Mittwoch, September 27, 2006

Wort-Ex

Wie verläßt man ausgefahrene Gleise ? Wie kann beim Dichten etwas ganz Neues entstehen ? Man muß die bereits in einer Umgebung gedachten Wörter ignorieren und bei Null anfangen sagte sich Andreas Breitlein, der sich unter seinem Pseudonym Andi Psita schon eine gewisse Anhängerschaft erarbeitet hatte.
Aber das neu anfangen war schwierig. Er versuchte nicht zu esoterisch zu klingen wenn er Freunden sein Problem darlegte: Dass die Schwingungen der an einem Ort entstandenen Wörter seine Gedanken beeinflussten und ihm die Freiheit der Kreativität einschränkten.
Daher war er auf der Suche nach einem Wort-Ex. Beseitigt abgestandene Wörter sofort. Einfach sprühen und die Buchstaben auf dem Boden zusammenkehren. Um dann frei erschaffen zu können.
Sein Freund Bit Sequenz, dessen bürgerlicher Name niemand bekannt war, hatte aufgehört mit Andi über diese These zu diskutieren. Er wußte genau - mit Word-Ex würde Andi nie mehr etwas zustandebringen, verzweifelt vor dem leeren Blatt Papier sitzen.
Denn er selber wurde als König der referenzlosen Poesie gefeiert, als jemand der alles hinter sich eingerissen hat und nun eine neue Literaturwelt erschafft. Aber jedes seiner einzelnen Gedichte spiegelte nur genau den Entstehungsort und die dortige Aura wieder.

Montag, September 25, 2006

Ein Loblied der Flora und ihren Freunden

Stefan liebt seinen Garten. Wenn er abends nach Hause kommt schaut er nach seinen Pflanzen. Und immer gibt es etwas zu tun: Schneiden, Unkraut jäten, gießen, stecken, binden, säen, einpflanzen - und natürlich ernten. Das verbindet Stefan besonderes mit seinem kleinen Paradies: Es gibt eine Erdbeerzeit - jeden Abend frische Erdbeeren, Erdbeerquark, Erdbeereis. Es gibt die Johannisbeerzeit - frische Johannisbeeren mit Milch, Johannisbeerkuchen. Es gibt die Radieschenzeit.
Es gibt aber auch die Dahlienzeit - sich auf der Terasse sitzend an den bunten Farben laben. Oder die Schneeglöckchenzeit - die Vorboten des Frühlings entdecken.
Und so erfreut ihn seine grüne Oase jeden Tag - und dankt ihm für seine Gartenarbeit. Und kommuniziert auch eifrig mit ihm.
Als Stefan sich überlegte dieses Jahr auf die Herstellung des eigenen Birnenschnaps zu verzichten fiel ihm eine Birne direkt vor die Füße. Der Garten hatte ihm ein Zeichen gegeben - und der sehr geschmackvolle Hochprozentige wird auch dieses Jahr wieder destilliert.

