Mittwoch, September 06, 2006

Rotwein am Fuße des Olymps

Michael Schneider steht am Küchenfenster und schaut auf die von Straßenlaternen erleuchteten parkenden Autos herab. Er hat lange nachgedacht, und eigentlich liegt alles klar vor ihm.
Dass die FAZ sein Talent nicht erkannt hat sollte ihn eigentlich nicht verwundern. Die Geschichte zeigt dass viele Genies erst spät den angemessenen Ruhm erlangten. Und außerdem - sollte er sein Talent wirklich an den Journalismus verschwenden ? War er nicht für größeres auserwählt: Den Schlüsselroman seiner Generation schreiben, oder das Buch das eine ganze Jugend prägt, oder den Roman der noch nach hundert Jahren als geniales nur von wenigen verstandenes Meisterwerk gefeiert wird ?
Er nimmt ein Schluck aus dem Rotweinglas. Ein schwerer Bordeaux. Nichts leichtes, süssliches, keine schnellen Effekte, sondern etwas mit Nachklang, Tiefenwirkung. So soll sein Buch werden. Er kann es schon fühlen.
Jetzt muss er nur noch anfangen es zu schreiben. Ja, nächstes Wochenende müsste er etwas Zeit haben, da wird er den Grundstein für seinen Aufstieg in den Literaten-Olymp legen.
Er beobachtet die Wirkung des Mondlichts auf sein Weinglas. Da kann er den Roman schon komplett herauslesen.

Dienstag, September 05, 2006

Else Kling, Muse der Modernen

Helmuth Indrensen. Ein guter Name für einen Autor. Der klingt intellektuell und außergewöhnlich denkt sich Michael Schneider. Das ist schon die halbe Miete. Dann der Titel. Ein Geniestreich. So viel Aussage in fünf Wörtern und einem Satzzeichen.
Und dann die Referenzen, das Name-Dropping. Wittgenstein, Marcuse, Sontag, Tournier, Diedrichsen, auch ein kleiner Bezug auf Descartes und Voltaire. Die wichtigen Schlagworte. Dekonstruktivismus, Neo-Vaudeville, nachhaltige Urbanisierung.
Dieser Artikel wird seine Eintrittskarte in den seriösen Journalismus. Den kann die FAZ gar nicht ablehnen. Michael Schneider wirft einen liebevollen Blick auf seinen Laptop. Sein Nachruf auf Annemarie Wendl ist schlicht ein Meisterwerk.

Montag, September 04, 2006

Schoko-Nußschnecke in Felix Austria

Lange hatte sie auf diese Rückkehr gehofft. Es hat zähe Verhandlungen bedurft, sie musste alle ihre Diplomatie, aber vor allem ihren unwiderstehlichen Charme einsetzen. Und jetzt stieg sie in Salzburg aus dem Zug der auf keinem österreichischen Fahrplan verzeichnet war. Sie hatte noch fast eine Stunde bis der nächste Zug nach Wien fuhr. Also vorsichtig raus auf die Straße. Es ist schon ungewohnt das alles wirklich zu sehen, eine ganz neue Welt. Andererseits war sie durch das Fernsehen gut vorbereitet. Die anderen Passanten schauten sie gar nicht so erstaunt an, in dieser durch Tourismus geprägten Stadt waren sie wohl Leute in historischen Kostümen gewohnt.
Sie ging die Straße entlang bis sie durch eine Bäckerei magisch angezogen wurde. Sie konnte nicht widerstehen und betrat den Laden. Bewundernd stand sie vor der Vitrine. "Dieses Gebäck sieht allzu köstlich aus. Um was handelt es sich hier ?" fragte sie die Verkäuferin.
"Das ist Hefeteig mit Schokoüberzug, und das sind Nußschnecken mit und ohne Schokolade. Und die sind wirklich lecker".
"Ich möchte gerne dieses hier. Obwohl wenn Sie sagen die Nußschnecken..."
"Ich gebe Ihnen auch von beiden die Hälfte".
"Das wäre wirklich sehr liebenswürdig. Und bitte packen Sie mir das zum Mitnehmen ein, wenn es nicht zu viele Umstände macht".
"Dann packe ich Ihnen noch Servietten dazu. Sie haben ja sehr schönes Wetter heute für Ihren Besuch".
"Ich fahre gleich nach Wien weiter".
"Dann empfehlen Sie uns trotzdem weiter. Und wenn ich es bemerken darf: Sie sind die überzeugendste Sissi-Darstellerin die ich bisher gesehen habe."
Später im Zug merkte sie wie glücklich sie war wieder in ihrem Österreich zu sein. Solche herzlichen, offenen, freundlichen Menschen gibt es nur hier, wie sie auch im Himmel feststellen musste. Und als sie in die Nußschnecke biss durchfuhr sie ein Wohlgefühl. Österreichische Süßspeisen, das ist der wahre Himmel. Sie schaute auf die Papiertüte der Bäckerei. Flöckner, seit 1837. Sie hatte es gewußt. Ihr Österreich lebt noch.

Donnerstag, August 31, 2006

Kleines Blogpäusle bis 3.9.

Ein verlängertes Wochenende inclusive ritueller Mozartanbetung ist geplant.

Kühle Stars - jetzt auf ihrem Filmfest

Der rote Teppich ist ausgerollt, die Presse hat die Kameras gezückt, viele Schaulustige haben sich versammelt um einen Blick auf die Stars zu erhaschen. Zur Premiere von "Rendezvous am Kühlschrank" haben sich die Hauptdarsteller angesagt, nicht besonders talentierte aber wegen ihres Aussehens um so beliebtere Schauspieler.
Ein Kombi mit verdunkelten Scheiben rollt an. Scheinwerfer werden angeschaltet, Mikrofone gezückt. Ein Kreischen erhebt sich, vor allem der Vorname des männlichen Darstellers wird in gefährlich hohen Frequenzen geschrien.
Zwei Männer in Arbeitskleidung steigen aus, öffnen die Heckklappe, ziehen eine Sackkarre hinaus, danach einen Kühlschrank und stellen ihn auf das Transportgerät. Nach einer kurzen erschreckten Stille geht das Toben wieder los. Da kommt der dritte Hauptdarsteller, der titelgebende Kühlschrank ! Alle sind begeistert.
Die zwei Männer fahren den Kühlschrank über den roten Teppich hinein und stellen ihn hinter der Bar ab. "War doch viel einfacher als durch den Hintereingang" meint der eine während er ihn anschliesst. "Wurde auch Zeit" grummelt ein weiss gekleideter Ober und beginnt gleich den Kühlschrank zu füllen.
"Wahnsinn, die haben mich wirklich für Rodolfo 'Bosch' Amundsen gehalten" summt der Kühlschrank hoch zufrieden.

Mittwoch, August 30, 2006

Super-Jochen wacht: Köln kann beruhigt schlafen

Jeden Abend waren die gleichen Fenster in dem Bürogebäude am Barbarossaplatz erleuchtet. Ab und zu war ein Mann im Anzug zu erkennen, der an das Fenster tritt und gedankenschwer aber überheblich hinausblickt.
Als Jochen Marmotte nach einer durchfeierten Nacht kurz vor Sonnenaufgang am Sonntag auf die erste Straßenbahn wartet und die Bürofenster wieder bedrohlich über die Stadt strahlen wird im klar: Da muß ein verrücktes Genie am Werke sein, das die Übernahme der Weltherrschaft plant. Was soll er da unternehmen ?
Er spricht eine Gruppe von Jugendlichen an, die mit ihm auf dem Bahnsteig warten. Die brechen aber nur in begeistertes Gelächter aus. Was soll er jetzt machen ? Die Polizei alarmieren ? Aber bringt er sich da nicht selber in Gefahr, wird sich der Wahnsinnige nicht an ihm rächen ? Vielleicht muß er einfach mehr Leute informieren, ein Mutiger wird dann schon einen Weg finden.
Am übernächsten Abend, auf dem Heimweg von der Arbeit versucht er es wieder. "Witzige Idee" lobt ihn einer, andere entfernen sich schnell ein paar Meter und sehen ihn an als ob er der gefährliche Bösewicht wäre. Jochen Marmotte läßt sich nicht beirren. Und zwei Wochen später, nach intensiver Aufklärungsarbeit sind die Fenster abends dunkel. Und bleiben es die nächsten Wochen auch. Er ist glücklich. Offensichtlich hat das Genie mitbekommen dass sein Plan nicht mehr geheim ist, und hat das Unterfangen abgebrochen.
Jochen Marmotte hat die Welt gerettet. Aber er muss wachsam bleiben - ein echter Erzschurke gibt nicht so schnell auf.

Madsen: "..dann hab ich's allen erzählt und wurde ausgelacht, doch das stört mich nicht. Denn ich weiß, heute muss ich etwas Gutes tun. Ich mach die Augen zu und nehme all meine Wut. Hier kommt ein ganz normaler Held: Ich rette die Welt" aus "Ich rette die Welt" von der aktuellen CD "Goddbye Logik"

Montag, August 28, 2006

Banges Warten auf den Rächer, den Hügelmann Rächer

Da, was kommt da hinten angefahren ? Günther Heisel fängt an zu zittern, seine Gesichtsfarbe ändert sich. Ist er endlich am Ziel angelangt ?
Günther Heisel ist Carspotter. Er sitzt an Wochenenden, aber oft auch zur Entspannung mal abends auf Autobahnbrücken, an Hauptverkehrsstrassen oder anderen geeignet erscheinenden Orten und schaut sich die vorbeifahrenden Autos an. Er hat sich aber spezialisiert. Er weiß gar nicht mehr warum es so gekommen ist. Er hat auf alle Fälle nach einer ersten durchschnittlichen Carspotter-Karriere mit riesigen Listen gesichteter Fahrzeugtypen an einem feuchtfröhlichen Abend mit Carspotter-Freunden beschlossen nun nur noch nach Hillman Avenger Ausschau zu halten. Dieses Auto fiel ihm spontan ein, Erinnerung an einen Urlaub.
Und nun ist er seit 10 Jahren spezialisiert, und hat noch keinen Hillman Avenger gesehen. Ist doch nicht verwunderlich sagen seine Freunde, wurde der überhaupt in Deutschland verkauft ? Und der ist doch schon ein Oldtimer. Aber er hat sich dieses Ziel gesetzt, und keiner der sich über viele verschiedene Autos freut kann nachvollziehen was diese Suche inzwischen für ihn bedeutet.
Und da kommt das Auto näher, es sieht schon sehr ähnlich aus, nein, kein Avenger. Er atmet tief durch, schließt die Augen und konzentriert sich. Ganz kurz stand die Leere vor seinen Augen, das Nichts nach dem Erreichen des letzten Ziels. Aber jetzt kann er weiter suchen. Alles ist gleich geblieben, alles hat noch seinen Sinn.

