann widerspricht mit tiefer Stimme: "Aber ich sitze nicht herum, ich suche Gold".
"Und haben Sie schon etwas gefunden ?"
"Das würde ich Ihnen doch nicht verraten, denn dann müsste ich es sicherlich abgeben !".
Der Polizist merkte, mit diesem Mann wird er seine Schwierigkeiten haben. Wenn er hier den offiziellen Vorgang eröffnet wird das eine mühselige Angelegenheit. Also lieber eine schnelle Lösung finden.
"Dann ermahne ich sie jetzt offiziell dass ich Sie nicht mehr hier sehen will, sonst muß ich etwas unternehmen."
"Keine Angst, das ist hier keine gute Stelle. Ich bin mir sicher in dieser Stadt gibt es noch irgendwo einen weiteren Ort wo ich fündig werde."
Damit nimmt er den völlig verschlissenen Rucksack auf den Rücken und macht sich auf den Weg, während er mit der Hand in der Hosentasche mit den kleinen Goldstückchen spielt, die er heute bereits in einer anderen Straße gefunden hatte.
Der Polizist schaut ihm nach. Warum muss er das Umfeld der Luxusläden von allem freihalten, was deren Besitzer als ihrem Umsatz abträglich halten, während er selber nie genug verdienen wird um in diesen Geschäften einzukaufen ? Dafür ist er nun wirklich nicht Polizist geworden.
Kurzentschlossen läuft er hinter dem Mann her: "Halt, bleiben Sie bitte stehen ! Könnten Sie mir das mit dem Goldsuchen erklären ? Ich meine privat ?"

Donnerstag, September 14, 2006

Feste gelingen lassen

"Wohlan. Lasset den Tag gelingen, uns wohlbefindlich fühlen und ein kurzweiliges Amusement verlaufen !" Fürst Theodor hasste es die gestelzte Sprache zu benutzen. Noch mehr widerte ihn aber das barocke Unterhaltungsprogramm an. Dämliche Theaterstücke, langweilige Tänze, Einschlafmusik. Und dabei als erfreuter Souverän wirken.
Aber heute war wieder so ein Tag. Sein Hochzeitstag, da wurde so etwas einfach verlangt, und daher hat er gerade schweren Herzens den Beginn der Feierlichkeiten ausgerufen.
Die erste Gruppe von Artisten fing im Thronsaal an zu jonglieren, das ist ja noch ganz nett und nicht so aufdringlich dachte sich der Fürst.
"Ihre hochwohlgeborene Gemahlin, die Fürstin" verkündete der Hofmarschall. Seine geliebte Frau betrat den Thronsaal durch die nun weit geöffneten Flügeltüren und bewegte sich langsam auf ihn zu, begleitet von ihrer vielköpfigen Entourage.
Als sie neben ihm auf dem etwas kleineren, tiefer stehenden Thronsessel Platz genommen hatte, stöhnte sie leise auf. "Muss der Hochzeitstag immer so eine Qual sein !"
Der Fürst war sprachlos, und dann meinte er vorsichtig: "Gefällt Dir das nicht ? Willst Du lieber italienische Theaterstücke ? Vielleicht etwas bäuerlichere Musik ? Ein Ballett ? Oh verzeih mir, ich werde sofort Tänzer bestellen !"
"Ich würde viel lieber mit Dir spazierenfahren, irgendwo picknicken, und ohne Unterhaltungsprogramm ! Ich kann diese Feste nicht mehr ausstehen."
Fürst Theodor sprang auf und rief "Schluss !", denn für seine Frau machte er wirklich alles. Die Artisten blieben wie versteinert stehen, sein Hofmarschall, stürzte auf ihn zu, und mit wenigen Worten gab der Regent die neue Richtlinie aus.
Als sich eine Stunde später das Fürstenpaar in einer offenen Kutsche auf den Weg machte, begleitet von der berittenen Leibgarde, den wichtigsten Mitgliedern des Hofstaats, den persönlichen Dienern so wie der mehrere Lastkarren umfassenden, schnell improvisierten mobilen Schlossküche war die Fürstin glücklich. Das war natürlich nicht so wie ein intimes Picknick zu zweit in ihren romantischen Träumen aussah, aber ein guter Anfang. Und auch der Fürst strahlte. Sollten die jetzt ruhig in seinem Schloss Theater spielen, tanzen und deklamieren. Er freute sich auf ein Festtag frei von höfischem Gehabe. Und vielleicht könnte er seine Frau öfters fragen was sie denn wirklich gerne mag.