Sonntag, September 24, 2006

Die Revolution ist abgesagt

Robert Wintersteiger hatte genug. Tag für Tag war er durch die zentralen Straßen des Stadtteils gegangen, die selbstgemalten Werbeplakate umgehängt, und hatte Flugzettel verteilt. "Revolution jetzt ! Aufruf zur Gründung der Stadtteilrepublik. Keine Macht den Bonzen - alle Macht dem Proletariat."
Die Resonanz war gering gewesen, er war aber die ganze Zeit überzeugt gewesen seine Zeit als Rentner so sinnvoll zu nutzen. Die Stadtteilrepublik war sein Lebensziel.
Allerdings war es schon immer etwas kränkend spöttisch gefragt zu werden ob er 1918 auch dabeigewesen sei. Schlimmer waren aber die mit vollen Tüten der Nobelläden beladenen Passanten, die ihn als Kommunisten beschimpften und die üblichen "dann geh doch nach drüben" Sprüche klopften. Genau gegen diese Personen mußte sich das Volk erheben. Am schlimmsten war es aber von Bewohnern des Stadtteils ihren Gästen von außerhalb als lokales Kuriosum vorgeführt zu werden.
Das waren ein paar Kränkungen zu viel. Jetzt mußte er den Prozeß beschleunigen - und die Republik gleich ausrufen. Den ganzen Nachmittag streifte Robert Wintersteiger durch sein Viertel und suchte einen geeigneten Balkon. Er sollte repräsentativ sein, an einem kleinen Platz liegen, gut erreichbar sein.
Aber als die Sonne die Dächer bereits blutrot färbte hatte er immer noch keinen geeigneten Balkon gefunden.
"Dieser Stadtteil ist einfach nicht für Revolutionen gemacht" dachte sich Robert Wintersteiger und warf die umgehängten Plakate und die Flublätter in die nächste Abfalltonne.

no regrets and no excuses now

In letzter Zeit macht sich eine gewisse Blogunlust breit. Wenn ich wüsste woran das liegt könnte ich vielleicht etwas dagegen tun falls ich dann zum Schluß kommen würde daß dies etwas ist was geändert werden sollte.
Aber so - der Titel dieses Beitrags ist zur Melodie von "no suprises" von Radiohead zu singen.

Mittwoch, September 20, 2006

Die ferne Verwandschaft

"Fledermäuse. Alleine der Klang dieses Namens. Und dann sehen sie so niedlich aus. Schau wie friedlich sie da hängen und sich in süßen Träumen vom anstrengenden Tagwerk erholen."
"Heiner ! Wenn Du sie nicht verscheuchst mache ich das. Ich kann in meinem Schlafzimmer kein Auge zutun wenn da Fledermäuse an der Decke hängen !"
"Ach Erika ! Die sind geschützt. Und es ist doch toll die bei uns zu haben. Außerdem sind sie nachts aktiv."
"Du spinnst ! Wenn sie auch noch herumflattern während ich schlafen will, ist das besser ? Schluß !"
"Hör doch bitte. Du weißt doch von meinen verwandschaftlichen Wurzeln."
"Heiner, lenke jetzt nicht wieder ab."
"Ich meine die rumänische Linie, Transsylvanien..."
"Du behauptest das sind Verwandte ? Dann sollen sie sich vorher anmelden. In diesem Haushalt sind Gäste sehr willkommen, aber nur angemeldete."
"Erika, nicht !"
"Schau wie sie davon fliegen. Und wenn jetzt gleich ein schwarzgekleideter Mann vor der Wohnungstür steht und seinen Besuch anmelden will, bitte schön !"

Dienstag, September 19, 2006

Die Kunst des Schenkens

"Schlicht sollte sie aussehen. Klassisch aber sachlich. Zeitlos und harmonisch".
Der zukünftige Ehemann beschreibt gerade im Haushaltswarengeschäft seine Vorstellung von einer Kaffeetasse, die er sich auf den Hochzeits-Wunschtisch in der renommierten Adresse stellen lassen will. Zusammen mit seiner Freundin und zukünftigen Ehefrau hatte er schon ein Service von Wedgewood und eines von Hutschenreuther, WMF-Besteckgarnituren und ganze Gläser-Kollektionen für die Wunschliste an die illustren Gäste ausgesucht. Nun waren sie bei den Kaffeetassen für den Kaffee zwischendurch angelangt.
"Aber Steffen, ich will da lieber etwas buntes, fröhliches, leuchtendes" widerspricht Aurelia.
"Du hast schon die Bordure auf dem Teeservice durchgesetzt."
"Aber du die Bauhaus-Suppengarnitur."
"Und was ist mit den Bowle-Gläsern, liebe Aurelia ?"
"Komm, wir streiten jetzt nicht. Es soll doch nur etwas für zwischendurch sein. Da kann ich doch eine Tasse nehmen und Du eine andere."
"Warum hast Du immer so gute Ideen ? Was haben Sie denn da zur Auswahl ?"
Der Verkäufer blickt ratlos zwischen den hochwertigen Porzellanbergen umher. "Ich glaube ich habe da etwas".
Er verschwindet in einer Ecke des hell erleuchteten Raumes hinter einem Vorhang und kommt dann mit einer Standard Kaffeeautomatentasse und einer Biene Maja Tasse zurück.
"Das nenne ich gelungenes Design" lobt Steffen das funktionale Trinkgefäß.
"Die ist aber nett" freut sich Aurelia über die Erinnerung an eine ihrer Kindheitsheldinnen. "Wieviel kosten die denn ?"
"Gar nichts" meint der Verkäufer. "Die benutze ich hier immer in den Pausen zum Kaffeetrinken. Die schenke ich ihnen gerne zur Hochzeit."

