Mittwoch, August 23, 2006

Der Completator

Der Renter Walther Häberlein war der Prototyp eines schwäbischen Tüftlers. Im ehemaligen Hobbyraum des Reihenhauses in der Siedlung aus den sechziger Jahren suchte er immer noch nach pfiffigen Lösungen für alltägliche Probleme. Und nun hielt er ihn in der Hand. Den Completator. Das Ergebnis von zehn Jahren harter Arbeit, zu Beginn seiner Frührente angefangen um seiner Frau im Haus nicht zu sehr in die Quere zu kommen.
Er richtete das taschenlampengroße Gerät auf einen Legostein und drückte. Ein gleißender Lichtstrahl, Zuckungen des Raum-Zeit-Kontinuums, ein durchschneidendes Geräusch und auf der Arbeitsplatte stand eine ganze Legostadt. Dort eine Ameise auf dem Boden - zzzwöschwischl - ein großer Ameisenhaufen. Herr Häberle strahlte. Der Completator arbeitete ja umwerfend. Keine einfache Vervielfachung, sondern aus dem Einzelnen die ganze Einheit erschaffen.
Er läuft die Kellertreppe hoch. Zzzwöschwischl - aus dem Goldfischglas wurde ein riesiges Aquarium voller tropischer Fische. Raus auf die Straße. Ein singendes Kind - zzzwöschwischl - ein ganzer Kinderchor mit Dirigent. Ein Blatt weht im Wind - zzzwöschwischl - ein ganzer Wald schwebt über der Siedlung...
Es konnte nie geklärt werden auf welche Weise die Wohnsiedlung unter entwurzelten Bäumen begraben wurde. Es wird angenommen dass ein Tornado einen kleinen Wald mitgenommen und auf die Siedlung geschleudert hat, auch wenn es keine entsprechenden Wetteraufzeichnungen oder Augenzeugenberichte gibt. Und auch die Herkunft des von den Bäumen erschlagenen Kinderchors konnte nie geklärt werden.

1 Kommentar:

kein einzelfall hat gesagt…

"Erschlagener Kinderchor" - Monsieur, das sind für lundi aber ungewohnt rabiate Gedanken! Brauche ich mich wenigstens nicht zu schämen, dass mir beim Lesen spontan Albert Speer in den Sinn kam.