Mittwoch, Juli 12, 2006

Ich träume Dir ein Leben

Sie sitzt mir gegenüber in der S-Bahn. Ein hell-rötlicher Typ aber ohne Sommersprossen, Ende zwanzig, die Haare zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden. Bekleidet mit weißem Top, halblanger Sporthose und Turnschuhen. Auf dem Schoß ein Rucksack der ihren Arbeitgeber verrät. Das macht es einfach. Eine Irin, die bei der irischen Niederlassung dieser Computerfirma mit den zwei Buchstaben gearbeitet hat, und dann schweren Herzens wegen der Karrierechancen nach Deutschland gewechselt ist. Wenn sie joggen geht versucht sie sich in ihrer Vorstellung an die Küstenwegen zu versetzen, auf denen sie als Jugendliche immer gelaufen ist wenn Sie etwas zu verarbeiten hatte.
Um den Hals eine schmale Silberkette mit fünf kleinen Sternenanhängern. An einem etwas weiteren schwarzen Lederband hängt außerdem ein Delphin aus leicht transparentem Stein. Am rechten Handgelenk eine silberne Uhr im modernen Design. Am Ringfinger der linken Hand eine massiver zweireifiger Silberring. Sie stammt also von einer kleinen Insel im Nordwesten Irlands, ist sehr naturverbunden aufgewachsen und hat ihre spirituelle Ader nicht vernachlässigt. Äußerlich passt sie in das Großstadtleben, aber innerlich fühlt sie sich hier nicht zuhause.
Außerdem gibt es dort die zurückgelassene Jugendliebe, die sie inzwischen als Liebe ihres Lebens erkannt hat.
Sie ließt konzentriert in einem Buch: Kiana Davenport, Gesang der verlorenen Frauen. Sie hat eine sehr romantische, gefühlsbetonte Ader und wird in Kürze ihrem Impuls folgen: Alles stehen und liegen lassen, auf die kleine Insel zu ihrer Familie zurückkehren um sich selber wieder näher zu sein, und dann um ihre Jugendliebe kämpfen.

Ihr Handy klingelt. Die romantische Irin unterhält sich in breitem Schwäbisch.
Aber wieso sollte Sie nicht schwäbisch können ?

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