Montag, September 18, 2006

Auf die andere Seite der Theke wechseln

Bettina hatte seit einer Woche wieder Spaß an der Arbeit. Die Kunden die morgens früh mit versteinerter Miene die Bäckerei betraten, mit möglichst wenigen Worten bestellten, sie beeinträchtigten ihre Stimmung nicht mehr. Auch das Aufstöhnen wenn Bettina in den Augen ihrer furchtbar wichtigen Kunden etwas zu lange zum Einpacken brauchte, oder wenn sie etwa nach Kleingeld zu fragen wagte wenn mal wieder eine gockelhaft ausstaffierter Büromensch eine Butterbrezel mit einem 50 Euro-Schein bezahlen wollte.
Nachmittags hatte ihr der Beruf schon immer Spaß gemacht. Wenn sie die Kunden beraten konnte, auf ihren Geschmack eingehen.
Als vor zwei Wochen ein Kunde mehrere Stücke Mohnkuchen verlangte, und dann ratlos vor den Angebot aus Mohntorte, Mohnstriezel, Mohnkuchen gedeckt und Mohnkuchen mit Apfel stand, hat sie mit zielgerichteten Fragen und kluger Analyse festgestellt für welchen der vier Gäste des Kunden welches Mohngebäck am besten geeignet war.
Zwei Tage später hat sie der Kunde zu einem Vorstellungsgespräch geladen, da ihre Analyse auf seine Geschäftspartner voll zugetroffen hatte und er dieses Wissen für einen erfolgreichen Geschäftsabschluß hatte ausnutzen können. Und nun hat sie einen Vertrag auf ihrem Küchentisch liegen, und wird in der kleinen Unternehmensberatung in der Personalberatung tätig sein.
Jetzt freut Bettina sich jeden Morgen über den Gedanken ein paar dieser sich überwichtig nehmenden Kunden eines Tages in ganz anderer Funktion gegenüber zu sitzen.
Nur die nachmittäglichen Stammkunden werden sie sehnlichst vermissen.

Für D. und U. - ich drücke die Daumen !

