Freitag, Mai 05, 2006

Wenn Buchstaben schreien könnten

Der Regisseur Thomas Polpe saß lässig im Straßencafé, das Moleskin-Notizbuch auf das rechte Bein gelegt, welches er am gegenüber stehenden Stuhl abstützte. Das Seidenhemd tief aufgeknöpft schob er die Sonnenbrille ins Haar - er hatte das Gefühl mit Sonnenbrille erkannte ihn niemand. Er nahm einen Schluck aus seinem Milchkaffee - er hatte genug Stil um nicht etwa Latte Macchiato zu bestellen und lächelte die Frau am Nebentisch an, die ihn eher an eine überdekorierte Schaufensterpuppe erinnerte - aber er hatte ja einen Ruf zu bewahren. Er spielte mit seinem Stift und sinnierte über seine Arbeit.
Wenn er sich eine Szene überlegte, diese niederschrieb und wieder durchlas, dann klang das so langweilig. Und auch fünf Sätze Regieanweisungen vor einem einzigen gesprochenen Satz konnten das nicht erläutern. Er las die letzten Sätze auf der Seite nochmal durch: "Mein Leben besteht nur aus dem was andere in mir sehen. Ich existiere nur als Ware in einem globalisierten Austausch von Sinnesausdrücken. Wo bleibt da mein Gefühl ? Mein Leben besteht nur als Bilanz von Transaktionen. Wenn ich nicht mehr gehandelt werde bin ich tot. Wer bin überhaupt Ich ?". Irgendwie fade und unverständlich. Er hielt das Moleskin-Buch an sein Ohr. Wenn die Buchstaben die Texte flüstern, schreien, seufzen könnten, dann wär das Schreiben nicht der Tod des Theaters.
Er knallte das Notizbuch auf den Tisch, sprang auf und sprach die Nachbarin am Nebentisch mit in der Satzmitte und am Satzende überschnappender Stimme an: "Mein Leben besteht nur aus dem was andere in mir sehen. Ich existiere nur als Ware in einem globalisierten Austausch von Sinnesausdrücken.". Er beugte sich über ihren Tisch und schrie der sich erschrocken zurücklehnenden Frau mit feuchter Aussprache ins Gesicht: "Wo bleibt da mein Gefühl ?". Daraufhin schüttete er sich ihren Latte Macchiato über den Kopf.
Passanten waren mitten in der Bewegung erstarrt, eine Mutter zog ihr Kind schnell weiter. Thomas Polpe setzte sich ruhig wieder an seinen Platz und atmete durch. Der Text war wunderbar. Wenn Buchstaben schreien könnten würde man das auch beim Lesen verstehen.

2 Kommentare:

dieLinda hat gesagt…

halihalohalöle!^^passt zwar nicht zum eintrag, aber musste doch mal gaaanz detektiv-mäßig hinterherschauen wer mich neues auf meinem blog besuchen kommt :) also, nicht stören, durchforste grade deinen blog *heheheeee*

kein einzelfall hat gesagt…

Ihre Buchstaben und wie Sie sie positionieren (man könnte auch einfach "Texte" sagen), sind allemal filmreif, lieber lundi!