Dienstag, September 12, 2006

Tunnel mit Wunsch-Ausfahrt

"Achtung Tunnel" kräht Lukas begeistert von hinten aus seinem Kindersitz.
"Schnell ducken" ruft sein Vater, der die Euphorie seines Sohnes oft nicht verstand, sich aber bemühte ihn nicht zu bremsen.
"Papa, woher weißt Du wohin der Tunnel führt ?" Die Gedankengänge seines Sohnes begeisterten ihn aber immer wieder. "Weil ich schon oft hier gefahren bin. Und Du doch auch."
"Aber wenn er es sich einmal anders überlegt ?" wirft Lukas ein. Vater bemüht sich nicht loszuprusten. "Lukas, Tunnel leben nicht. Die werden einmal gebaut, so wie Du die Strassen für Deine Autos baust".
"Ja, aber die führen dann einmal ans Meer und am Nachmittag zu den Rittern".
"Weil das in Deiner Phantasie so ist. Die Strassen sind aber immer in Deinem Kinderzimmer".
Lukas bleibt einen Moment still. Aber nicht weil er seinem Vater recht gibt, sondern weil er merkt dass er ihn nur mit Beweisen überzeugen kann.
"Jetzt kommt der nächste Tunnel. Und der führt jetzt zu den Dinos".
"Genau ! Und in fünf Minuten sind wir zuhause".
Als das Auto wieder im Tageslicht auftaucht tritt Vater erschrocken voll auf die Bremse. Es sieht alles so anders aus ! Die Landschaft ist wild, statt auf der Strasse stehen sie in einem ausgetrockneten Flußbett.
"Schau da" ruft Lukas mit überschnappender Stimme. "Eine Dino-Herde !"

Sonntag, September 10, 2006

Der Brunnen am Rande des Platzes

Der Brunnen führte eine friedliche, unbeachtete Existenz an einem Platz im alten Stadtviertel, in dem noch viele Gebäude aus der Gründerzeit erhalten waren. Der Platz war eigentlich nur eine etwas größere Kreuzung, die Häuser zurückhaltend und nicht verspielt. Und der Brunnen selber auch eher sachlich gehalten. Aber doch ein erfrischender Anblick.
Seit einiger Zeit spürte der Brunnen aber eine Unzufriedenheit, eine Leere, er wollte sich neu finden. Midlife-Krise nennt man das, und er wußte dass er mit seinem Alter von um die hundert Jahren genau in dieser kritischen Phase war. Aber was soll man machen ?
Und so begann er buntes Wasser plätschern zu lassen. Die ersten Passanten reagierten besorgt, wollten die Stadtwerke anrufen. Da war ihm klar dass er mehr bieten musste damit es nicht als Fehlfunktion gedeutet wird. Und er ließ die Wasserfarbe rasch wechseln, ließ richtige Kompositionen ablaufen.
Diese neue Attraktion sprach sich schnell herum, bald kamen viele Leute die er in der Straße noch nie gesehen hatte. Abends versammelten sich dann ein paar Jugendliche um bei seinen Farben zu verweilen und die Nacht zu genießen.
Nach einer Woche wurde es ihm dann schon lästig: Der Lärm die ganze Nacht, die Zigarettenstummel in seinem Wasser, die leeren Bierflaschen auf seinem Rand. Und er stellte das Farbenspiel wieder ein.
Von Abend zu Abend wurden es weniger Besucher, und bald war die Nachtruhe wieder eingekehrt. Aber der Brunnen merkte: Jetzt wurde er wahrgenommen. Er hat sich in das Bewußtsein der Anwohner gedrängt. Nun bleibt ab und zu einer auf dem Weg zur Arbeit stehen und schaut wie das Wasser in der Morgensonne glitzert, Kinder versuchen auf seinem Rand zu balancieren, manchmal streicht eine Hand durch das Wasser.
Trotz hohem Alter weiter beachtet. Der Brunnen schöpfte neue Zuversicht.