Sonntag, September 17, 2006

Eisklang

Seit Heinz Seitenegger im Alter von 10 Jahren den Gitarrenkoffer in einer völlig verstaubten und von Spinnweben überdeckten Ecke des Kellers entdeckt hatte war ihm klar dass er sein Leben lang Musik machen wird. Er fing an sich das Spielen selber beizubringen. Später hatte er seine Eltern überredet ihm Gitarrenunterricht zu zahlen, zu dem er durch die Felder in das Nachbardorf radeln musste. Natürlich hatte er ihnen nichts von seinen Plänen erzählt - schließlich sollte er als ältester Sohn eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten und den seit mehreren Generationen in Familienbesitz befindlichen Hof übernehmen.
Mit 12 Jahren war er bei der elektrischen Gitarre angekommen und spielte in seiner ersten Band. Dort wurde er aber bald wieder hinausgeschmissen, da er schon längst jenseits der üblichen Riffs und der traditionellen Gitarrensolos war, die seine Bandkollegen von ihm verlangten. Aber Metallica oder Queens of the Stone Age nachzuspielen war ihm zu öde. Er wusste jetzt dass er die Welt mit neuen Klängen begeistern muß, dass er eine neue Dimension des Gitarrenklangs eröffnen wird.
Und so steht er nun mit 14 Jahren auf dem Steg des Chiemsees und beginnt das Boot zu beladen, dass er von seinem Onkel ausleihen wird - ohne es ihm vorher zu sagen. Er hat alles gut geplant. Viele Vorräte, genug Geld aus der schwarzen Kasse seines Vaters, Winterkleidung, und die Hauptsache: Seine elektrische Gitarre, die umfassende Sammlung an Effektgeräten, und der Generator.
Eisresonanz, das wird der Gitarrenklang der alles bisher dagewesene in den Schatten stellt. Ein Sound der direkt das Innerste anspricht, der alles erklärt, sozusagen der Heilige Gral der Gitarre.
Der Boot ist beladen, noch einen Blick in den Weltatlas: Im Prinzip erst immer flußabwärts, dann der Rhein-Main-Donau Kanal, dann wieder flußabwärts, und dann immer Richtung Norden, bis Eisberge in Sicht kommen.

Freitag, September 15, 2006

Gold

"Ich suche Gold" antwortet der zusammengekauerte Mann auf die Frage des Polizisten, was er da im Rinnstein mache.
"Stehen Sie erstmal auf" meint der Polizist zu der nicht richtig in diese glänzende Einkaufsstrase passenden Gestalt, die mit den zerfetzten und verdreckten Mantel und den wilden, grauen Haaren nicht den besten Eindruck hinterläßt. Der Mann steht auf, dreht sich um und schaut den Polizisten mit stechend blauen Augen an. Es ist eine imponierende Gestalt, um die 60 Jahre, durchtrainiert, und abgesehen von der Kleidung und dem wilden Haar und Bartwuchs gepflegt aussehend.
Der Polizist ist ziemlich beeindruckt, aber professionell genug um sich nicht anmerken zu lassen dass er eigentlich einen besoffenen, heruntergekommenen Menschen im Rinnstein vermutet hat.
Er kontrolliert die Papiere, ein Wohnort in einer fernen Stadt ist eingetragen. Er ist etwas unschlüssig und sagt dann: "Das ist gefährlich, an der befahrenen Straße im Rinnstein zu sitzen. Bitte gehen Sie jetzt weiter".
Der Mann widerspricht mit tiefer Stimme: "Aber ich sitze nicht herum, ich suche Gold".
"Und haben Sie schon etwas gefunden ?"
"Das würde ich Ihnen doch nicht verraten, denn dann müsste ich es sicherlich abgeben !".
Der Polizist merkte, mit diesem Mann wird er seine Schwierigkeiten haben. Wenn er hier den offiziellen Vorgang eröffnet wird das eine mühselige Angelegenheit. Also lieber eine schnelle Lösung finden.
"Dann ermahne ich sie jetzt offiziell dass ich Sie nicht mehr hier sehen will, sonst muß ich etwas unternehmen."
"Keine Angst, das ist hier keine gute Stelle. Ich bin mir sicher in dieser Stadt gibt es noch irgendwo einen weiteren Ort wo ich fündig werde."
Damit nimmt er den völlig verschlissenen Rucksack auf den Rücken und macht sich auf den Weg, während er mit der Hand in der Hosentasche mit den kleinen Goldstückchen spielt, die er heute bereits in einer anderen Straße gefunden hatte.
Der Polizist schaut ihm nach. Warum muss er das Umfeld der Luxusläden von allem freihalten, was deren Besitzer als ihrem Umsatz abträglich halten, während er selber nie genug verdienen wird um in diesen Geschäften einzukaufen ? Dafür ist er nun wirklich nicht Polizist geworden.
Kurzentschlossen läuft er hinter dem Mann her: "Halt, bleiben Sie bitte stehen ! Könnten Sie mir das mit dem Goldsuchen erklären ? Ich meine privat ?"

