Montag, April 17, 2006

Das Leben schreibt die besten Geschichten

Auf dem Weg zu ihrem Laden durchquerte Gabrielle Beaumarchais das Petite France. Selbst zu dieser frühen Uhrzeit waren schon Touristen unterwegs, fotografierten die sich im Wasser spiegelnden Fachwerkhäuser, studierten die Speisekarten und ließen ihre verschiedenen Sprachen durch die Gassen hallen. Sie schloß die Ladentür auf und dachte sich mal wieder daß die meisten Menschen gar nicht mehr wissen was ein Kurzwarengeschäft eigentlich im Angebot hat (*). Sie könnte sich schon lange zur Ruhe setzen, mit ihren 70 Jahren die Tage im Garten ihres kleinen Häuschens genießen - aber sie war in diesem Laden aufgewachsen, hatte auf dem Fußboden mit Knöpfen und Bordüren gespielt während ihre Mutter die Kunden beriet.
Und da waren diese Erlebnisse für die es sich lohnte oft stundenlang im Laden auf Kundschaft zu warten.
Gestern nachmittag stürmte plötzlich ein junger Mann mit verwuschelten Haaren und leicht verrutschter Kleidung in den Laden. "Ich brauche unbedingt Ersatzknöpfe für dieses Hemd !". Gabrielle untersuchte das sehr klassisch wirkende Rüschenhemd und sah daß jeder zweite Knopf fehlte. Sie schenkte dem jungen Mann ein vieldeutiges Lächeln das dieser richtig verstand und gleich widersprach: "Es stimmt, meine Freundin darf nicht merken daß jemand mir Knöpfe abgeschnitten hat. Es war aber nicht das was sie denken würde !". Gabrielle meinte bei ihr gebe es eine Art Beichtgeheimnis und fing an die passenden Knöpfe zu suchen. Da erzählte der junge Mann: "Auch wenn Sie mir nicht glauben: Ich wollte in einem Lokal am Place St. Etienne einen Flammkuchen essen. Ich war der einzige Gast. Als ich in den Keller auf die Toilette ging und dort wieder aus der Tür kam stand die Bedienung und die zwei Köche vor mir. Die Bedienung meinte 'der sieht doch sehr gesund und trainiert aus, der gibt guten Speck'. Daraufhin packten mich die beiden Köche, drückten mich auf den Boden, und die Bedienung fing an sadistisch grinsend mit einem Filettiermesser die Knöpfe an meinem Hemd abzuschneiden. 'Jetzt mach keine Foltershow sondern beeil Dich, ich brauche den Bauchspeck, die angemeldeten Gäste kommen sicher bald !' fuhr sie der ältere Koch an.
Da gab es Lärm von oben, eine Gruppe amerikanischer Touristen betrat das Lokal. Die drei ließen von mir ab und stiegen die Treppe hoch, die Bedienung warf mir einen enttäuschten Blick zu. Ich bin so schnell ich konnte aus dem Lokal gerannt..."
Gabrielle hatte in der Zwischenzeit passende Knöpfe gefunden und als besonderen Service sogar angenäht.

Während sie so an das gestrige Erlebnis zurückdachte setzte sie den Kaffee auf, legte die mitgebrachten Croissants auf den Ladentisch und bereitete ihr zweites Frühstück vor. Mal sehen was der heutige Tag für spannende Geschichten bringt dachte sie und schaute auf die vor dem Laden vorbeiziehenden Touristen.

(*) der entsprechende französische Begriff mercerie wird ebenso dem Vergessen anheimfallen (Anm. d. Übers.)

1 Kommentar:

kein einzelfall hat gesagt…

Als Hommage an diese kurzweilige Kurzwaren-Episode werde ich umgehend "The Damage Done" von Sisters of Mercerie einlegen. ;)