Weiterführende Literatur hier

Samstag, September 09, 2006

Unerwartete Mondfinsternis

Normalerweise war er immer so motiviert. Und es machte ihm auch Spaß einfach da zu sein, zu beobachten, und sich dabei langsam zu bewegen. Wie schon seit Jahrtausenden.
Aber heute hatte der Mond unerklärlicherweise keine Lust. Einfach mal eine Nacht ausspannen. Die Seele baumeln lassen - ein Ausdruck den der Mond sehr gerne mag.
Aber kurz nach seinem vorhergesehenen Aufgang hatte er die ersten Bedenken. Wenn nun jemand in den Himmel blickt und ihn vermisst ? Zu ihm sprechen will und er ist nicht da ? Wenn er die Wünsche und Gedanken nicht empfangen kann. Wenn andere ihre Seele nicht baumeln lassen können. Wenn Gedichte und Lieder über ihn nicht geschrieben werden können, weil er nicht da ist um zu inspirieren. Nein, er muss heute auch scheinen.
Also doch schnell auf den Weg machen. Schon zu spät dran, also die Abkürzung, den direkten Weg nehmen. Der geht aber kurz durch den Erdschatten. Wird schon keiner merken...

Donnerstag, September 07, 2006

Toni und die Rekursion

Die kleine Maus Toni wacht morgens auf. Ach wie hat sie gut geschlafen ! Die Sonne scheint durch das Fenster. Heute gibt es sicher wieder viel zu erleben.

In der Küche hat Mama schon das Frühstück gedeckt. Papa sitzt bereits am Tisch un trinkt Kaffee. Für Toni gibt es einen leckeren Kakao zum Frühstück ! Da freut sich Toni.

Dann geht Toni ins Freie. Da ist ja sein Freund der kleine Vogel Paul ! Zusammen spielen sie am Bach.

Da kommen zwei Menschen ! Schnell verstecken sich Toni und Paul hinter einer Blume. Es ist eine Mutter mit ihrem Kind. Sie setzen sich auf die Wiese.

Die Mutter lehnt an einem Baum und hat ihr Kind auf dem Schoß. Sie liest ihm das Bilderbuch "Toni und die Rekursion" vor.

Toni ist etwas ängstlich, aber Paul sagt: Das müssen wir uns genauer anschauen. Sie schleichen näher und klettern auf den Baum.

Die Mutter liest gerade die Seite vor in der Toni und Paul sehen wie die Mutter gerade die Seite vorliest in der Toni und Paul sehen wie die Mutter gerade die Seite vorliest...

Toni wird plötzlich ganz schwindelig. Er springt auf die Wiese und legt sich hin. Er stöhnt: Von dem Buch bekomme ich Kopfweh ! Und jetzt ist Zeit zum Mittagessen !

Toni bringt Paul nach Hause zum Mittagessen mit. Sie erzählen Tonis Mama von dem Bilderbuch. Mama schöpft den Eintopf in die Teller und sagt dann: Wenn ihr alt genug seid um das Buch zu verstehen seid ihr zu alt für so ein Bilderbuch.

Das verstehen die beiden nicht, aber das macht gar nicht. Nach dem Mittagessen rennen sie glücklich ins Freie um weiter ihre Kindheit frei von philosophischem Ballast zu geniessen.