Donnerstag, September 14, 2006

Feste gelingen lassen

"Wohlan. Lasset den Tag gelingen, uns wohlbefindlich fühlen und ein kurzweiliges Amusement verlaufen !" Fürst Theodor hasste es die gestelzte Sprache zu benutzen. Noch mehr widerte ihn aber das barocke Unterhaltungsprogramm an. Dämliche Theaterstücke, langweilige Tänze, Einschlafmusik. Und dabei als erfreuter Souverän wirken.
Aber heute war wieder so ein Tag. Sein Hochzeitstag, da wurde so etwas einfach verlangt, und daher hat er gerade schweren Herzens den Beginn der Feierlichkeiten ausgerufen.
Die erste Gruppe von Artisten fing im Thronsaal an zu jonglieren, das ist ja noch ganz nett und nicht so aufdringlich dachte sich der Fürst.
"Ihre hochwohlgeborene Gemahlin, die Fürstin" verkündete der Hofmarschall. Seine geliebte Frau betrat den Thronsaal durch die nun weit geöffneten Flügeltüren und bewegte sich langsam auf ihn zu, begleitet von ihrer vielköpfigen Entourage.
Als sie neben ihm auf dem etwas kleineren, tiefer stehenden Thronsessel Platz genommen hatte, stöhnte sie leise auf. "Muss der Hochzeitstag immer so eine Qual sein !"
Der Fürst war sprachlos, und dann meinte er vorsichtig: "Gefällt Dir das nicht ? Willst Du lieber italienische Theaterstücke ? Vielleicht etwas bäuerlichere Musik ? Ein Ballett ? Oh verzeih mir, ich werde sofort Tänzer bestellen !"
"Ich würde viel lieber mit Dir spazierenfahren, irgendwo picknicken, und ohne Unterhaltungsprogramm ! Ich kann diese Feste nicht mehr ausstehen."
Fürst Theodor sprang auf und rief "Schluss !", denn für seine Frau machte er wirklich alles. Die Artisten blieben wie versteinert stehen, sein Hofmarschall, stürzte auf ihn zu, und mit wenigen Worten gab der Regent die neue Richtlinie aus.
Als sich eine Stunde später das Fürstenpaar in einer offenen Kutsche auf den Weg machte, begleitet von der berittenen Leibgarde, den wichtigsten Mitgliedern des Hofstaats, den persönlichen Dienern so wie der mehrere Lastkarren umfassenden, schnell improvisierten mobilen Schlossküche war die Fürstin glücklich. Das war natürlich nicht so wie ein intimes Picknick zu zweit in ihren romantischen Träumen aussah, aber ein guter Anfang. Und auch der Fürst strahlte. Sollten die jetzt ruhig in seinem Schloss Theater spielen, tanzen und deklamieren. Er freute sich auf ein Festtag frei von höfischem Gehabe. Und vielleicht könnte er seine Frau öfters fragen was sie denn wirklich gerne mag.