Samstag, August 26, 2006

Nachtmusik und Nachtphantasie

Das alteingesessene Spielwarengeschäft in der Fußgängerzone zeigt in seiner Auslage aktuelles Plastikspielzeug. Auch jetzt, Freitag nacht, sind die Schaufenster hell erleuchtet. Nicolas ist auf dem Heimweg nach einer durchschnittlichen Clubnacht, da glaubt er Weihnachtslieder zu hören. Er konzentriert sich: Nein, dass ist kein Ohrensausen, das Nachschwingen der Minimal House Sequenzen, aus Richtung des Spielwarengeschäfts klingt eindeutig mehrstimmiges Weihnachtsliedgut.
Jetzt spinnen die ja völlig denkt sich der erschöpfte Nachtmensch, die Adventszeit im Augsut beginnen zu lassen. Plötzlich bricht das Lied ab, es klingt nach eines Diskussion. Ist das keine Weihnachtsbeschallung, singt da jemand ? Er geht näher zum erleuchteten Kinderparadies und versucht durch die Ladentür zu sehen. Da wird "vom Himmel hoch" angestimmt, mit dezenter Klavierbegleitung. Nicolas kann nur dunkle Schemen ausmachen, glaubt Bewegungen zu erahnen.
Er will schon anklopfen, aber dann hat er die Befürchtung dass vielleicht doch kein Steiff.Teddy oder Sigikid Pinguin öffnen und ihn willkommen heissen würde. Manche Dinge sind einfach schöner wenn man sie nicht zu erklären versucht sondern in der Phantasie beläßt.
Er steckt die Hände in die Jackentaschen und geht weiter, fröhlich "ich steh an deiner Krippe" pfeifend.

Freitag, August 25, 2006

Nachtmomente

Ich wache mitten in der Nacht auf. Es ist noch dunkel. Langsam schalten sich die Sinne ein, erste Wahrnehmungen werden empfangen. Es rauscht und plätschert. Schon wieder schlechtes Wetter. Vom Bett aus schaue ich durchs Fenster. Vereinzelte gold'ne Sterne prangen am hellen und klaren Himmel. Die Gedanken fangen langsam an sich aus ihrer wohligen Unbeweglichkeit zu schälen. Also kein Regen. Langsam schiebe ich mich an den Bettrand, vorsichtig richte ich mich auf, stehe schließlich auf den Füßen und trete an das Fenster. Ich sehe die Zeit an den Fassaden herunterlaufen, über die Gehwege strömen, sich in den Rinnsteinen sammeln und schließlich in der Tiefe verschwinden. Ein stetiger Strom, nicht versiegend und nie innehaltend. Luftschlösser unterspülend und Pläne abwaschend. Ich öffne das Fenster und strecke den Kopf hinaus. Es fühlt sich befreiend an. Mein Herz wird leicht, ich freue mich auf den Morgen.

Donnerstag, August 24, 2006

Die EU-Wohlfühlminister warnen: Mithören schadet der Entspannung

"Und iss etwas vernünftiges. Und Du weißt: Immer genug trinken."
Herr Streibelmeier ist genervt. Er hat einen anstrengenden Tag hinter sich, ein Besuch in der Firmenzentrale. Jetzt, auf der Heimfahrt mit dem ICE, wollte er sich entspannen, träumen, lesen. Und nun telefoniert die Frau neben ihm so penetrant.
"Laß Dich doch nicht immer so von Leo ärgern. Ignorier ihn."
Muß man seine Kinder vom Großraumwagen aus erziehen ?
"Und Geduld. Um 22 Uhr kommt die Kathie vorbei und geht mit Dir spazieren."
Was ist denn das für eine Erziehung ?
"Nein, natürlich streichle ich niemand anderen !"
"Entschuldigen Sie" mischte sich nun Herr Streibelmeier gereizt ein, "aber können Sie Ihre bizarre Kindererziehung bitte woanders abhalten ? Sonst muß ich mich wirklich noch einmischen."
"Was erlauben Sie sich" erwidert die Mitreisende.
"Ein Kind um 22 Uhr auf die Straße zu schicken. Ich werde das dem Jugendamt melden" kommt Herr Streibelmeier in Fahrt.
"Dem Jugendamt ? Darcy, ich muß aufhören, mein Sitznachbar..." Die Frau packt das Handy in die Handtasche und schaut ihrem Nachbarn tief in die Augen. "Sie denken ich telefoniere mit meinem Kind ?" Sie lacht hell auf. "Gestatten Sie, Vanderhof. Ich telefoniere mit meinem Hund."
"Angenehm, Streibelmeier. Äh - was ?" Herr Streibelmeier vergißt kurz seine guten Manieren als er realisiert was seine Mitreisende Professor Mechthild Vanderhof, Spezialistin für Zoologopädie gesagt hat.
"Ich sagte ich telefoniere nur mit meinem Hund."
"Ach, es beruhigt ihn Ihre Stimme zu hören."
"Nein, ich telefoniere mit ihm."
"Sie behaupten der Hund versteht Sie ?"
"Das weiß doch jeder Hundebesitzer daß sein Hund ihn versteht. Meiner antwortet auch. Das ist mein Forschungsprojekt. Hunden das sprechen beizubringen."
Her Streibelmeyer fängt an zu lachen. Diese Heimfahrt verspricht doch nett und entspannend zu werden. Seine Nachbarin ist viel sympathischer als er am Anfang gedacht hat.
Und auch Professor Vanderhof freut sich. Sie beschäftigt sich zwar mit der Entschlüsselung der Sprache von Tieren, aber natürlich können Hunde nicht die humanoider Sprache benutzen. Aber mit ihrem Handytrick gelingt es ihr immer wieder auf langweiligen Bahnfahrten Mitfahrer aus der Reserve zu locken.

Mittwoch, August 23, 2006

Der Completator

Der Renter Walther Häberlein war der Prototyp eines schwäbischen Tüftlers. Im ehemaligen Hobbyraum des Reihenhauses in der Siedlung aus den sechziger Jahren suchte er immer noch nach pfiffigen Lösungen für alltägliche Probleme. Und nun hielt er ihn in der Hand. Den Completator. Das Ergebnis von zehn Jahren harter Arbeit, zu Beginn seiner Frührente angefangen um seiner Frau im Haus nicht zu sehr in die Quere zu kommen.
Er richtete das taschenlampengroße Gerät auf einen Legostein und drückte. Ein gleißender Lichtstrahl, Zuckungen des Raum-Zeit-Kontinuums, ein durchschneidendes Geräusch und auf der Arbeitsplatte stand eine ganze Legostadt. Dort eine Ameise auf dem Boden - zzzwöschwischl - ein großer Ameisenhaufen. Herr Häberle strahlte. Der Completator arbeitete ja umwerfend. Keine einfache Vervielfachung, sondern aus dem Einzelnen die ganze Einheit erschaffen.
Er läuft die Kellertreppe hoch. Zzzwöschwischl - aus dem Goldfischglas wurde ein riesiges Aquarium voller tropischer Fische. Raus auf die Straße. Ein singendes Kind - zzzwöschwischl - ein ganzer Kinderchor mit Dirigent. Ein Blatt weht im Wind - zzzwöschwischl - ein ganzer Wald schwebt über der Siedlung...
Es konnte nie geklärt werden auf welche Weise die Wohnsiedlung unter entwurzelten Bäumen begraben wurde. Es wird angenommen dass ein Tornado einen kleinen Wald mitgenommen und auf die Siedlung geschleudert hat, auch wenn es keine entsprechenden Wetteraufzeichnungen oder Augenzeugenberichte gibt. Und auch die Herkunft des von den Bäumen erschlagenen Kinderchors konnte nie geklärt werden.

Dienstag, August 22, 2006

Jeder sucht sein Roadmovie

"Einfach in das Auto setzen und losfahren. Durch beeindruckende Landschaften rollen, einsam in der überwältigenden Natur. Dann in einem kleinen pittoresken Ort ankommen. Etwas finden. Bleiben oder es zurück mitnehmen. In den Filmen klappt das immer so gut" beklagt sich Jasmin bei ihrer besten Freundin Konstanze, "aber ich habe schon mal kein Auto, und die nächste außergewöhnliche Landschaft ist auch viel zu weit weg".
"Wenn Du so anfängst wird es natürlich nie etwas. Ich habe übrigens gerade einen Film gesehen in dem sie zuerst mit dem Zug fahren..."
"Du machst es Dir immer zu einfach" fällt ihr Jasmin ins Wort. "Aber vielleicht geht es Dir deshalb auch so gut. Aber ich bin nicht Du !"
Konstanze gesteht sich ein dass sie mit allem mehr Glück hat als Jasmin - Männer, Job, Karma - aber das Glück kommt nicht von alleine, zumindest in ihrer mühsam erarbeiteten Philosophie. "Also dann helfe ich Dir. Das allerwichtigste: Nicht lange nachdenken. Also nimm die nächsten Tage frei, packe den Rucksack und ich hole Dich morgen früh ab". Jasmin stimmt überrumpelt zu, obwohl ihr solche spontanen Dinge wenig liegen. Am nächsten morgen ist Konstanze pünktlich da und fährt sie zum Bahnhof: "Hier die Fahrkarte und die Zugverbindung nach Kappeln". "Kappeln ?" Jasmin hatte sich überlegt was Konstanze wohl plant, vielleicht einen Last-Minute Flug nach Asien, aber eine Zugfahrt nach Norddeutschland ? Aber schon während der langen Zugfahrt überkommt sie das Gefühl in ihrem eigenen Roadmovie angekommen zu sein, man muß nur mal die Mitreisenden genauer beobachten. Am Nachmittag im Bummelzug nach Kappeln fühlt sie sich dann wie im Wilden Westen, wenn der Zug mitten in der freien Landschaft hält. Und als sie in Kappeln auf der Suche nach einer Unterkunft durch das Städtchen schlendert und dann die Fischer an der Schlei beobachtet, die ihren Fang ausladen, spürt sie das hier etwas zu finden ist. Etwas das in ihr selbst versteckt ist. Dank Konstanze hat endlich ihr eigenes Roadmovie begonnen.

Montag, August 21, 2006

Die drei Berufungen des Herrn Braunmiller

Privatdetektiv F.X. Braunmiller sitzt auf der Parkbank, den Photoapparat mit dem Teleobjektiv über die Beine gelegt und genießt den Sommerabend. Ein Schluck aus der Eistee-Flasche und der Blick in Richtung des Paares: Nichts, die beiden sind noch nicht wesentlich weiter gekommen.
Der Blick hoch zum Himmel: Der Fischreiher den er die letzten Tage gesehen hatte ließ sich noch nicht blicken. Aber er benötigt noch eine schöne Flugaufnahme. Den F.X. Braunmiller hat sich einen Namen gemacht: Nicht als Detektiv spezialisiert auf untreue Ehepartner, sondern als Tierphotograph für urbane Lebensräume. So nutzt er die Wartezeiten zu einer entspannenden und zusätzliches Einkommen bringenden Tätigkeit. Und auf den ph-s in seiner Berufsbezeichnung besteht er - wer ihn Fotograf nennt bekommt keine Photos von ihm.
Da, etwas geschieht ! Braunmiller reißt die Kamera hoch. Zu der untreuen Frau, die er lauf Auftrag beschatten soll, und ihrem ebenfalls verheirateten Liebhaber ist die Tochter der Frau dazugekommen. Sie schreit die beiden an, schlägt nach ihrer Mutter und fällt dem Mann um den Hals, und diese beginnen sich leidenschaftlich zu küssen.
F.X. Braunmiller ist begeistert. Eine unerwartete Wendung ! Das wird den betrogenen Ehemann und Vater interessieren. Und das Drehbuch für die neue Staffel von "Liebe auf Umwegen" das er gerade schreibt bekommt dadurch auch eine neue Wendung. Damit wird er seinen Ruf als der kommende Starautor für die typischen Herz-Schmerz-Liebe-Katastrophen Soaps festigen.
Der Detektiv, Tierphotograph und Drehbuchautor schmunzelt. Die Kritiken werden wieder schreiben dass alles so furchtbar unrealistisch sei. Und dabei war nichts erfunden.