Mittwoch, September 06, 2006

Rotwein am Fuße des Olymps

Michael Schneider steht am Küchenfenster und schaut auf die von Straßenlaternen erleuchteten parkenden Autos herab. Er hat lange nachgedacht, und eigentlich liegt alles klar vor ihm.
Dass die FAZ sein Talent nicht erkannt hat sollte ihn eigentlich nicht verwundern. Die Geschichte zeigt dass viele Genies erst spät den angemessenen Ruhm erlangten. Und außerdem - sollte er sein Talent wirklich an den Journalismus verschwenden ? War er nicht für größeres auserwählt: Den Schlüsselroman seiner Generation schreiben, oder das Buch das eine ganze Jugend prägt, oder den Roman der noch nach hundert Jahren als geniales nur von wenigen verstandenes Meisterwerk gefeiert wird ?
Er nimmt ein Schluck aus dem Rotweinglas. Ein schwerer Bordeaux. Nichts leichtes, süssliches, keine schnellen Effekte, sondern etwas mit Nachklang, Tiefenwirkung. So soll sein Buch werden. Er kann es schon fühlen.
Jetzt muss er nur noch anfangen es zu schreiben. Ja, nächstes Wochenende müsste er etwas Zeit haben, da wird er den Grundstein für seinen Aufstieg in den Literaten-Olymp legen.
Er beobachtet die Wirkung des Mondlichts auf sein Weinglas. Da kann er den Roman schon komplett herauslesen.

Dienstag, September 05, 2006

Else Kling, Muse der Modernen

Helmuth Indrensen. Ein guter Name für einen Autor. Der klingt intellektuell und außergewöhnlich denkt sich Michael Schneider. Das ist schon die halbe Miete. Dann der Titel. Ein Geniestreich. So viel Aussage in fünf Wörtern und einem Satzzeichen.
Und dann die Referenzen, das Name-Dropping. Wittgenstein, Marcuse, Sontag, Tournier, Diedrichsen, auch ein kleiner Bezug auf Descartes und Voltaire. Die wichtigen Schlagworte. Dekonstruktivismus, Neo-Vaudeville, nachhaltige Urbanisierung.
Dieser Artikel wird seine Eintrittskarte in den seriösen Journalismus. Den kann die FAZ gar nicht ablehnen. Michael Schneider wirft einen liebevollen Blick auf seinen Laptop. Sein Nachruf auf Annemarie Wendl ist schlicht ein Meisterwerk.

Montag, September 04, 2006

Schoko-Nußschnecke in Felix Austria

Lange hatte sie auf diese Rückkehr gehofft. Es hat zähe Verhandlungen bedurft, sie musste alle ihre Diplomatie, aber vor allem ihren unwiderstehlichen Charme einsetzen. Und jetzt stieg sie in Salzburg aus dem Zug der auf keinem österreichischen Fahrplan verzeichnet war. Sie hatte noch fast eine Stunde bis der nächste Zug nach Wien fuhr. Also vorsichtig raus auf die Straße. Es ist schon ungewohnt das alles wirklich zu sehen, eine ganz neue Welt. Andererseits war sie durch das Fernsehen gut vorbereitet. Die anderen Passanten schauten sie gar nicht so erstaunt an, in dieser durch Tourismus geprägten Stadt waren sie wohl Leute in historischen Kostümen gewohnt.
Sie ging die Straße entlang bis sie durch eine Bäckerei magisch angezogen wurde. Sie konnte nicht widerstehen und betrat den Laden. Bewundernd stand sie vor der Vitrine. "Dieses Gebäck sieht allzu köstlich aus. Um was handelt es sich hier ?" fragte sie die Verkäuferin.
"Das ist Hefeteig mit Schokoüberzug, und das sind Nußschnecken mit und ohne Schokolade. Und die sind wirklich lecker".
"Ich möchte gerne dieses hier. Obwohl wenn Sie sagen die Nußschnecken..."
"Ich gebe Ihnen auch von beiden die Hälfte".
"Das wäre wirklich sehr liebenswürdig. Und bitte packen Sie mir das zum Mitnehmen ein, wenn es nicht zu viele Umstände macht".
"Dann packe ich Ihnen noch Servietten dazu. Sie haben ja sehr schönes Wetter heute für Ihren Besuch".
"Ich fahre gleich nach Wien weiter".
"Dann empfehlen Sie uns trotzdem weiter. Und wenn ich es bemerken darf: Sie sind die überzeugendste Sissi-Darstellerin die ich bisher gesehen habe."
Später im Zug merkte sie wie glücklich sie war wieder in ihrem Österreich zu sein. Solche herzlichen, offenen, freundlichen Menschen gibt es nur hier, wie sie auch im Himmel feststellen musste. Und als sie in die Nußschnecke biss durchfuhr sie ein Wohlgefühl. Österreichische Süßspeisen, das ist der wahre Himmel. Sie schaute auf die Papiertüte der Bäckerei. Flöckner, seit 1837. Sie hatte es gewußt. Ihr Österreich lebt noch.