Dienstag, September 12, 2006

Tunnel mit Wunsch-Ausfahrt

"Achtung Tunnel" kräht Lukas begeistert von hinten aus seinem Kindersitz.
"Schnell ducken" ruft sein Vater, der die Euphorie seines Sohnes oft nicht verstand, sich aber bemühte ihn nicht zu bremsen.
"Papa, woher weißt Du wohin der Tunnel führt ?" Die Gedankengänge seines Sohnes begeisterten ihn aber immer wieder. "Weil ich schon oft hier gefahren bin. Und Du doch auch."
"Aber wenn er es sich einmal anders überlegt ?" wirft Lukas ein. Vater bemüht sich nicht loszuprusten. "Lukas, Tunnel leben nicht. Die werden einmal gebaut, so wie Du die Strassen für Deine Autos baust".
"Ja, aber die führen dann einmal ans Meer und am Nachmittag zu den Rittern".
"Weil das in Deiner Phantasie so ist. Die Strassen sind aber immer in Deinem Kinderzimmer".
Lukas bleibt einen Moment still. Aber nicht weil er seinem Vater recht gibt, sondern weil er merkt dass er ihn nur mit Beweisen überzeugen kann.
"Jetzt kommt der nächste Tunnel. Und der führt jetzt zu den Dinos".
"Genau ! Und in fünf Minuten sind wir zuhause".
Als das Auto wieder im Tageslicht auftaucht tritt Vater erschrocken voll auf die Bremse. Es sieht alles so anders aus ! Die Landschaft ist wild, statt auf der Strasse stehen sie in einem ausgetrockneten Flußbett.
"Schau da" ruft Lukas mit überschnappender Stimme. "Eine Dino-Herde !"

Sonntag, September 10, 2006

Der Brunnen am Rande des Platzes

Der Brunnen führte eine friedliche, unbeachtete Existenz an einem Platz im alten Stadtviertel, in dem noch viele Gebäude aus der Gründerzeit erhalten waren. Der Platz war eigentlich nur eine etwas größere Kreuzung, die Häuser zurückhaltend und nicht verspielt. Und der Brunnen selber auch eher sachlich gehalten. Aber doch ein erfrischender Anblick.
Seit einiger Zeit spürte der Brunnen aber eine Unzufriedenheit, eine Leere, er wollte sich neu finden. Midlife-Krise nennt man das, und er wußte dass er mit seinem Alter von um die hundert Jahren genau in dieser kritischen Phase war. Aber was soll man machen ?
Und so begann er buntes Wasser plätschern zu lassen. Die ersten Passanten reagierten besorgt, wollten die Stadtwerke anrufen. Da war ihm klar dass er mehr bieten musste damit es nicht als Fehlfunktion gedeutet wird. Und er ließ die Wasserfarbe rasch wechseln, ließ richtige Kompositionen ablaufen.
Diese neue Attraktion sprach sich schnell herum, bald kamen viele Leute die er in der Straße noch nie gesehen hatte. Abends versammelten sich dann ein paar Jugendliche um bei seinen Farben zu verweilen und die Nacht zu genießen.
Nach einer Woche wurde es ihm dann schon lästig: Der Lärm die ganze Nacht, die Zigarettenstummel in seinem Wasser, die leeren Bierflaschen auf seinem Rand. Und er stellte das Farbenspiel wieder ein.
Von Abend zu Abend wurden es weniger Besucher, und bald war die Nachtruhe wieder eingekehrt. Aber der Brunnen merkte: Jetzt wurde er wahrgenommen. Er hat sich in das Bewußtsein der Anwohner gedrängt. Nun bleibt ab und zu einer auf dem Weg zur Arbeit stehen und schaut wie das Wasser in der Morgensonne glitzert, Kinder versuchen auf seinem Rand zu balancieren, manchmal streicht eine Hand durch das Wasser.
Trotz hohem Alter weiter beachtet. Der Brunnen schöpfte neue Zuversicht.