Donnerstag, August 17, 2006

Bedrohte Tierarten (3): Neuguineaspatz (vulgo Freizeichenspatz)

Neuguineaspatzen gehören wie ihr Name richtig andeutet zur Familie der Spatzen. Sie sind unauffällige kleine Vögel die in den höhergelegenen, offenen Landschaften von Neuguinea leben. Sie sind Kulturfolger und meistens in der Nähe von Besiedlungen zu finden. Die Neuguineaspatzen ziehen durch drei Eigenschaften die Aufmerksamkeit auf sich: Ihre Langlebigkeit (10 Jahre sind keine Seltenheit), ihren speziellen Lockruf und ihre gute Dressierbarkeit. Diese Eigenschaften wurden dieser Tierart fast zum Verhängnis: Während der deutschen Kolonialzeit kam der Kommunikationsingenieur Dobel auf die Idee einen Spatzen als Signalgeber ind der Telefonzentrale einzusetzen. Mit etwas praktischer Bastelarbeit und regelmäßiger Dressug konnte er das geniale Prinzip verwirklichen: Wurde durch eine Lampe ein getätigter Anruf angezeigt, begann der Spatz seinen gleichmäßigen Lockruf zu singen. Zeigte eine zweite Lampe an dass der gewünschte Anschluß nicht zur Verfügung stand sang der Vogel im schnelleren Tempo.Die Idee verbreitete sich schnell und die Vögel wurden zu tausenden gefangen und in deutschen Telefonzentralen eigesetzt. So bekam der Vogel auch seinen populären Namen Freizeichenspatz.
Da die Zucht in Gefangenschaft selten gelingt wurden bis in die neunziger Jahre diese Vögel in großen Mengen aus Madagaskar eingeführt.Erst seit der Digitalisierung der Telefonvermittlung und der gleichzeitigen Ersetzung der Spatzen durch eine digitale Aufnahme ihres Gesangs erholt sich der stark reduzierte Bestand auf Neuguinea langsam. Auch in Deutschland ist in Großstädten ein kleiner Bestand zu finden, der sich aus von Telefonzentralen entwichenen Tieren weiterentwickelt hat.

Mittwoch, August 16, 2006

Die Dresdner Puppen

Der Puppenspieler ist fast immer in der Fußgängerzone von Dresden anzutreffen. Er stellt morgens seine kleine Pappbühne an den Rand der zu erwartenden Passantenströme und beginnt zu spielen.
Leute bleiben stehen, schauen zu, und gehen meistens bald wieder weiter, weil sie das Geschehen langweilt. Wenn da zum Beispiel ein Paar auf der Bühne eine langwierige Diskussion über die Bedeutung des Künstlerehepaars Björk und Matthew Barney führt. Einige wenige bleiben aber gefesselt stehen und merken erst viel später wieviel Zeit vegangen ist. Und werden schließlich zu Stammgästen wenn sie feststellen dass sich da ja zwei Leben vor ihren Augen abspielen. Dass immer das selbe Paar auf der Bühne steht, offensichtlich aus kulturell interessierten und gebildeten Kreisen, ohne Geldsorgen oder Pflichten. Das Themen nach Wochen wiederauftauchen und weiter diskutiert werden.
Für ein besonderes Erlebnis warten die treuen Fans gerne Stunden: Wenn Amanda - so der Name der weiblichen Figur - anfängt zu singen während Brian - die männliche Figur - dazu den Takt schlägt.
Irgendwann nach Ladenschluss packt der ziemlich heruntergekommen aussehende Puppenspieler zusammen und zieht sein Wägelchen Richtung Heilsarmee, wo er seit Jahren ein Bett im Männer-Schlafraum belegt hat. Er denkt über sein eigenes Leben nicht mehr nach. Denn tagsüber lebt er immer zwei großartige.

Mein aktueller CD-Tipp: The Dresden Dolls - Yes, Viginia...

Dienstag, August 15, 2006

Das schlechte Plus ist äußerst positiv

Gestern spät abends "Stromberg" auf Pro7 geschaut. Ich weiß, die Serie gibt es schon ewig, aber ich schaue viel zu wenig Fernsehen...
Die Titelmusik. Das klingt doch wie... Im weitgewebten aber engmaschigen Netz nach der Bestätigung gefischt: Tatsächlich, The Bad Plus !
Ab und zu hat gute Musik doch ein Chance.

Throwing Pooh-Sticks

Die famose Frau Einzelfall hat mir ein Pu-Stöckchen zugeworfen. Da mache ich mich doch gleich an die Beantwortung der Fragen:

Warum bloggst Du?
Als sich eine befreundete Person als Blogger geoutet hatte wollte ich es einfach auch mal probieren. Und ich habe festgestellt dass mir das Verfassen von Texten sehr viel Spaß macht, wenn sie nicht ungelesen in einem Block landen sondern öffentlich in einem Blog stehen.

Seit wann bloggst Du?
Erst seit November 2005.

Selbstportrait?
Mit Malen habe ich es nicht, aber wer mich sehen will kann hier hin kommen:

Dies soll nur auf den genialen Eintrittskarten-Generator hinweisen den ich bei Lisa Neun gefunden habe.

Warum lesen deine Leser Deinen Blog?
Das wüsste wohl jeder Autor gerne. Ich denke sie empfinden das Lesen der Beiträge nicht als völlige Zeitverschwendung.

Welche war die letzte Suchanfrage, über die jemand auf Deine Seite kam?
wiglag droste the köln concert
Das ist wirklich interessant nach was Leute so suchen ! Weitere Beispiele die auf diesen Blog führten:
mohnblumen malen
lange geflochtene zoepfe
schlesischer mohnstrudel
Das freut den Autor natürlich außerordentlich.

Welcher Deiner Blogeinträge bekam zu Unrecht zu wenig Aufmerksamkeit?
Da ich nicht weiß welche Einträge wie intensiv gelesen werden hoffe ich dass jeder die Aufmerksamkeit erhält die er verdient (und das heißt manchmal auch keine)...

Dein aktueller Lieblings-Blog?.
Der mir Stöckchen zugeworfen und auch schon einmal die Magie von Pooh`s Country beschworen habende Blog.

An welche vier Blogs wirfst du das Stöckchen weiter und warum?
Wer immer sich ein Stöckchen aus dem Bach fischen mag ist herzlich eingeladen.

Deine Lieblingsband?
Das sind bei mir drei: The Cure, The Go-Betweens und The Smiths. Inclusive der jeweiligen Solo-Platten von Morrissey, Grant McLennan und Robert Forster. Drei Bands die in meinem Musikgeschmack bei sonstigem steten Wechsel immer vorne standen.

Deine Lieblingsfarbe?
Blau - wie das Meer oder der Himmel.

Montag, August 14, 2006

Es war einmal Charlene

Die Prinzessin sitzt auf dem gemauerten Rand des Brunnens im Burghof und kämmt ihr güldenes Haar mir einem Perlmuttkamm. Eine Szene wie in einem Märchen, aber schließlich handelt es sich auch um ein Märchen. Und wie in vielen Märchen ist der Ort nur als die Burg bekannt, obwohl er den schönen Namen Falkenzell besitzt, und auch die Prinzessin hat einen Namen: Charlene. Sie mag ihn überhaupt nicht und ist daher froh nur Prinzessin genannt zu werden.
Charlene hadert mir ihrem Schicksal. Sie ist zur Passivität verdammt, soll warten bis ein Frosch oder Prinz auftaucht, sie von einem Drachen oder Vogel geraubt wird, Probleme mit ihren Eltern oder Schwierigkeiten mit Feen oder Hexen bekommt. Jetzt sitzt sie in dem altmodischen und unpraktischen aber wunderschön anzusehenden blaßblauen Kleid in seit ihrer Kindheit geübten Prinzessinenpose da - und das soll ihr genügen ?
Mit dem Abitur in der Tasche ist sie bereit für die große Welt, sie will Modedesign studieren. Und da gibt es noch ihren Prinzen, der in die ferne Hafenstadt Hamburg ziehen wird, und von dem sie ihren Eltern noch nicht erzählt hat. Denn er ist zwar ihr Prinz, aber nicht adlig.
"Was sitzt Du da so traurig ?" säuselt eine Stimme.
Charlene zuckt zusammen. Mit den ganzen verzauberten Tieren und Dingen weiss man nie ob man wirklich alleine ist. Neben ihr auf dem Rand des Brunnen sitzt ein Siebenschläfer und schaut sie mitfühlend an.
"Ich will nicht mein Leben lang Märchenprinzessin sein. Ich will studieren, und zwar in Hamburg wo auch mein Freund sein Studium beginnen wird. Aber meine Eltern lassen dass nie zu. Und in Märchen kann man nicht ungestraft gegen seine Eltern rebellieren !"
Der Siebenschläfer strahlt sie an: "Nichts leichter als das ! Es kommt immer nur auf die Verpackung an. Ich schlage folgendes vor..."
Und nach dem Abendessen bekommt Charlene die begeisterte Erlaubnis von ihren Eltern sich in der Hafenstadt in das höfische Leben zu mischen, um dort eine größere Auswahl an Prinzen aus allen Herren Ländern zu haben. Und ihr Vorschlag sich nebenbei selber etwas um ihre Kleidung zu kümmern, vielleicht auch mal selber ein Kleid zu nähen begeistert ihre Mutter, die sich immer Sorgen um ihre Tochter gemacht hat, weil diese immer darauf bestanden hat in Hosen zur Schule zu gehen.

Sonntag, August 13, 2006

Aus Autos, nicht aus Händen lesen

Er hat den Beruf nie gemocht. Die Leute verachtet die ihn ausüben. Und jetzt war er selber auf den Straßen unterwegs um Parksünder aufzuspüren.
Gut, er war an der frischen Luft, bewegte sich und tat etwas für die mageren Finanzen der Stadt. Aber die unangenehmen Begegnungen mit Autobesitzern konnten einem schon den Tag verderben. Und immer nur Strafzettel ausfüllen ließ doch eine gewisse Leere in ihm zurück.
Daher schrieb er seit einem Jahr nun alles mögliche mitteilenswertes auf die offiziellen Formulare: Ihr Auto hat eine schöne Farbe. Mir gefällt der Wackeldackel. Entfernen Sie die gräßlichen Sitzbezüge ! Schämen Sie sich für die CDs auf der Hutablage.
Und da stand wieder der rote Mini korrekt geparkt - ein echter Mini und kein bayerisches Imitat. Jetzt war seine Geduld am Ende.
Er zückte den Block und schrieb: Ich weiß sehr viel über Sie. Alles was mir ihr Auto in den letzten Wochen über Sie verraten hat, Sie wissen schon. Einkaufszettel, Kleidung, Briefe... Daher kann ich Ihnen jetzt sagen: Der Mini passt nicht zu Ihnen ! Sie sind ein typischer Opel Corsa - Typ, angepaßt, immer mit der Mode gehend. Versuchen Sie nicht sich mit einem Auto interessant zu machen.
Zufrieden klemmte er das Formular unter den Schgeibenwischer. Seitdem das Ausfüllen von Strafzetteln nur noch eine Nebensache in seiner Arbeitszeit war machte ihm die Arbeit richtig Spass.