Donnerstag, August 31, 2006

Kleines Blogpäusle bis 3.9.

Ein verlängertes Wochenende inclusive ritueller Mozartanbetung ist geplant.

Kühle Stars - jetzt auf ihrem Filmfest

Der rote Teppich ist ausgerollt, die Presse hat die Kameras gezückt, viele Schaulustige haben sich versammelt um einen Blick auf die Stars zu erhaschen. Zur Premiere von "Rendezvous am Kühlschrank" haben sich die Hauptdarsteller angesagt, nicht besonders talentierte aber wegen ihres Aussehens um so beliebtere Schauspieler.
Ein Kombi mit verdunkelten Scheiben rollt an. Scheinwerfer werden angeschaltet, Mikrofone gezückt. Ein Kreischen erhebt sich, vor allem der Vorname des männlichen Darstellers wird in gefährlich hohen Frequenzen geschrien.
Zwei Männer in Arbeitskleidung steigen aus, öffnen die Heckklappe, ziehen eine Sackkarre hinaus, danach einen Kühlschrank und stellen ihn auf das Transportgerät. Nach einer kurzen erschreckten Stille geht das Toben wieder los. Da kommt der dritte Hauptdarsteller, der titelgebende Kühlschrank ! Alle sind begeistert.
Die zwei Männer fahren den Kühlschrank über den roten Teppich hinein und stellen ihn hinter der Bar ab. "War doch viel einfacher als durch den Hintereingang" meint der eine während er ihn anschliesst. "Wurde auch Zeit" grummelt ein weiss gekleideter Ober und beginnt gleich den Kühlschrank zu füllen.
"Wahnsinn, die haben mich wirklich für Rodolfo 'Bosch' Amundsen gehalten" summt der Kühlschrank hoch zufrieden.

Mittwoch, August 30, 2006

Super-Jochen wacht: Köln kann beruhigt schlafen

Jeden Abend waren die gleichen Fenster in dem Bürogebäude am Barbarossaplatz erleuchtet. Ab und zu war ein Mann im Anzug zu erkennen, der an das Fenster tritt und gedankenschwer aber überheblich hinausblickt.
Als Jochen Marmotte nach einer durchfeierten Nacht kurz vor Sonnenaufgang am Sonntag auf die erste Straßenbahn wartet und die Bürofenster wieder bedrohlich über die Stadt strahlen wird im klar: Da muß ein verrücktes Genie am Werke sein, das die Übernahme der Weltherrschaft plant. Was soll er da unternehmen ?
Er spricht eine Gruppe von Jugendlichen an, die mit ihm auf dem Bahnsteig warten. Die brechen aber nur in begeistertes Gelächter aus. Was soll er jetzt machen ? Die Polizei alarmieren ? Aber bringt er sich da nicht selber in Gefahr, wird sich der Wahnsinnige nicht an ihm rächen ? Vielleicht muß er einfach mehr Leute informieren, ein Mutiger wird dann schon einen Weg finden.
Am übernächsten Abend, auf dem Heimweg von der Arbeit versucht er es wieder. "Witzige Idee" lobt ihn einer, andere entfernen sich schnell ein paar Meter und sehen ihn an als ob er der gefährliche Bösewicht wäre. Jochen Marmotte läßt sich nicht beirren. Und zwei Wochen später, nach intensiver Aufklärungsarbeit sind die Fenster abends dunkel. Und bleiben es die nächsten Wochen auch. Er ist glücklich. Offensichtlich hat das Genie mitbekommen dass sein Plan nicht mehr geheim ist, und hat das Unterfangen abgebrochen.
Jochen Marmotte hat die Welt gerettet. Aber er muss wachsam bleiben - ein echter Erzschurke gibt nicht so schnell auf.

