Montag, Mai 29, 2006

Prinzessin Ling trifft einen Freier

Prinzessin Ling versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Sie hatte mit großem Bedauern auf ihre prachtvolle Kleidung verzichtet und sich unauffällig gekleidet - Jeans nach aktueller Mode, flache Schuhe, unauffällige Bluse, und hatte auch ihren umfangreichen Silberschmuck abgelegt. Nur ihre Frisur, zwei lange geflochtene Zöpfe und eine Silberspange mit Sternmotiv im Haar hoben sie von den sonstigen Fahrgästen ab.
Aber das Erlebnis einer S-Bahnfahrt in einer deutschen Großstadt verunsicherte sie sehr. Sie überlegte kurz an der nächsten Station auszusteigen, ihre Träger anzurufen und sich bis zum Lokal tragen zu lassen. Aber so viel hatte sie von Europa schon verstanden um zu wissen dass es ein enormes Aufsehen erregen würde vor dem Szenelokal aus ihrer Sänfte zu entsteigen. Also musste sie durchhalten. Verstohlen ließ sie ihre Blicke schweifen: Anzugträger die Unterlagen studierten, Mütter mit quengelnden Kindern, Jugendliche mit seltsamen gegelten Frisuren, alte Omas mit Stock - so verschiedene Menschen in einem Verkehrsmittel. Eigentlich interessanter als in ihrer Sänfte.
Aber ganz sicher fühlte sie sich immer noch nicht. Tarnung hin oder her - sie zog die Perlenkette mit dem großen Jadeanhänger aus der Handtasche und legte sie um. Dann strich sie mit dem Zeigefinger über den Stein und murmelte eine Beschwörung ihres Ahnen, der diesen Stein vor über 1000 Jahren einem Drachen entrissen hatte um damit einer Prinzessin, und damit ihrer Urahnin, der sie übrigens sehr ähnlich sieht, den Hof zu machen. Sofort fühlte sie sich mutig und der Situation gewachsen.
Jetzt wird sie gleich den jungen Mann treffen den sie bei der Eröffnung der Chinesischen Filmtage kennengelernt hat. Mal sehen welchen Gefahren dieser getrotzt hat um sie zu beeindrucken.

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