Freitag, August 11, 2006

Le Café de la Gare

Ein Provinzbahnhof in Südfrankreich. Nein, kein malerisches bunt angemaltes Häuschen mit grünen Fensterläden und Blumenschmuck, kein einzelnes Gleis das sich bis zum Horizont durch grüne Wiesen schlängelt, keine Frauen mit vollbepackten Taschen aus denen das frische Gemüse und auch mal der Kopf einer Gans vom Markt ragt.
Sondern ein langes graues, ebenerdiges Gebäude, davor vier Gleise, dazwischen staubige Bahnsteige aus abgenutztem Beton. Zwischen dem Gebäude und Gleis 1 Plastiktische und Stühle. Ein etwas verwegen aussehender Mann nähert sich und ruft in die Tür "einen Pastis, werter Freund !". Dann setzt er sich in einen der Stühle, streckt die Beine in der abgenutzten Jeans aus, streicht sich über den Dreitagesbart und rückt die Sonnenbrille zurecht. Aus der Entfernung wirkt er wie eine jüngere Version von Johnny Halliday, aber aus der Nähe fällt der zerbrechlich wirkende Körper und das sehr breite Lächeln auf, das bei vielen Gelegenheiten erscheint wie eine Sonne, die immer wieder zwischen den Wolken aufblitzt. Kurz darauf erscheint der Wirt, ein Mann in den Fünfzigern mit ausladendem Bauch, wirrer Frisur mit schulterlangen grauen Haaren und stellt mit einem "auf Dein Wohl, Marc" den Pastis vor den Kunden.
"Sie wird nicht kommen" fügt er hinzu, "und der nächste Zug kommt auch erst in 2 Stunden, heute ist Freitag".
"Das weiss ich natürlich, aber hier kann ich besser nachdenken. Hast Du etwas neues für mich ?"
Der Wirt verschwindet kurz in der Tür und kommt mit einem zerfetzten Notizbuch zurück. "Morgen sind die Perseiden zu sehen, die Sternschnuppen. Das hat mich inspiriert."
Er räuspert sich und beginnt sein neuestes Werk vorzutragen, ein ergreifendes Gedicht über Liebe, Verlust - und Sternschnuppen.
Der Gast blickt die Schienen entlang Richtung Großstadt und spürt dass er noch viele Stunden hier sitzen und warten wird, und dass es doch vergebens bleiben wird.

Mittwoch, August 02, 2006

Sommerpause bis 10. August

Ich bin nochmal im Sommerurlaub - ob verdient sei dem Leser zur individuellen Beurteilung überlassen. Das Foto stammt übrigens von meiner vorletzten Blogpause.

L'art de la conversation

Auf der Strandpromenade von Nizza, dem Promenade des Anglais.
"Guten Tag Herr Grönemeyer. Welche Überraschung Sie in Nizza zu treffen."
"Sie verwechseln mich ! Ich bin Herr Turnhuber, und ich kenne Sie nicht."
"Jaja, einen interessanten Namen haben Sie sich hier gewählt. Lassen Sie sich hier inspirieren ?"
"Ja, das ist ein wunderbarer Ort für neue Einflüsse. Aber wie kommen Sie darauf wo wir uns doch gar nicht kennen ?"
"Ich kenne Sie nicht persönlich. Aber Sie sind mir bekannt."
"Dann kennen Sie also meine Kreationen ?"
"Wer in Deutschland kennt die nicht !"
"Jetzt übertreiben Sie nicht so. In Köln-Nippes kennen mich schon sehr viele. Bis Düsseldorf oder Bonn gibt es sogar auch noch einige."
"Eine sympathische Art der Untertreibung ! Aber jetzt zur Sache: Ihr neues Album läßt ja schon länger auf sich warten, und da kann ein Ortswechsel Wunder bewirken."
"Also mir reichen die Briefmarkenalben aus meiner Jugend, ich brauche kein neues."
"Ja, Scherzchen gemacht. Sie wollen also nichts zu ihrem neuen Werken sagen, Herr Grönemeyer ?"
"Turnhuber. Warum nicht ? Sie werden etwas leichter, an der Oberfläche aber rauher und mit etwas orientalischem Anklang."
"Das klingt ja spannend ! Und was hat das genau mit Nizza zu tun ?"
"Das liegt doch auf der Hand ! Ich gehe durch die Gassen und suche Inspirationen bei den hiesigen Kollegen."
"Herr Grö.. entschuldigung, Herr..."
"Turnhuber."
"Achja. Werden dann auch französische Musiker mitwirken ?"
"Musiker ?"
"Oder Sänger ?"
"Was haben Sie denn für eine Vorstellung von meiner Arbeit !"
"Anderes Thema: Die Fußball-Hymne. Für Sie als begeisterten Fußball-Fan..."
"Ich hasse Fußball ! Und auch die doofen Gesänge."
"Dann war das ironisch gemeint ?"
"Fußballtaschen mit Apfelfüllung muß ironisch sein !"
"Herr ... Turnhuber, Sie sprechen schon etwas in Rätseln. Sind Sie vielleicht noch etwas unter, naja, Einfluß gewisser Substanzen ?"
"Also, das Gespräch mit ihnen war seltsam, hatte aber einen Unterhaltungswert, und so etwas macht man im Urlaub ja gerne mal mit. Aber ich nehme keine Drogen, das geht zu weit."
Damit dreht sich Herr Turnhuber ab und schlendert weiter am Meer entlang.
Der Reporter ist glücklich. Das gibt einen tollen Artikel in der Bunten. Grönemeyer unter Drogen, er gesteht dass er die Fußball-Single nur zum Geldverdienen gemacht hat, und plant ein Album mit orientalischen Einflüssen !
Herr Turnhuber wundert sich nur. Da erkennt ihn offensichtlich einer der Kunden seiner Konditorei, er erzählt ihm von seinen Inspirationen für neues Gebäck, aber der Kunde driftet immer in seltsame Aussagen ab. Hat der nicht etwas von Drogen gesagt ? Das erklärt es.

Montag, Juli 31, 2006

Sonntagsfrühstück-Eloge

Sonntag morgen. Eine seltsame Zeit dachte sich Herr Paulsen. Ist das noch die Mitte vom Wochenende, oder bereits die Endphase, das letzte Aufbäumen ?
Als er noch jung war und der Samstag erst richtig begann als er laut Uhr schon vorbei war, da war sein Sonntag morgen natürlich schon ziemlich spät am Wochenende. Als einen Zeitsprung später seine Kinder noch kleiner waren, da war Sonntag morgen der Beginn eines anstrengenden aber ausgefüllten Tages, an dem er vom erwartungsvollen Nachwuchs früh geweckt wurde, und er sich einen spannenden Tag lang von der Energie und den Ideen inspirieren ließ.
Und jetzt - seitdem er geschieden war war Sonntag schon eher das lange Ende, das unerbittliche Nahen des Montags.
An diesem Sommer-Sonntag bekamm er plötzlich die Inspiration frühstücken zu gehen. Er konnte sich das nicht erklären, und hatte es schon ewig nicht mehr getan. Und als er eine Stunde später in einem Hinterhof in der Sonne saß, den größten Teil des Fitness-Frühstücks verspeist hatte (wer denkt sich diese Namen aus hatte er sich beim Studium der Speisekarte gedacht, und wer braucht diese modischen Zutaten), ein Schluck von seinem Milchkaffee nahm, die Leute um sich beobachtete und etwas weiter in der Sonntagszeitung las, wurde ihm klar daß dies der Hauptteil und Höhepunkt vom ganzen Wochenende war.
"Habe ich es doch gewußt" erklang eine triumphierende Stimme. "Ähh ?" brachte Herr Paulsen hervor, schaute um sich, aber konnte niemanden entdecken. "Sonntag morgen ist doch etwas herrliches. Der eigentliche Sinn der Woche."
"Wo sind Sie ? Was soll das ?" flüsterte Herr Paulsen etwas irritiert und schaute unter dem Tisch nach.
"Ich bin der Sonntag-Morgen Fee, und habe heute die Gestalt des Bircher Müsli angenommen. Mein Sonntagskleid" erwiderte die Stimme, und prustete los, so begeistert war er über seinen Scherz.
"Das heißt DIE Fee, und die gibt es nicht, und ich will mein Frühstück geniessen".
"Aber, aber ! Es geht genau darum den Sonntag morgen zu geniessen. Deswegen habe ich Dir doch heute morgen die Idee mit dem Frühstück gegeben. Und ich bin eine männliche Fee."
Herr Paulsen hatte sich überzeugt dass die Stimme wirklich aus dem Müsli kam, hat dabei vergebens darin herumgerührt, gar nicht bemerkt dass der Fee zum Du gewechselt war und meinte dann: "Eine männliche Fee. Das sieht dann aber ziemlich tuntig aus, mit rosa Kleidchen, Lachschühchen..."
"Hahaha" meinte die Fee. "Ich bin hier nicht auf dem CSD. Aber wenn Du nicht willst dann werde ich dafür sorgen daß Du Sonntag wieder schlechte Laune hast".
"Nein. Sei doch bitte nicht gleich beleidigt. Ich fühle mich ja richtig gut hier. Ich genieße den Tag. Ich könnte fast sagen ich bin glücklich."
"Sonntagsfrühstück. Glücklich sein im hier und jetzt. Darum geht es, das ist meine Berufung".
"Ich würde Dich dann aber doch mal richtig sehen".
"OK, dann verschwinde ich und komme dann gleich in den Hof. Und nur für Dich in etwas was ich noch nie getragen habe".
Das Müsli sackte etwas ein, und Herr Paulsen schaute gespannt zur Eingangstor zum Innenhof. Kurz später trat eine sehr große Frau in rosa Kleid, Lackschuhen, Schleifchen im Haar in den Hof. Als sie zielstrebig auf Herrn Paulsen zusteuerte verstummten die Gespräche, denn aus der Nähe war gut zu erkennen daß da ein Mann zum Frühstücken gekommen ist.

Freitag, Juli 28, 2006

No Sympathie for the EnBW


Nach Erhalt dieser Rechnung überkam mich fast Sympathie für das Energieversorgungsunternehmen mit dem mir sehr unsympathischen Vostandsvorsitzenden Herrn C. Nur 17 Cent für 2 Tage Strom ! Und dann noch auf das Geld komplett verzichten. Großmut ! Gönnertum !
Bis mir klar wurde: Die Oberkapitalisten haben sicherlich genau berechnet dass ihre Verwaltungskosten für den Zahlungseingang höher gewesen wären als die Summe.

Ich bin jetzt bei Lichtblick.

Donnerstag, Juli 27, 2006

Magie im Alltag (1): Die Wiederholer

Auch heute leben noch viele magische und mythische Menschen mit besonderen Begabungen mitten unter uns. Nur heutzutage sind sie nicht mehr so einfach zu erkennen wie in den fernen Zeiten zu denen ein spitzer Hut, ein glitzerndes Kleid und ein funkensprühender Stab oder eine Katze auf der Schulter als Berufskleidung völlig üblich waren. Heute haben diese Leute Angst sich mit so einer Kleidung lächerlich zu machen, abgesehen von dem schweren Stand eines wirklich magischen und nicht esoterischen Berufes in der heutigen rationalen Welt der Zweifler.
Daher erkennt man jetzt auch die Wiederholer nicht mehr. Diese können Menschen dazu bringen einen gewissen Zeitabschnitt nochmal zu erleben. Physiker haben bisher vergeblich versucht dieses Phänomen zu ergründen - ein lokales Wurnloch ? Zeitkrümming in Zimmergröße ? Negative Gravitationskonstante in einer Möbiusschleife ? - aber das verhindert nicht das es funktioniert.
Die Könner unter den Wiederholern holen erst nach langer Zeit einen Abschnitt aus der Vergangenheit wieder hoch - die sogenannten Déjàvuteure - während die Anfänger Menschen unverhofft in eine Zeitschleife stecken.
Die Künstler unter ihnen beschallen die eingefangene Szene dann noch mit passender Musik, die sich wie eine Schallplatte mit Sprung immer wiederholt.