Madsen: "..dann hab ich's allen erzählt und wurde ausgelacht, doch das stört mich nicht. Denn ich weiß, heute muss ich etwas Gutes tun. Ich mach die Augen zu und nehme all meine Wut. Hier kommt ein ganz normaler Held: Ich rette die Welt" aus "Ich rette die Welt" von der aktuellen CD "Goddbye Logik"

Montag, August 28, 2006

Banges Warten auf den Rächer, den Hügelmann Rächer

Da, was kommt da hinten angefahren ? Günther Heisel fängt an zu zittern, seine Gesichtsfarbe ändert sich. Ist er endlich am Ziel angelangt ?
Günther Heisel ist Carspotter. Er sitzt an Wochenenden, aber oft auch zur Entspannung mal abends auf Autobahnbrücken, an Hauptverkehrsstrassen oder anderen geeignet erscheinenden Orten und schaut sich die vorbeifahrenden Autos an. Er hat sich aber spezialisiert. Er weiß gar nicht mehr warum es so gekommen ist. Er hat auf alle Fälle nach einer ersten durchschnittlichen Carspotter-Karriere mit riesigen Listen gesichteter Fahrzeugtypen an einem feuchtfröhlichen Abend mit Carspotter-Freunden beschlossen nun nur noch nach Hillman Avenger Ausschau zu halten. Dieses Auto fiel ihm spontan ein, Erinnerung an einen Urlaub.
Und nun ist er seit 10 Jahren spezialisiert, und hat noch keinen Hillman Avenger gesehen. Ist doch nicht verwunderlich sagen seine Freunde, wurde der überhaupt in Deutschland verkauft ? Und der ist doch schon ein Oldtimer. Aber er hat sich dieses Ziel gesetzt, und keiner der sich über viele verschiedene Autos freut kann nachvollziehen was diese Suche inzwischen für ihn bedeutet.
Und da kommt das Auto näher, es sieht schon sehr ähnlich aus, nein, kein Avenger. Er atmet tief durch, schließt die Augen und konzentriert sich. Ganz kurz stand die Leere vor seinen Augen, das Nichts nach dem Erreichen des letzten Ziels. Aber jetzt kann er weiter suchen. Alles ist gleich geblieben, alles hat noch seinen Sinn.

Samstag, August 26, 2006

Nachtmusik und Nachtphantasie

Das alteingesessene Spielwarengeschäft in der Fußgängerzone zeigt in seiner Auslage aktuelles Plastikspielzeug. Auch jetzt, Freitag nacht, sind die Schaufenster hell erleuchtet. Nicolas ist auf dem Heimweg nach einer durchschnittlichen Clubnacht, da glaubt er Weihnachtslieder zu hören. Er konzentriert sich: Nein, dass ist kein Ohrensausen, das Nachschwingen der Minimal House Sequenzen, aus Richtung des Spielwarengeschäfts klingt eindeutig mehrstimmiges Weihnachtsliedgut.
Jetzt spinnen die ja völlig denkt sich der erschöpfte Nachtmensch, die Adventszeit im Augsut beginnen zu lassen. Plötzlich bricht das Lied ab, es klingt nach eines Diskussion. Ist das keine Weihnachtsbeschallung, singt da jemand ? Er geht näher zum erleuchteten Kinderparadies und versucht durch die Ladentür zu sehen. Da wird "vom Himmel hoch" angestimmt, mit dezenter Klavierbegleitung. Nicolas kann nur dunkle Schemen ausmachen, glaubt Bewegungen zu erahnen.
Er will schon anklopfen, aber dann hat er die Befürchtung dass vielleicht doch kein Steiff.Teddy oder Sigikid Pinguin öffnen und ihn willkommen heissen würde. Manche Dinge sind einfach schöner wenn man sie nicht zu erklären versucht sondern in der Phantasie beläßt.
Er steckt die Hände in die Jackentaschen und geht weiter, fröhlich "ich steh an deiner Krippe" pfeifend.

