Dienstag, November 28, 2006

Frösche dürfen weiter hoffen

"Erzähl uns nochmal das Märchen vom Froschkönig" betteln die beiden Enkel im Kindergartenalter, Constantin und Tina, ihren Opa an. Der hatte schon lange aufgegeben mit seinen Augensternen zu diskutieren, holt das abgegriffene Märchenbuch und fängt an vorzulesen. Die beiden hängen an seinen Lippen, dulden keine Abweichung vom vorgegebenen Text.
Horst Mützle hat das Rätsel bisher nicht lösen können warum man Kindern immer wieder die gleichen Geschichten vorlesen muss, die diese besser als der Vorleser kennen und jede kleine Auslassung oder Improvisation hart kritisieren.
Ist ja eigentlich genauso wie in der Kirche denkt er sich diesmal. Immer wortwörtlich die gleichen Bibeltexte. Aber immer mit einer neuen Interpretation. Das wäre doch auch etwas für Märchen.
Laute Protestrufe reissen ihn in die Realität zurück, und er liest mit geübter Stimme das Märchen weiter.
Am Ende des Märchens beginnt Horst Mützle seine neuen Gedanken über das Vorlesen umzusetzen. "In diesem Märchen hat die Prinzessin am Anfang eine behütete Kindheit so wie ihr. Es gibt keine Probleme, keine Gefahren, keine Pflichten. Und ihre schöne goldene Kugel zeigt wie perfekt alles ist."
"So naive Kinder gibt es heutzutage gar nicht mehr" unterbricht Constantin. Tina pflichtet ihm bei. "Und wir haben schon von Anfang an Pflichten, werden im Kindergarten mit der Realität konfrontiert. Wir müssen nicht erst eine symbolisch eine goldene Kugel verlieren."
Der Opa ist sprachlos. "Warum soll ich euch die Geschichte dann immer vorlesen ?"
"Sie ist einfach sooo schön. Ich will auch einen verwunschenen Prinzen treffen" flötet Tina. "So ein Frosch im Schloss, das ist eklig" steuert Constantin begeistert bei.
Horst Mützle seufzt erleichtert. Er wird das Vorlesen nie wieder in Frage stellen.

4 Kommentare:

samoafex hat gesagt…

Das lasse ich meine Mutter lesen, die bis heute rätselt, warum sie mir sämtliche Märchen auf diesem Planeten vorlesen konnte, während mein Bruder darauf beharrte, ausschließlich und immer wieder Dornröschen (oder war es doch Schneewittchen? Eins von beiden jedenfalls) zu hören.

Lundi hat gesagt…

Das ist ja interessant ! Jetzt wäre es interessant zu wissen ob Dein Bruder öfters in die Kirche geht als Du...

Anonym hat gesagt…

MEIN Frosch, auf den ICH hoffe, ist klein, grün, weich und mit Styroporkügelchen gefüllt. Ein Geschenk von meiner Schwester vor einigen Jahren, nach einer misglückten Beziehung. Den werf' ich zwischendurch immer mal wieder gegen die Wand und gebe die Hoffnung nicht auf ..;))

samoafex hat gesagt…

Mein Bruder geht nie in die Kirche, noch weniger als ich ;)