Inspiriert durch den Film "Absolute Giganten" von 1999.

Mittwoch, Juli 26, 2006

Geld mit nichts in der Mitte

Warum gibt es Münzen mit Loch in der Mitte ?
  • Damit man sein Kleingeld als Kette um den Hals tragen kann, ähnlich den Geldschnüren aus Kaurischnecken
  • Um die Nichtigkeit allen monetären Besitzes zu zeigen
  • Um Touristen zu erfreuen
  • Um die Phantasie anzuregen
  • Um als Unterlegscheibe bei Fahrradreparaturen immer schnell zur Hand zu sein
  • Um als Glücksbringer in Portemonnais zu landen

Liegt hierin der eigentlich Grund warum die Dänen den Euro abgelehnt haben ?

Dienstag, Juli 25, 2006

An der Sonne drehen

30 Grad im Schatten. Die Sonne brennt erbarmungslos auf die Kleinstadt Saalfelden. Wie ein Heizstrahler, gegen Rheuma eingesetzt. Philipp denkt sich "es reicht". Wenn Mutti keine Rückenschmerzen mehr hat, stellt sie den Heizstrahler wieder ab. Und die Erde hat sicher keine Rückenschmerzen mehr, es ist ja auch nicht Winter. Da bedeckt Schnee die hohen Gipfel und unzählige Skifahrer rasen wie Ungeziefer über die Bergrücken.
Es ist Zeit die Sonne schwächer zu stellen. Aber wo ist der Schalter ? Im Sachkundeunterricht hat er nichts darüber gelernt. Und seine Lehrerin Frau Haug mag seine vielen Fragen nicht. Er hat schon bemerkt - sie weiß wirklich nicht viel !
Aber im Rathaus, da werden die wichtigen Dinge entschieden. Hat Frau Haug gesagt. Also bestimmen die auch das Wetter.
Kurzentschlossen macht sich Philipp auf den Weg. Erwachsene geben höflichen Kindern gerne Auskunft, daher findet Philipp ohne Probleme den Weg zum malerischen Rathaus.
Er schleicht etwas durch die Gänge, bis ihn ein vorbeikommender Angestellter anspricht: "Suchst Du Deine Mami ?".
Philipp schluckt seinen Ärger über diese lächerliche Anrede herunter und sagt "ich möchte wissen wo der Bürgermeister entscheidet".
"Dann zeige ich Dir den Sitzungssaal" antwortet der Angestellte, geht mit Philipp in das nächste Stockwerk und führt ihn in den kleinen Sitzungsraum.
Philipp erkennt sofort den prominenten Sitzplatz und nimmt darauf Platz. Hinter ihm an der Wand ist eine Schaltkonsole mit Digitalanzeige. An einem Drehknopf steht Saalbeleuchtung. Philipp strahlt. Eine Beschriftung "Saalfeldenbeleuchtung" hätte da einfach nicht mehr hingepasst. Er dreht vorsichtig. Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne.

Montag, Juli 24, 2006

Ein Sommerabend auf dem Balkon

Das Licht schlängelt sich um die Dächer. Vögel ganz hoch am Himmel. Mauersegler, keine Schwalben sagte ein Bekannter. Abendkühle ist zu ahnen.
Peter Licht singt "dann werden wir eben siegen" in meinem Wohnzimmer. In der Ferne das Rauschen der Großstadtadern.
Eine entspannte Ruhe hat sich über den Stadtteil gelegt. Hat auch mich erreicht.
Ich zähle die Kirchtürme in meinem Blickfeld. Eins, zwei, drei, vier. Die Augen streichen über die Innenstadt bis zu den Hügeln. Der Blick geht viel weiter.
Ein Schluck Rotwein. Der herbe Geschmack eines ganzen Lebensgefühls.
Euphorische Melancholie ? Sehnsüchtige Entspannung ?
Kein Gedanke. Eher ein Gefühl das sich kristallisiert. Ich gebe ihm Zeit.

Sonntag, Juli 23, 2006

Lieder bewahren Ideen

Die Nacht neigt sich ihrem Ende zu. DJ Twinset gähnt und schaut sich im Club um. Am Tresen hängen noch zwei Stammkunden die aber nie Probleme machten wenn Sie zum Gehen aufgefordert werden. Die anderen hatte er mit einer dafür gedachten schrägen Musikauswahl erfolgreich zum Verlassen des Clubs gebracht, oder sie waren den Aufforderungen der Bedienungen nachgekommen. Jetzt spielt er noch den Diggers Song von Chumbawamba, direkt nach dem Lied vom Ende des Kapitalismus von Peter Licht. Man könnte meinen er wäre Kommunist, oder Anhänger einer sonstigen alternativen Wirtschaftsform zum Kapitalismus. Aber damit kannte er sich nicht aus, sein Betriebswirtschaftsstudium war in diesem Sinne wie das Studium der katholischen Theologie -studieren um dem Herr, in seinem Fall dem Kapital zu dienen. Abweichende Geisteshaltungen sind per se falsch und von den Studenten abzulehnen.
Die Idee des Kommunismus findet DJ Twinset gut, aber andererseits hat er einen überdurchschnittlichen Lebensstandard, den ihm die ganzen gutverdienenden Gäste des Clubs finanzieren. Diese waren bereit Wucherpreise für kleine Flaschen eines durch Werbung und nicht durch Geschmack auffallendes Bieres zu zahlen.
Gerade als das Lied ausklingt und DJ Twinset beginnt die Anlage abzuschalten stürmt eine Gruppe von Menschen in das Club die offensichtlicht von einem Mittelalterfest stammen. Sie sehen aus wie Bauern, tragen realsitisch verdreckte und abgenutzte Kleidung. Die Bedienung versucht sie vergeblich zum Gehen zu bewegen. Einer aus ihrer Mitte tritt zu DJ Twinset und spricht ihn an. Erst hat er Probleme sie zu verstehen, dann bemerkt er dass sie ein ziemlich altertümliches Englisch sprechen. Der Sprecher der Gruppe ist ganz euphorisch dass ihre Bewegung wieder Fürsprecher hat, und die ganze Gruppe stimmt ihrerseits lauthals den Diggers Song an. Dann fragen Sie DJ Twinset wo es Brachland gäbe auf dem sie sich niederlassen könnten und wieder beginnen friedlich ohne Einfluss von Religion und politischer Herrschaft zu leben.
DJ Twinset ist ganz realistisch. Das können nicht die Digger von 1650 sein sagt er sich. Aber es könnte trotzdem interessant werden. Und er erklärt sich bereit die Gruppe zum Stadtpark zu führen.

Samstag, Juli 22, 2006

Eine Mohnblume macht schon einen Sommer

Die Hauptverkehrsstrasse durchschneidet die Stadt wie ein reissender Fluss, der nur an wenigen Stellen überquert werden kann. Inmitten dieser gefährlichen stählernen Strömung lagen verkehrsumtoste Inseln, auf denen sich die Natur zu behaupten versucht.
Frau Rauhnagel überquerte die sechs Fahrspuren auf ihrem Weg zur Arbeit. Obwohl sie nur leicht bekleidet war - ihre männlichen Kollegen in langen Hosen und durch Krawatten eingeschnürte Hälsen beneideten sie täglich - war ihr schon viel zu heiß. Als sie die erste Hälfte des asphaltierten Stromes überquert hat fiel ihr Blick auf den schmalen Grünstreifen - durch die Sonne ausgedorrt und von Staub überzogen war er eher graugelb als grün. Und in der Mitte sieht sie eine Blume. Zwar etwas verschrumpelt, auch staubig, aber eindeutig eine rote Blume.
Dieses Bild verläßt sie den ganzen Tag nicht. Und daher rüstete sie sich vor dem Heimgehen mit passendem Büromaterial aus und ohne genau zu wissen warum sie es tut gräbt sie auf dem Heimweg mit Schere und Lineal die Pflanze aus, die sie von Nahem als Mohnblume erkennt. Und zuhause pflanzt sie diese Blume in einen schönen Topf, nachdem sie die Pflanze vorsichtig abgeduscht und gepflegt hat.
In der Nacht träumt sie einen sehr realistischen Traum: Sie wacht auf und geht ins Wohnzimmer um etwas zu trinken. Dort steht ein Mann in schwarz-weiss, den sie von ihrem Ausstellungsbesucht sofort als Claude Monet erkennt, an einer Staffelei und malt. Er schaut die Mohnblume in ihrem Topf konzentriert an und malt sie dann ab, und das tut er immer wieder und fügt so eine Mohnblume an die andere, und hat schon einen ansehnlichen Teil des Mohnfeldes gemalt. Und die in blau-weiß an Wolken am Himmel erinnernde Glasur des Topfes findet sich als Himmel auf dem Gemälde wieder.
Als Monet Frau Rauhnagel erblickt drückt er ihr einen Sonnenschirm in die Hand und bitten sie für ihn Modell zu stehen - was sie natürlich gerne tat.
Als sie am nächsten Morgen aufwacht geht sie als erstes ins Wohnzimmer, begrüßt die Mohnblume und sucht in ihrem Monet-Bildband das Bild Mohnfeld bei Argenteuil. Sie setzt sich ans Fenster und studiert im Morgenlicht die Figur der Frau mit dem Sonnenschirm.

Freitag, Juli 14, 2006

Gedanken materialisieren lassen - ein Versuch bis 21. Juli

Dieser Blog macht die nächste Sommerpause.

You've got to take the moon from the trees

Herr Tschirner hatte es geschafft. Jeden Tag auf der morgendlichen Runde zur kleinen Grünfläche am naheliegenden Platz hatte er mit Geduld geübt, "den Kopf gerader halten. Nein, nicht nach darüber schauen !". Er hatte viele Samstagnachmittage auf dem staubigen Übungsplatz verbracht. Und das Gehen im Kreis geübt. Und jetzt war er - genaugenommen aber sein Rauhhaardackel "Robert und Grant" - Stadtteilmeister.
Aber er fühlte sich nicht besser. Eher war ihm ein Ziel verloren gegangen. Das zwar immer unwichtiger geworden war je näher der entscheidende Termin näher gerückt ist. Aber es war ein Ziel gewesen. Und Robert und Grant hatte ihm nicht ihm Stich gelassen. Weil er wusste dass es für Herrn Tschirner wichtig gewesen ist.
Er nahm Robert und Grant auf den Schoß. Wegen des Namens hat er viel Spott über sich ergehen lassen. Aber die zwei Teile machten erst das ganze Bild aus. Extravagant und ganz normal. Verzweifelt und romantisch. Oscar Wilde und E.M. Forster. Dandy und Lad.
Er blickte aus dem Fenster. Auf dem Balkon gegenüber saß eine Frau im Sommerkleid und las ein Buch. Die kannte er jetzt schon länger vom Sehen.
Robert und Grant schaute ihn an. Herr Tschirner wusste was er vermitteln wollte, was ihm seine beiden Teile jetzt einhellig rieten.