Weiterführende Literatur hier

Samstag, September 09, 2006

Unerwartete Mondfinsternis

Normalerweise war er immer so motiviert. Und es machte ihm auch Spaß einfach da zu sein, zu beobachten, und sich dabei langsam zu bewegen. Wie schon seit Jahrtausenden.
Aber heute hatte der Mond unerklärlicherweise keine Lust. Einfach mal eine Nacht ausspannen. Die Seele baumeln lassen - ein Ausdruck den der Mond sehr gerne mag.
Aber kurz nach seinem vorhergesehenen Aufgang hatte er die ersten Bedenken. Wenn nun jemand in den Himmel blickt und ihn vermisst ? Zu ihm sprechen will und er ist nicht da ? Wenn er die Wünsche und Gedanken nicht empfangen kann. Wenn andere ihre Seele nicht baumeln lassen können. Wenn Gedichte und Lieder über ihn nicht geschrieben werden können, weil er nicht da ist um zu inspirieren. Nein, er muss heute auch scheinen.
Also doch schnell auf den Weg machen. Schon zu spät dran, also die Abkürzung, den direkten Weg nehmen. Der geht aber kurz durch den Erdschatten. Wird schon keiner merken...

Donnerstag, September 07, 2006

Toni und die Rekursion

Die kleine Maus Toni wacht morgens auf. Ach wie hat sie gut geschlafen ! Die Sonne scheint durch das Fenster. Heute gibt es sicher wieder viel zu erleben.

In der Küche hat Mama schon das Frühstück gedeckt. Papa sitzt bereits am Tisch un trinkt Kaffee. Für Toni gibt es einen leckeren Kakao zum Frühstück ! Da freut sich Toni.

Dann geht Toni ins Freie. Da ist ja sein Freund der kleine Vogel Paul ! Zusammen spielen sie am Bach.

Da kommen zwei Menschen ! Schnell verstecken sich Toni und Paul hinter einer Blume. Es ist eine Mutter mit ihrem Kind. Sie setzen sich auf die Wiese.

Die Mutter lehnt an einem Baum und hat ihr Kind auf dem Schoß. Sie liest ihm das Bilderbuch "Toni und die Rekursion" vor.

Toni ist etwas ängstlich, aber Paul sagt: Das müssen wir uns genauer anschauen. Sie schleichen näher und klettern auf den Baum.

Die Mutter liest gerade die Seite vor in der Toni und Paul sehen wie die Mutter gerade die Seite vorliest in der Toni und Paul sehen wie die Mutter gerade die Seite vorliest...

Toni wird plötzlich ganz schwindelig. Er springt auf die Wiese und legt sich hin. Er stöhnt: Von dem Buch bekomme ich Kopfweh ! Und jetzt ist Zeit zum Mittagessen !

Toni bringt Paul nach Hause zum Mittagessen mit. Sie erzählen Tonis Mama von dem Bilderbuch. Mama schöpft den Eintopf in die Teller und sagt dann: Wenn ihr alt genug seid um das Buch zu verstehen seid ihr zu alt für so ein Bilderbuch.

Das verstehen die beiden nicht, aber das macht gar nicht. Nach dem Mittagessen rennen sie glücklich ins Freie um weiter ihre Kindheit frei von philosophischem Ballast zu geniessen.

Mittwoch, September 06, 2006

Rotwein am Fuße des Olymps

Michael Schneider steht am Küchenfenster und schaut auf die von Straßenlaternen erleuchteten parkenden Autos herab. Er hat lange nachgedacht, und eigentlich liegt alles klar vor ihm.
Dass die FAZ sein Talent nicht erkannt hat sollte ihn eigentlich nicht verwundern. Die Geschichte zeigt dass viele Genies erst spät den angemessenen Ruhm erlangten. Und außerdem - sollte er sein Talent wirklich an den Journalismus verschwenden ? War er nicht für größeres auserwählt: Den Schlüsselroman seiner Generation schreiben, oder das Buch das eine ganze Jugend prägt, oder den Roman der noch nach hundert Jahren als geniales nur von wenigen verstandenes Meisterwerk gefeiert wird ?
Er nimmt ein Schluck aus dem Rotweinglas. Ein schwerer Bordeaux. Nichts leichtes, süssliches, keine schnellen Effekte, sondern etwas mit Nachklang, Tiefenwirkung. So soll sein Buch werden. Er kann es schon fühlen.
Jetzt muss er nur noch anfangen es zu schreiben. Ja, nächstes Wochenende müsste er etwas Zeit haben, da wird er den Grundstein für seinen Aufstieg in den Literaten-Olymp legen.
Er beobachtet die Wirkung des Mondlichts auf sein Weinglas. Da kann er den Roman schon komplett herauslesen.

