Donnerstag, November 30, 2006

Keine Veränderung ohne Bewegung

Das erste was Herr Salzner bemerkte war der in der Kaffeetasse zitternde Kaffee. Genaugenommen sah er nur leichte Schwingungen der Oberfläche. Fasziniert hörte er auf in seinen Computerbildschirm zu starren und schaute dem physikalischen Effekt zu. Dieser wurde immer stärker. Aber erst als der Kaffee sich über den Rand der Tasse auf die Papierstapel auf seinem Schreibtisch ergoß realisierte er dass irgendetwas nicht stimmte.
Die Bücher im Regal kippten, das ganze Gebäude knirschte. Und jetzt spürte er auch das Zittern. Ein Erdbeben ? Es gab aber keine Stösse. Nur diese gleichmäßigen Erschütterungen.
Ein Blick durch das Bürofenster nach draußen: Alles bewegt sich ! Fällt die Welt zusammen ? Es dauerte einige Zeit bis er verstand: Die Welt steht still, die Büroimmobilie ist plötzlich mobil.
Panisch stürzte er in den Gang und rannte in die Putzfrau die gerade die Papierkörbe leerte. "Hilfe das Gebäude fällt zusammen !" rief er der kurz vor der Rente stehenden Frau Cipschka zu.
"Guten Morgen Herr Salzner, sie sind ja ein geborener Schauspieler !" erwiderte die in Katastrophenfilmen sehr bewanderte Frau Cipschka ungerührt während sie das Papier in den große blaue Müllsack schüttete.
"Aber schauen Sie aus dem Fenster ! Das Haus steht nicht mehr am alten Platz !"
"Heute wird doch dieser Arbeitsbereich in das neue Industriegebiet verlagert !" antwortete die Putzfrau kopfschüttelnd. "Wo haben Sie nur wieder ihren Kopf !".
Herr Salzner war es gewohnt dass er bei Frau Cipschka mütterlichen Instinkte weckte. Und Frau Cipschka hatte es sich zur Aufgabe gemacht den sehr sympathischen aber oft etwas lebensuntüchtigen Herrn Salzner etwas auf die Sprünge zu helfen.
Dieser rannte zurück ans Fenster, öffnete es und blickte nach unten. Auf unzähligen kleinen Beinen bewegte sich das Haus einem Tausendfüssler gleich voran. Eindeutig Richtung Industriegebiet.
Er ließ sich auf seinen Bürostuhl sinken. Vielleicht sollte er in Zukunft Emails aus der Zentrale doch Wort für Wort lesen. Und sich nicht mit der ersten Interpretation zufrieden geben.

3 Kommentare:

mq hat gesagt…

Das Thema Mobilität am Arbeitsplatz gewinnt neue Konturen.

kein einzelfall hat gesagt…

Ich starre völlig gebannt auf diesen Namen: Frau Cipschka.
Wieder mal eine weitere Stufe auf der nach oben offenen Lundi-Phantasie-Skala.

Anonym hat gesagt…

Das hat mich irgendwie vom Stil sehr stark an den "Anhalter" erinnrt. Besonders der Charakter der Frau Chipschka transportiert diese gelassene Ironie :)