Grant McLennan, neben Robert Forster einer der beiden Sänger/Songwriter der wunderbaren Go-Betweens ist am 6. Mai verstorben. Noch 2005 haben Sie mit der CD "Oceans Apart" begeistert. Ich habe sie vor etwas über einem Jahr zuletzt live gesehen. Das war - wie ihre vielen anderen Konzerte - wieder wunderbar gewesen..
Die Überschrift ist dem Lied "Easy Come, easy go" aus dem Solo-Albums Watershed von G.W.McLennan entnommen..

Donnerstag, Juli 13, 2006

Zeitmähnagement

"Wo bekomme ich Karten für die Fußball-WM" fragte das Schaf den Touristen der gerade über den Damm geschlendert war. Der Tourist schaute das Schaf entgeistert an - nicht weil es ihn angeredet hat, denn er hatte schon immer vermutet dass die Tiere einfach nur keine Lust haben mit Menschen zu reden - sondern weil er nicht verstehen konnte wie wenig man von den wirklich wichtigen Dingen wissen kann. "Sie sind zu spät dran. Die WM ist am Sonntag zuende gegangen. Jetzt müssen Sie sehr enttäuscht sein." antwortete er mitfühlend.
"Aber nein" meinte das Schaf. "Ich hatte nur Lust etwas ungewöhnliches zu tun. Vielleicht fahre ich auch zu den Salzburger Festspielen und schaue mir den Jedermann an."
Der Tourist verstand das Schaf nicht, die WM war doch das wichtigste Ereignis seit Jahren gewesen, und wer ist Jedermann ?
"Ich muss weiter" meinte er nur schnell.
Das Schaf wiederkäute wieder vor sich hin, schaute dem Touristen nach und dachte sich dass es wirklich nach Salzburg sollte. Aber das kann es ja morgen entscheiden. Oder übermorgen. Das Schaf ging gemütlich in Richtung Damm, legte sich auf die höchste Stelle und beobachtete die Wellen. Hauptsache man weiss was man will. Jetzt im Moment, und nicht für irgendwann später.

Mittwoch, Juli 12, 2006

Ich träume Dir ein Leben

Sie sitzt mir gegenüber in der S-Bahn. Ein hell-rötlicher Typ aber ohne Sommersprossen, Ende zwanzig, die Haare zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden. Bekleidet mit weißem Top, halblanger Sporthose und Turnschuhen. Auf dem Schoß ein Rucksack der ihren Arbeitgeber verrät. Das macht es einfach. Eine Irin, die bei der irischen Niederlassung dieser Computerfirma mit den zwei Buchstaben gearbeitet hat, und dann schweren Herzens wegen der Karrierechancen nach Deutschland gewechselt ist. Wenn sie joggen geht versucht sie sich in ihrer Vorstellung an die Küstenwegen zu versetzen, auf denen sie als Jugendliche immer gelaufen ist wenn Sie etwas zu verarbeiten hatte.
Um den Hals eine schmale Silberkette mit fünf kleinen Sternenanhängern. An einem etwas weiteren schwarzen Lederband hängt außerdem ein Delphin aus leicht transparentem Stein. Am rechten Handgelenk eine silberne Uhr im modernen Design. Am Ringfinger der linken Hand eine massiver zweireifiger Silberring. Sie stammt also von einer kleinen Insel im Nordwesten Irlands, ist sehr naturverbunden aufgewachsen und hat ihre spirituelle Ader nicht vernachlässigt. Äußerlich passt sie in das Großstadtleben, aber innerlich fühlt sie sich hier nicht zuhause.
Außerdem gibt es dort die zurückgelassene Jugendliebe, die sie inzwischen als Liebe ihres Lebens erkannt hat.
Sie ließt konzentriert in einem Buch: Kiana Davenport, Gesang der verlorenen Frauen. Sie hat eine sehr romantische, gefühlsbetonte Ader und wird in Kürze ihrem Impuls folgen: Alles stehen und liegen lassen, auf die kleine Insel zu ihrer Familie zurückkehren um sich selber wieder näher zu sein, und dann um ihre Jugendliebe kämpfen.

Ihr Handy klingelt. Die romantische Irin unterhält sich in breitem Schwäbisch.
Aber wieso sollte Sie nicht schwäbisch können ?

Dienstag, Juli 11, 2006

Der Ältestenrat tagt

Es musste wieder ein Thema von globaler Bedeutung geklärt werden. Vogelgrippe. Wie soll weiter vorgegangen werden, was muss vor Beginn des nächsten Vogelzugs getan werden.
Lucca war als erster da - wie immer, ihm gehörte auch das Lokal, und er wohnte im ersten Stock des gleichen Hauses. Giovanni kam kurz danach, bekam sofort seinen Espresso hingestellt. Stefano verpasste trotz kürzlicher Hüftoperation diesen täglichen Termin nie - in den Marmorwerken hatte er während der 40 Jahre schliesslich auch keinen Tag wegen Krankheit gefehlt. Mit der Zeit kamen die übrigen Stammgäste dazu. Die Karten wurden ausgepackt, es ging los.
Zwischendurch musste Lucca Kunden bedienen, schließlich war dies gleichzeitig der Supermarkt, die Eisdiele und für sich in dieses kleine Dorf verirrende Touristen die Informationsstelle.
Nach einem langen Tag lauter und engagierter Diskussionen, spannender Spiele und entspanntem Abwartens verstreuten sich die Männer in Erwartung eines guten Abendessens. Die Vogelgrippe ? Heute hatte es wichtigeres zu bereden gegeben. Vielleicht morgen, vielleicht auch nie.
Lucca schenkt sich etwas Landwein ein und schaut erwartungsvoll in Richtung Küche, aus der Guilia mit der Vorspeise auftaucht.

Freitag, Juni 30, 2006

Meditation unter Schafen bis 8. Juli

mache ich nicht, auch keinen WM-Endspurt, weder Körpergrillurlaub noch Kulturrallye. Dennoch bin ich eine Woche im Urlaub und werde den Blog erst wieder am 8.Juli öffnen. Es sei denn ein Internet-Café stellt sich mir in den Weg...

Mäh ! Ein philosophisches Traktat.


Quelle: inkognito. Im Schreibwarengeschäft Ihres Vertrauens

Donnerstag, Juni 29, 2006

Unterweg

Wer nicht weiß wohin er will
kann trotzdem ankommen

Wern nicht weiß woher er kommt
kann trotzdem Heimweh haben

Wer stehenbleibt
kann trotzdem vorankommen

Aber wer nicht sucht
wird selten finden

Mittwoch, Juni 28, 2006

Selbsterkenntnis mit Problembär

Herr Beinbacher hatte es akzeptiert. Es gehört zu seinem Beruf sich von seinen Kunden duzen und mit dem Vornamen anreden zu lassen. "Stefan, die Dauerwelle machst Du mir diesmal aber etwas lockerer, ja ?". Wieviele Friseure bekommen eigentlich Magengeschwüre weil sie alles devot und mit einem Scherz auf den Lippen akzeptieren müssen ?
Und dann die Gespräche ! Über den Metzger, Victoria Beckham, den unmöglichen Deutschlehrer der begabten Tochter, Frau Merkels Frisur, Klimawandel oder Günther Jauch - er hatte gelernt seine Meinung anzupassen und den Kunden recht zu geben. Aber wenn es um seine innersten Überzeugungen ging war er zu keinen Kompromissen bereit.
"Gut dass sie endlich dieses gefährliche Vieh getötet haben !" meint die Frau der er gerade Strähnchen färbt. Seine Gesichtszüge entgleiten ihm. Er nimmt den Haarschneider, meint nur "ich muss noch mal nachschneiden", und macht sich an die Arbeit. Dann platzt er heraus: "Das war ein wunderbares Tier ! Reden Sie bitte mit mehr Respekt von ihm. Und das war Mord !".
Die Frau ist völlig konsterniert und widerspricht "aber so ein Bär ist doch gefährlich. Und was machst Du da überhaupt ?".
Herr Beinbacher ist völlig in seinem Element, färbt gerade mit grüner Farbe auf ihrem Kopf herum und ruft: "Wer den Tod von Bruno befürwortet will auch Menschen töten die illegal über die Grenze kommen !".
Die Kundin springt auf und betrachet sich fassungslos im Spiegel. Von vorne gesehen hat sie weiterhin ihre schulterlange Frisur, aber die Haare am Hinterkopf sind auf wenige Milimeter geschoren, und in Grün sind die Worte "Achtung Rassist" eingefärbt. Ihr kullern erste Tränen über die Wangen, aber ihre Wut ist stärker und sie schreit den im Moment selbstzufriedenen Friseur an: "Wer ungebeten Haare abschneidet unterstützt auch Organraub in Entwicklungsländern".
Herr Beinbacher ist sprachlos. Da hat ihn jemand mit seiner Spezialwaffe, den übertriebenen Gleichnissen geschlagen. Und je mehr er darüber nachdenkt desto weniger kann er widersprechen.
Mit einer schwarz gefärbten Kurzhaarfrisur rettet er das Seelenheil seiner Kundin. Und beschliesst an seinem eigenen zu arbeiten. Nichtsdestotrotz hängt er die in der Mittagspause erworbene Bruno-Fahne ins Schaufenster.

Dienstag, Juni 27, 2006

Die Wettervorhersage: Im Süden Deutschlands Pastis

Das Thermometer steigt unentwegt. Natürlich nicht das Thermometer sondern die Quecksilbersäule. Die natürlich nicht aus Quecksilber sondern aus gefärbtem Alkohol besteht. Genaugenommen steigt aufgrund der volumenmässigen Ausdehnung der Flüssigkeit das obere Ende der Alkoholsäule, also die Oberfläche. Bei einer Flüssigkeit nennt man die Spiegel. Kurz gesagt: Der Alkoholspiegel steigt. Die Temperatur wird nun an einer Skala für die Höhe des Spiegels gemessen. Im Fachterminus ist das also der Alkoholpegel.
Bei Temperaturen über 30 Grad herrscht Hochalkohol. Nicht zu verwechseln mit Hochprozentigem.