Dienstag, September 05, 2006

Else Kling, Muse der Modernen

Helmuth Indrensen. Ein guter Name für einen Autor. Der klingt intellektuell und außergewöhnlich denkt sich Michael Schneider. Das ist schon die halbe Miete. Dann der Titel. Ein Geniestreich. So viel Aussage in fünf Wörtern und einem Satzzeichen.
Und dann die Referenzen, das Name-Dropping. Wittgenstein, Marcuse, Sontag, Tournier, Diedrichsen, auch ein kleiner Bezug auf Descartes und Voltaire. Die wichtigen Schlagworte. Dekonstruktivismus, Neo-Vaudeville, nachhaltige Urbanisierung.
Dieser Artikel wird seine Eintrittskarte in den seriösen Journalismus. Den kann die FAZ gar nicht ablehnen. Michael Schneider wirft einen liebevollen Blick auf seinen Laptop. Sein Nachruf auf Annemarie Wendl ist schlicht ein Meisterwerk.

Montag, September 04, 2006

Schoko-Nußschnecke in Felix Austria

Lange hatte sie auf diese Rückkehr gehofft. Es hat zähe Verhandlungen bedurft, sie musste alle ihre Diplomatie, aber vor allem ihren unwiderstehlichen Charme einsetzen. Und jetzt stieg sie in Salzburg aus dem Zug der auf keinem österreichischen Fahrplan verzeichnet war. Sie hatte noch fast eine Stunde bis der nächste Zug nach Wien fuhr. Also vorsichtig raus auf die Straße. Es ist schon ungewohnt das alles wirklich zu sehen, eine ganz neue Welt. Andererseits war sie durch das Fernsehen gut vorbereitet. Die anderen Passanten schauten sie gar nicht so erstaunt an, in dieser durch Tourismus geprägten Stadt waren sie wohl Leute in historischen Kostümen gewohnt.
Sie ging die Straße entlang bis sie durch eine Bäckerei magisch angezogen wurde. Sie konnte nicht widerstehen und betrat den Laden. Bewundernd stand sie vor der Vitrine. "Dieses Gebäck sieht allzu köstlich aus. Um was handelt es sich hier ?" fragte sie die Verkäuferin.
"Das ist Hefeteig mit Schokoüberzug, und das sind Nußschnecken mit und ohne Schokolade. Und die sind wirklich lecker".
"Ich möchte gerne dieses hier. Obwohl wenn Sie sagen die Nußschnecken..."
"Ich gebe Ihnen auch von beiden die Hälfte".
"Das wäre wirklich sehr liebenswürdig. Und bitte packen Sie mir das zum Mitnehmen ein, wenn es nicht zu viele Umstände macht".
"Dann packe ich Ihnen noch Servietten dazu. Sie haben ja sehr schönes Wetter heute für Ihren Besuch".
"Ich fahre gleich nach Wien weiter".
"Dann empfehlen Sie uns trotzdem weiter. Und wenn ich es bemerken darf: Sie sind die überzeugendste Sissi-Darstellerin die ich bisher gesehen habe."
Später im Zug merkte sie wie glücklich sie war wieder in ihrem Österreich zu sein. Solche herzlichen, offenen, freundlichen Menschen gibt es nur hier, wie sie auch im Himmel feststellen musste. Und als sie in die Nußschnecke biss durchfuhr sie ein Wohlgefühl. Österreichische Süßspeisen, das ist der wahre Himmel. Sie schaute auf die Papiertüte der Bäckerei. Flöckner, seit 1837. Sie hatte es gewußt. Ihr Österreich lebt noch.