Donnerstag, November 09, 2006

Die Macht der Musik

Das waren die bitteren Momente in seinem Beruf. Wenn er an den Rand des Saales gedrängt an seinem Synthesizer stand und Schlager aus den sechziger Jahren sang, die Gäste sich aber sehr gut unterhalten, essen oder sich langweilen - genau so als wäre er gar nicht anwesend.
Natürlich trauert er der alten Zeit hinterher. Als er mit seiner Band auf Dorffesten oder in Festsälen auftrat. Dort bewegte er die Menschen, brachte Einzelwesen zueinander - er war für diese Momente wie ein Gott, der das Schicksal der Tänzer anstieß. Und dann von der Bühne das ganze Leben in einen Saal gedrängt beobachten konnte: Annäherung, Verführung, Liebe, Entfremdung, Gleichgültigkeit...
Nachdem nun überall DJs Einzug gehalten haben wurden solche Bands nicht mehr gebraucht. Höchstens noch Alleinunterhalter für Kreise, die bei einem DJ vielleicht doch die Nase rümpfen würden.
Gerade hat er ein schönes Lied aus den zwanziger Jahren intoniert, und wieder hat sich nichts getan. Er rückte das Schild mit seinem dämlichen Künstlernamen Joe Roseman zurecht. Den hatte er sich vor 30 Jahren gewählt weil er dachte dann könnte etwas aus Jochen Rossmann werden.
Aus der großen Karriere wurde natürlich nichts, aber als Musiker war er dennoch glücklich. Außer bei Auftritten wie diesem. An denen auch die Gäste nicht ganz freiwillig da waren. Ein Empfang, ein Firmenfest, ein Veranstaltung bei der man gesehen werden muss.
Wenn aber keiner zuhört, dann kann er doch auch mal etwas anderes machen. Auch wenn er sich in seiner langer Karriere bisher immer zumindest grob an die Vorgaben des Veranstalters gehalten hat. Aber warum eigentlich ? Und genauso unauffällig wie bisher beginnt er Going Underground von the Jam zu spielen. Und da nimmt er Veränderungen war. Ein paar Köpfe drehen sich kurz zu ihm hin. Dort beginnt ein hochhackiger Fuß unter der Tischdecke zu wackeln. Am Nebentisch schlägt eine Kuchengabel im Takt auf den übriggebliebenen Sahneklecks. Zwei Blicke treffen sich.
Das ist doch kein verlorener Tag denkt sich Jochen Rossmann und beginnt als nächstes London Calling zu spielen, da er schon den Veranstalter mit irritiertem Gesicht auf sich zukommen sieht.

Inspiriert durch den Film "Quand j'étais chanteur" mit Gérard Depardieu und Cécile de France. Hoffentlich bald auch in deutschen Kinos.

2 Kommentare:

kein einzelfall hat gesagt…

Kuchengabeln!!!
Hier müssen Kulturfreunde sein!

Lundi hat gesagt…

@mkh: Erröten, hüsteln... Ich glaube ich verstehe Deine hochwissenschaftliche Beschreibung. Vielen Dank für dieses Lob !
@einzelfall: Als Kulturbewahrerin sind Sie in grosses Vorbild !