Freitag, August 25, 2006

Nachtmomente

Ich wache mitten in der Nacht auf. Es ist noch dunkel. Langsam schalten sich die Sinne ein, erste Wahrnehmungen werden empfangen. Es rauscht und plätschert. Schon wieder schlechtes Wetter. Vom Bett aus schaue ich durchs Fenster. Vereinzelte gold'ne Sterne prangen am hellen und klaren Himmel. Die Gedanken fangen langsam an sich aus ihrer wohligen Unbeweglichkeit zu schälen. Also kein Regen. Langsam schiebe ich mich an den Bettrand, vorsichtig richte ich mich auf, stehe schließlich auf den Füßen und trete an das Fenster. Ich sehe die Zeit an den Fassaden herunterlaufen, über die Gehwege strömen, sich in den Rinnsteinen sammeln und schließlich in der Tiefe verschwinden. Ein stetiger Strom, nicht versiegend und nie innehaltend. Luftschlösser unterspülend und Pläne abwaschend. Ich öffne das Fenster und strecke den Kopf hinaus. Es fühlt sich befreiend an. Mein Herz wird leicht, ich freue mich auf den Morgen.

Donnerstag, August 24, 2006

Die EU-Wohlfühlminister warnen: Mithören schadet der Entspannung

"Und iss etwas vernünftiges. Und Du weißt: Immer genug trinken."
Herr Streibelmeier ist genervt. Er hat einen anstrengenden Tag hinter sich, ein Besuch in der Firmenzentrale. Jetzt, auf der Heimfahrt mit dem ICE, wollte er sich entspannen, träumen, lesen. Und nun telefoniert die Frau neben ihm so penetrant.
"Laß Dich doch nicht immer so von Leo ärgern. Ignorier ihn."
Muß man seine Kinder vom Großraumwagen aus erziehen ?
"Und Geduld. Um 22 Uhr kommt die Kathie vorbei und geht mit Dir spazieren."
Was ist denn das für eine Erziehung ?
"Nein, natürlich streichle ich niemand anderen !"
"Entschuldigen Sie" mischte sich nun Herr Streibelmeier gereizt ein, "aber können Sie Ihre bizarre Kindererziehung bitte woanders abhalten ? Sonst muß ich mich wirklich noch einmischen."
"Was erlauben Sie sich" erwidert die Mitreisende.
"Ein Kind um 22 Uhr auf die Straße zu schicken. Ich werde das dem Jugendamt melden" kommt Herr Streibelmeier in Fahrt.
"Dem Jugendamt ? Darcy, ich muß aufhören, mein Sitznachbar..." Die Frau packt das Handy in die Handtasche und schaut ihrem Nachbarn tief in die Augen. "Sie denken ich telefoniere mit meinem Kind ?" Sie lacht hell auf. "Gestatten Sie, Vanderhof. Ich telefoniere mit meinem Hund."
"Angenehm, Streibelmeier. Äh - was ?" Herr Streibelmeier vergißt kurz seine guten Manieren als er realisiert was seine Mitreisende Professor Mechthild Vanderhof, Spezialistin für Zoologopädie gesagt hat.
"Ich sagte ich telefoniere nur mit meinem Hund."
"Ach, es beruhigt ihn Ihre Stimme zu hören."
"Nein, ich telefoniere mit ihm."
"Sie behaupten der Hund versteht Sie ?"
"Das weiß doch jeder Hundebesitzer daß sein Hund ihn versteht. Meiner antwortet auch. Das ist mein Forschungsprojekt. Hunden das sprechen beizubringen."
Her Streibelmeyer fängt an zu lachen. Diese Heimfahrt verspricht doch nett und entspannend zu werden. Seine Nachbarin ist viel sympathischer als er am Anfang gedacht hat.
Und auch Professor Vanderhof freut sich. Sie beschäftigt sich zwar mit der Entschlüsselung der Sprache von Tieren, aber natürlich können Hunde nicht die humanoider Sprache benutzen. Aber mit ihrem Handytrick gelingt es ihr immer wieder auf langweiligen Bahnfahrten Mitfahrer aus der Reserve zu locken.

