Dienstag, Januar 10, 2006

Besuch von Paul Bocuse

Seit Tagen war ihr nun der altmodische Citroën Lieferwagen aufgefallen, der jeden Abend in der Nähe ihrer Wohnung geparkt war. Mit dem französischen Nummerschild und der grauen Farbe erinnerte er sie immer an die alten französischen Krimis, die sicherlich ihren Teil dazu beigetragen hatten, dass sie in den Polizeidienst gegangen war. Wenn sie vor dem Einschlafen nochmal verstohlen auf die Straße schaute, stand er noch da. Aber wenn sie sich morgens auf den Weg ins Polizeipräsidium machte war er immer verschwunden.
Diesen Tag war sie einfach nur genervt. Vom ewigen Papierkrieg, den nervtötenden Kollegen, dem stets unzufriedenem Chef. Und als sie den Lieferwagen wieder sah, platze ihr der Kragen. Sie stürmte auf ihn zu und riss die beiden hinteren Klapptüren auf. Aus dem Laderaum strahlte sie ein älterer Herr in klassischer Kochbekleidung freudig an, während er an einem kleinen Herd in einem Topf umrührte. "Endlich kommen sie vorbei, Frau Kommisarin !". Sie traute ihren Augen nicht. Der Mann kam ihr so bekannt vor, ja, er lächelte sie immer so nett vom Einband des Buches "Paul Bocuses Lieblingsrezepte" an, das sie dekorativ in ihrer Küche drapiert, aber noch nie benutzt hatte. Er füllte die Suppe aus dem Topf in eine verschliessbare Plastikdose, stellte diese zu den anderen Behältern in eine Plastiktüte und drückte diese ihr in die Hand. "Guten Appetit wünsche ich !".
Sie musste kurz eingenickt sein. Vor ihr auf dem Küchentisch standen die leeren Behälter der immer gleichen Peking-Suppe und der Hähnchenbrust süß-sauer vom China-Imbiss an der Ecke. Sie lächelte Bocuse auf dem Einband zu: "Morgen fange ich an zu kochen !"

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