Montag, Juni 26, 2006

Bedrohte Tierarten (Teil 2): Der Eiskaffeebär

Nicht einmal vielen Tierfreunden ist dieser sympathische Pelzträger aus der Familie der Bären (ursidae) bekannt: Der Eiskaffeebär (ursus glacies) wird wegen seiner braunen Färbung oft mit Braunbären oder anderen Verwandten verwechselt. Diese Art hat aber viele Besonderheiten die ihn zu einem sehr interessanten Vertreter seiner Familie machen.
Das Verbreitungsgebiet des Eiskaffeebären ist Mittel-, Süd- und Osteuropa. Wie seine anderen europäischen Verwandten lebt er nur noch in wenigen Rückzugsgebieten und ist durch die weitere Ausbreitung des Tourismus und fortlaufenden Zersiedelung der Landschaft in seiner Existenz bedroht. Der Eiskaffeebär hält einen sehr langen Winterschlaf, der von November bis April andauert, und aus dem er nur alle vier Wochen zur Nahrungsaufnahme erwacht. Um für diese lange Ruhephase gerüstet zu sein muss sich dieses Tier einen sehr großen und kalorienreichen Nahrungsvorrat ansammeln sowie sich selber einen ausreichenden Winterspeck anfressen. Kurz vor Beginn des Winterschlafs torkeln die Eiskaffeebären wegen ihrer bis dahin erworbenen enormen Korperfülle und dem fast auf dem Boden schleifenden Bauch nur noch sehr unbeholfen voran. Um den hohen Kalorienbedarf decken zu können hat sich der Eiskaffebär auf Honig und Zuckerrüben spezialisiert. Durch den zunehmenden Kontakt mit den Menschen hat er auch Geschmack an Backwaren und insbesondere an Eis gefunden. In abseits gelegenen slowenischen Dörfern sind im Sommer von diesen Bären geplünderte Tiefkühltruhen an der Tagesordnung. Es wurde auch schon über das Eindringen von ganzen Bärenfanilien in Supermärkte und das komplette Verzerren sowie Abtransportieren der dortigen Eis- und Tiefkühltortenvorräte berichtet.
Ihren Namen haben diese geschmackssicheren Bären wegen einer anderen Vorliebe bekommen: Die Eiskaffeebären lieben auch Kaffee. Vom Kaffeegeruch angezogen versuchen sie mit großer Hingabe und Ausdauer die Quelle dieser Wohlgerüche zu erreichen. In den Verbreitungsgebieten der Eiskaffeebären wird daher eindringlich vor der Zubereitung von Kaffee in Zelten, Wohnmobilen und auch in Ferienwohnungen gewarnt. Nach langem Kaffeeentzug werden die Bären auch von Instant-Kaffee angelockt.
Da der Kaffee natürlich zu heiss für Bären ist haben sie eine spezielle Technik entwickelt: Sie bringen etwas von dem in tiefen Erdhöhlen gelagerten oder frisch beschafften Speiseeis mit und schütten den Kaffee auf das Eis, um dann das gut temperierte Gemisch zu verspeisen. Verschiedene Forscher sind der Meinung das der Eiskaffee von einem italienischen Gastronom erfunden wurde, der von den damals noch in den Apenninen vorkommenden Eiskaffeebären inspiriert worden ist.
Der Eiskaffeebär stellt somit eine wissenschaftlich sehr interessante Art dar, die sich auf faszinierende Weise von ihrem Geschmack und ihren Vorlieben leiten lässt. Er hat sich in seiner Wachphase gut dem veränderten Lebensraum angepasst, wegen der zunehmenden Störung in der Ruhephase ist sein Fortbestand allerdings fraglich.
Wer jemals eine schon gut genährte Bärenfamilie durch ein Eiskaffee hat torkeln sehen und gerade den putzigen kugelrunden Jungbären beim Verzehr des Eis zugeschaut hat, über das ihre Mutter die aus der Vorratskammer geholten Kaffebohnen streut, wird verstehen, dass die EU zum Schutz dieser Tierart eine grössere Summe bereitgestellt hat.

Donnerstag, Juni 22, 2006

Kleines Sommerloch bis einschliesslich 25.6.

Schon wieder legt dieser Blog eine diesmal angekündigte Pause ein. Weitere werden folgen...

Das Schreiben und das Lesen

Der Füller senkt sich auf das Papier. Die Spitze berührt die aus der Nähe betrachtet gar nicht mehr glatte Oberfläche. Die Hand erhöht den Druck. Die zwei spiegelsymmetrischen Teile der Feder spreizen sich leicht. Übereifrige Papierfasern beginnen an der Tinte zu saugen. Langsam beginnt der blaue Strom zu fließen. Während die Hand des Schriftstellers den Füller für das letzte Wort des Romans über das Papier führt.
Wolken.
Der Füller seufzt tief. Schon lange hat ihn keines seiner Werke so berührt. Er läßt sich nun gerne den Deckel aufsetzen und auf die Schreibtischunterlage legen. Durch das Fenster blickt er den Himmel an. Bücher können Leben ändern. Jetzt spürt er es.

Mittwoch, Juni 21, 2006

Die Macht des geschriebenen Wortes

"Nur was in der Zeitung steht ist wirklich passiert" hatte sich der Baumeister Sepp am Stammtisch ereifert. "Oder was im Fernsehen gezeigt wird" hatte der Gschwendner Michi ergänzt. Umd dem Baumeister Sepp sein bester Freund, der Xaver, fasste es treffend zusammen: "Unser Projekt wird nie bekannt, wenn wir es nicht in unseren Stadtnachrichten unterbringen".
Dieses hatte der Alois, dem Wirt sein Bub, genau gehört, während er am Nachbartisch seine Hausaufgaben machte. Und so nahm er sich am nächsten Morgen die Zeitung und begann mit seiner krakeligen Erstklässerschrift alles über das Projekt auf die Zeitung zu schreiben was er verstanden hatte: "Der Bichler Toni war ein guter Mensch. Der Xaver sagt immer ich werde wohl mal so wie der. Daher muss er einen Brunnen bekommen.".
Und Alois wusste dann als einziger in der Kleinstadt wieso der Gemeinderat in seiner nächsten Sitzung überraschend Geld für einen Brunnen zu Ehren des berüchtigten Schwarzbrenners Toni Bichler bereitstellte, der beharrlich allen königlichen Anordnungen getrotzt und mehrere Jahre wegen Wilderei und anderer Vergehen im Gefängnis gesessen war.
Und die Stadt bekam ihre fünf Minuten im Rampenlicht, RTL, Sat1 und alle anderen filmten den Stammtisch mit Maßkrügen und Schweinsbraten, da die sonst dort auch zu findenden Salate oder Apfelschorle nicht zur eigentlichen Botschaft dieser Sender über ein hinterwäldlerisches Dorf in Bayern passten. Das nahmen die Freunde aber hin, schließlich hatten sie sich dafür gut von den Sendern bezahlen lassen. Sie planten bereits das nächste Projekt das sie mit diesem Geldsegen finanzieren wollten.

Dienstag, Juni 20, 2006

Lasst uns die Weltuhr bremsen

Manchmal ging es Herrn Kämmerle einfach zu schnell. War die Welt wirklich so schnelllebig geworden ? Er setzte sich auf die Bank an der Bushaltestelle und schnaufte tief durch. War er vielleicht einfach langsamer geworden ? Aber dieses Gefühl hatte er nicht. Hat sich dann seine Zeit von der Welt abgekoppelt ? Das muss es sein ! Bei der Geburt ist die Zeit jedes Menschen mit der Weltzeit synchronisiert. Und dann läuft die Uhr eines jeden Menschen, gesteuert durch die biologischen Vorgänge im Körper. Oder doch eher durch die seelischen ? Herr Kämmerle konnte sich an Zeiten zurückerinnern, wo ihm die Weltuhr zu langsam ging, wo er immer mehrere Schritte voraus war. Damals als er nach dem Krieg seine Firma gegründet hat, sich mit Behörden herumschlagen musste. Aber jetzt war seine Uhr durch das Alter gebremst. Oder durch seine Erfahrung. Oder seine Lebensweisheit.
Aber ist das wirklich so ? Seine Uhr geht eindeutig langsamer als die der restlichen Welt. Zumindest des Teils der Welt der den Grundrythmus vorgibt. Aber wer bestimmte das eigentlich ? Gibt es diese Weltzeituhr wirklich ? Warum haben die Schnellen eigentlich immer recht ? Doch nur weil sich die Menschen mit den langsameren Uhren im Unrecht fühlen, sich im Hintergrund halten. Aber dafür gibt es doch eigentlich keinen Grund. Die Weltzeituhr existiert nicht, sie ist der Durchschnitt aller Uhren. Da kann man also korrigierend eingreifen.
Und Herr Kämmerle durchströmte wieder dieses Gefühl eine Aufgabe zu haben, etwas anpacken zu müssen. Am Anfang von etwas großartigem zu sehen. Er stand auf, umfasste fest seinen Spazierstock und begann langsam die vierspurige Strasse zu überqueren. Während er den Verkehr auf dem City-Ring kurzzeitig zum Erliegen brachte glaubte er es schon zu spüren: Die Weltuhr war kurz aus dem Takt geraten.

Montag, Juni 19, 2006

Sind die Angestellten Opportunisten bleibt Schneewittchen zuhause

"Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land" fragt die Königin ihren Spiegel.
"Das ist wieder eine zu unpräzise Frage ! Nach welchen Maßstäben schön, Ihre Majestät ?"
"Nach Schönheit natürlich" fährt die Königin den Spiegel an. "Und ihre Ausdrucksweise empfinde ich als unbotsmäßig."
Dieser seufzt tief. Warum muss er ausgerechnet in diesem Ankleidezimmer hängen. "Schönheit ist zutiefst subjektiv und vom kulturellen Umfeld geprägt. Denken Sie an die fülligen Frauen bei Rubens, tellergrosse Lippen bei einem afrikanischem Stamm oder Piercings, meine verehrte Königin."
"Ich meine natürlich den aktuellen hier gültigen Maßstab".
Der Spiegel überlegt wie er diese Diskussion möglichst schnell beenden kann. "Claudia Schiffer" antwortet er, obwohl er nicht verstehen kann was an der so besonders sein soll.
"Das klang aber nicht so überzeugt" hakt die Königin ein.
"Es ist ja auch nicht meine persönliche Meinung gefragt, sondern die allgemeine" erwidert der Spiegel.
"Und Deine persönliche Meinung ?"
"Emannuelle Béart" seufzt der Spiegel und beginnt kaum wahrnehmbar heller zu reflektieren, fast von alleine zu leuchten.
"Gut" sagt die Königin die sich nicht anmerken lassen will dass ihr dieser Name gar nichts sagt. "Und wer ist die Klügste ?"
"Das sind natürlich Sie" strahlt sie der Spiegel an, denn er weiss was von ihm verlangt wird, und für was er bezahlt wird.

Montag, Juni 12, 2006

Ampeltherapie

Frau Schillinger klopft nervös mit den Händen auf das Lenkrad. Sie ist mal wieder spät dran. Heute muss Sie noch in fünf weiteren Supermärkten bei den Marktleitern für die streichfähige Rauchwurst werben. "Eckersmühler Räuchermett. Eine Spezialität aus der Pfalz. Nach altem Rezept hergestellt, jetzt zusätzlich mit Altyzell Plus für die perfekte Haut. Wir werben für dieses Produkt ab Mittwoch bei Wer wird Millionär, Sie können sich also auf einen Kundenansturm einstellen" zwitschert sie ihren Rückspiegel an. "Ich hasse es" bricht es da aus ihr heraus, und sie brüllt Richtung Ampel: "Jetzt werde endlich Grün, Du tyrannische Missgeburt !". Die Ampel wechselt die Farbe, aber nicht etwa auf grün. Vielmehr wandelt sich das Rot in ein Blau, die Ampel räuspert sich vernehmlich, beugt sich zum Corsa von Frau Schillinger herunter, blickt sie durch die Windschutzscheibe an und erwidert betont langsam: "Ich mache hier eine tadellose Arbeit. Wenn ich nicht wäre, gäbe es endlose Blockaden oder sogar Unfälle. Das ist Dienstleistung. Und außerdem bin ich eine nagelneue LED-Ampel, ich gehöre also zur Elite". Frau Schillinger läßt ihrer Wut freien Lauf und verschwendet daher keinen Gedanken daran wieso eine Ampel mir ihr diskutiert. "Sie stehen hier den ganzen Tag herum und machen einen auf bunte Lichtchen. Aber ich stehe unter Druck ! Ich muss Bestellungen für mindestens 1000 Räuchermett aufnehmen, sonst bin ich meinen Job los. Also machen Sie endlich Grün !" "Wenn Sie ihre Kunden auch so anschreien werden Sie keine Wurst verkaufen." bemerkt die Ampel und wechselt zurück zu Rot. "Jetzt schauen Sie mich mal genau an, und atmen Sie tief durch. Eins und Zwei und Eins und Zwei". Und die Ampel beginnt hypnotische Farbwechsel anzuzeigen, mit kurz eingeblendeten Botschaften wie "Ruhe" oder "langsamer Herzschlag". Frau Schillinger sinkt in den Sitz zurück, die Atmung wird ruhiger, der ganze Körper entkrampft sich. "Und jetzt versuchen Sie es mal einfach mit Ruhe" rät ihr die Ampel und zeigt ihr ein grünes Lächeln.
Als Frau Schillinger einen Monat später als Vertreterin des Monats bei der Heinz Kammermann Nahrungsmittel GmbH & Co KG ausgezeichnet wird weiß nur Sie dass ihr Ampelmännchen T-Shirt nichts mit Ostalgie zu tun hat.