Mittwoch, August 23, 2006

Der Completator

Der Renter Walther Häberlein war der Prototyp eines schwäbischen Tüftlers. Im ehemaligen Hobbyraum des Reihenhauses in der Siedlung aus den sechziger Jahren suchte er immer noch nach pfiffigen Lösungen für alltägliche Probleme. Und nun hielt er ihn in der Hand. Den Completator. Das Ergebnis von zehn Jahren harter Arbeit, zu Beginn seiner Frührente angefangen um seiner Frau im Haus nicht zu sehr in die Quere zu kommen.
Er richtete das taschenlampengroße Gerät auf einen Legostein und drückte. Ein gleißender Lichtstrahl, Zuckungen des Raum-Zeit-Kontinuums, ein durchschneidendes Geräusch und auf der Arbeitsplatte stand eine ganze Legostadt. Dort eine Ameise auf dem Boden - zzzwöschwischl - ein großer Ameisenhaufen. Herr Häberle strahlte. Der Completator arbeitete ja umwerfend. Keine einfache Vervielfachung, sondern aus dem Einzelnen die ganze Einheit erschaffen.
Er läuft die Kellertreppe hoch. Zzzwöschwischl - aus dem Goldfischglas wurde ein riesiges Aquarium voller tropischer Fische. Raus auf die Straße. Ein singendes Kind - zzzwöschwischl - ein ganzer Kinderchor mit Dirigent. Ein Blatt weht im Wind - zzzwöschwischl - ein ganzer Wald schwebt über der Siedlung...
Es konnte nie geklärt werden auf welche Weise die Wohnsiedlung unter entwurzelten Bäumen begraben wurde. Es wird angenommen dass ein Tornado einen kleinen Wald mitgenommen und auf die Siedlung geschleudert hat, auch wenn es keine entsprechenden Wetteraufzeichnungen oder Augenzeugenberichte gibt. Und auch die Herkunft des von den Bäumen erschlagenen Kinderchors konnte nie geklärt werden.

Dienstag, August 22, 2006

Jeder sucht sein Roadmovie

"Einfach in das Auto setzen und losfahren. Durch beeindruckende Landschaften rollen, einsam in der überwältigenden Natur. Dann in einem kleinen pittoresken Ort ankommen. Etwas finden. Bleiben oder es zurück mitnehmen. In den Filmen klappt das immer so gut" beklagt sich Jasmin bei ihrer besten Freundin Konstanze, "aber ich habe schon mal kein Auto, und die nächste außergewöhnliche Landschaft ist auch viel zu weit weg".
"Wenn Du so anfängst wird es natürlich nie etwas. Ich habe übrigens gerade einen Film gesehen in dem sie zuerst mit dem Zug fahren..."
"Du machst es Dir immer zu einfach" fällt ihr Jasmin ins Wort. "Aber vielleicht geht es Dir deshalb auch so gut. Aber ich bin nicht Du !"
Konstanze gesteht sich ein dass sie mit allem mehr Glück hat als Jasmin - Männer, Job, Karma - aber das Glück kommt nicht von alleine, zumindest in ihrer mühsam erarbeiteten Philosophie. "Also dann helfe ich Dir. Das allerwichtigste: Nicht lange nachdenken. Also nimm die nächsten Tage frei, packe den Rucksack und ich hole Dich morgen früh ab". Jasmin stimmt überrumpelt zu, obwohl ihr solche spontanen Dinge wenig liegen. Am nächsten morgen ist Konstanze pünktlich da und fährt sie zum Bahnhof: "Hier die Fahrkarte und die Zugverbindung nach Kappeln". "Kappeln ?" Jasmin hatte sich überlegt was Konstanze wohl plant, vielleicht einen Last-Minute Flug nach Asien, aber eine Zugfahrt nach Norddeutschland ? Aber schon während der langen Zugfahrt überkommt sie das Gefühl in ihrem eigenen Roadmovie angekommen zu sein, man muß nur mal die Mitreisenden genauer beobachten. Am Nachmittag im Bummelzug nach Kappeln fühlt sie sich dann wie im Wilden Westen, wenn der Zug mitten in der freien Landschaft hält. Und als sie in Kappeln auf der Suche nach einer Unterkunft durch das Städtchen schlendert und dann die Fischer an der Schlei beobachtet, die ihren Fang ausladen, spürt sie das hier etwas zu finden ist. Etwas das in ihr selbst versteckt ist. Dank Konstanze hat endlich ihr eigenes Roadmovie begonnen.