Sonntag, Juni 11, 2006

Vollmond

Der Mond scheint hell über der Stadt. Eine Sommernacht. Der Himmel ist absolut wolkenlos, selbst von der Stadt aus sind vereinzelte Sterne zu erkennen. Ich stehe auf dem Balkon und lasse meinen Blick über die vereinzelt noch erleuchteten Fenster der Nachbarhäuser gleiten, über die Hügel die die Stadt umgeben und wie eine Modellbahn-Landschaft mit Häusern übersät sind. Auf der engen Straße fährt ein einsamer Radfahrer die leichte Steigung hoch. Sonst herrscht Ruhe, nur in der Entfernung ist das vereinzelte Brummen von Autos zu hören.
Ich blicke zum Mond auf. Der alte Weise hat schon viel gesehen und erlebt. Aber unerschütterlich erscheint er immer wieder. Er müsste mir eigentlich weiterhelfen können. Bei den richtig großen Fragen. Ich schaue ihn fragend an.

Donnerstag, Juni 08, 2006

Das wortkarge Handy

Stefan klickte sich durch das Menü seines Handy während er durch die Fußgängerzone schlendert. Kurz überlegte er wie dieses Telefon wohl heißen könnte, schließlich stammt es aus Finnland. Finnland - da drängt sich ihm sofort der Name Matti Pellonpää auf. Sein Handy als Reinkarnation dieses wunderbaren Schauspielers. "Ich darf Dich doch sicher duzen, Matti" flüstert Stefan und ist beim Menüeintrag "Persönlichkeit aktivieren" gelandet. Denn hatte er zuvor noch nie gesehen. Er wählt den Punkt mit Ok an.
Wenig später klingelt sein Handy mit einem schwermütigen Tango - Stefan braucht lange um zu kapieren dass sein Handy diese Melodie von sich gibt. Er nimmt den Anruf eines Freundes entgegen, nach kurzer Zeit bricht das Gespräch ab, das Display zeigt die Meldung "maximale Wortanzahl überschritten" um dann nur noch sehr langsam auf Tastendrücke zu reagieren. Stefan sucht irritiert einen Handyladen auf, in der Fußgängerzone ist der nächste Laden zum Glück nie weit entfernt. Auf seine Frage nach der Persönlichkeits-Einstellung erntet er nur fragende Blicke, und er kann den Menüpunkt auch nach verzweifeltem Durchklicken nicht mehr wiederfinden.
Nach einer Woche mit dem seltsam transformierten Handy wird ihm langsam klar: Durch die Taufe und der so aktivierten Reinkarnation hat sich sein Handy in eine von Matti Pellonpää gespielte Figur aus einem Kaurismäki-Film verwandelt.

Die beste Nachricht vom Festival aus Cannes: Aki Kaurismäki hat seinen neuen Film "Lights in the Dusk" vorgestellt.

Mittwoch, Juni 07, 2006

Sein Name sei Sir Einzelfall

Die Mutter hält erschöpft aber freudestrahlend ihren neugeborenen Sohn in den Armen, der Vater hat inzwischen wieder etwas Farbe im Gesicht und flüstert mit verkrampftem Lächeln: "Da ist er also, unser Hahde Tefau".
"Was soll das denn für ein Name sein" empört sich die Krankenschwester. "Wie wäre es denn mit Empedrei oder Bete Faube ?"
"Wir haben uns in der Fernsehabteilung vom Mediamarkt kennengelernt, und in der Nacht ist es dann schon passiert" verteidigt sich der Vater.
"Wollen Sie Ihr Kind nicht vielleicht lieber nach einem Menschen nennen den sie sehr schätzen ?" schlägt der Arzt vor während er nochmal den Puls der Mutter misst.
"Pilawa" strahlt die Mutter. "Kaiser" widerspricht der Vater.
"'Mein Gott" empört sich die resolute Schwester. "Wollten Sie mit so einem Namen herumlaufen ? Können Sie nicht einfach einen echten Vornamen nehmen, egal welchen ?"
"Irgendeinen Namen ! Unser Kind ist etwas ganz besonderes. Er ist einmalig."
"Gut" mischt sich der Arzt wieder ein. "Dann bleiben wir doch bei den besonderen Menschen. Überlegen Sie doch mal welchen Menschen sie als Glücksfall empfinden".
"Madame Einzelfall ! Diese Mischung aus universeller kultureller Bildung alteuropäischer Prägung, Weltläufigkeit, gleichzeitig immer am Puls der Zeit, ein starker Charakter, kombiniert mit Humor, Phantasie, Lebendigkeit und überwältigender Ausstrahlung" sinniert der Vater.
"Genau ! So soll unser Sohn werden. Um das werde ich mich bei der Erziehung bemühen. Daher müssen wir ihn Sir Einzelfall nennen" pflichtet die Mutter bei.
"Das ist der postnatale Stress. Das ist ja schlimmer als alle bisherigen Vorschläge" ereifert sich die Krankenschwester.
"Was halten Sie von Thomas" schiebt der Arzt vorsichtig ein.
Der Vater ergreift stolz die Hand seiner Frau. "Es steht fest. Unser Sohn wird auf Sir Einzelfall getauft werden".

Dienstag, Juni 06, 2006

Erst Autos zerknüllen, dann die Weltherrschaft

Jeden Morgen stand Dr. jur. Matrin Streiter an der Fußgängerampel und wartete auf Grün, um dann seinen Weg zur Kanzlei fortsetzen zu können. Normalerweise gingen ihm jetzt kurz nach dem gemeinsamen Frühstück mit seiner Frau und seinen beiden Kindern bereits die anstehenden Fälle des Tages durch den Kopf, er formulierte erste Plädoyers.
Aber gestern war er im Kino gewesen, in X-Men 3. Das darf er natürlich keinem seiner Kollegen verraten. Ein Film ohne Logik und tieferem Sinn. Aber gerade dadurch so unterhaltsam.
Schnell trat er bei Rot auf die Fahrbahn, blickte streng in Richtung des sich hupend nähernden Fahrzeugs und versuchte mit ausladenden Armbewegungen das Auto durch seine Magnetkräfte wie ein Blatt Papier zu zerknüllen. Als das Auto mit quietschenden Reifen dauerhupend vor ihm stehenblieb rief er laut: Mit meinen Kräften werde ich alles aufhalten !
Da wurde es Grün, die Fußgänger gingen kopfschüttelnd und mit abschätzigen Blicken an ihm vorbei, der Autofahrer überhäufte ihn durch das heruntergelassene Fenster mit nicht druckreifen Ausdrücken. Dr. jur. Martin Streiter setzte seinen Weg in die Kanzlei fort. Wehe dem der ihm heute auf seinem langen Weg zur Weltherrschaft in die Quere kommt !

Montag, Juni 05, 2006

Wochenend und Melodeien...

Hinter mir liegt ein musikerfülltes Wochenende bei Rock im Park. Breiten wir den Mantel des wohlwollenden Schweigens über Dixi-Klos, besoffene Jugendliche, Müllberge und ähnliches. Denn was zählt ist etwas ganz anders.

  • Mein Höhepunkt
    Ich habe die Smiths erst mit ihrem letzten Album 1987 kennengelernt, und bin seitdem zu einem Verehren dieser Gruppe sowie ihres Sängers Morrissey geworden, der nach dem Ende der Smiths inzwischen circa 8 Tonträger veröffentlicht hat. Und diese lebende Legende habe ich jetzt das erstemal live gesehen ! Leider nur eine Stunde, aber für mich ein großartiges Konzerterlebnis. Tolle Musik, umwerfendes Charisma, und 3 Smiths-Songs.
  • Genial wie erwartet
    Hierunter fällt das Konzert von Depeche Mode, die wenig (ur)altes spielten, sowie Tomte zu denen ich mich bekenne.
  • Entdeckungen
    Das interessante an Festivals ist es ja für einen unbekannte Gruppen zu entdecken. Favorit unter den Neuentdeckungen sind die Dresden Dolls, ein Schlagzeuger und eine Sängerin am (digitalen) Klavier, die mit ihrem eigenen Stil nicht nur mich sondern das ganze Publikum begeistert haben. Dann das geniale Kaizers Orchestra mit witziger Bühnenshow und mitreissender Musik (auf Norwegisch). Und die Babyshambles sind trotz etwas verwirrt wirkendem Sänger und dem ganzen Medienrummel um seine Drogensucht (und vor allem die Beziehung zu Kate Moss) eine sehr gute Liveband.
  • Neu und interessant
    Gute Konzerte boten die Gruppen Kaiser Chiefs, The Editors, Juliette & The Licks (Juliette Lewis aus z.B. Gilbert Grape), The Streets, Keane, Art Brut, ...
  • Durchschnitt bis Enttäuschung
    Die Sportfreunde Stiller habe ich schon besser erlebt, und Placebo boten wieder eine gute Show und tollen Sound, haben mich dieses Mal irgendwie nicht so mitgerissen. Von Franz Ferdinand war ich eher enttäuscht. Ist aber auch nicht ganz mein Geschmack. Auch die aktuelle Musik der Mod-Legende Paul Weller war nicht so mein Fall.
  • Nicht gesehen
    Es war viel für harte Jungs (und Mädels) geboten: Tool, Korn, Metallica und andere die aber nicht in meinen Musikgeschmack passen und an deren Stelle ich lieber unbekanntereGruppen angehört habe.

Im ganzen ein wunderbares Pfingsten mit einigen musikalischen Neuentdeckungen.

Donnerstag, Juni 01, 2006

Die Farbfee ist im Ruhestand

Die Farbfee wippte zufrieden in ihrem Schaukelstuhl und zog die Wolldecke dicht um sich. Ihr Lebenwerk war schon lange vollbracht. Als sie vor 150 Jahren damit anfing der Welt bunte Farberlebnisse zu schenken gab es viel zu tun. Die beginnende Industrialisierung brachte das Grau in die Welt, das Entfärben ganzer Landstriche.
Da fing sie an bei Arbeiterfamilien aufzutauchen. Mit bunten Tüchern, einzelnen hervorgezauberten Blumen oder einem bunten Spielzeug brachte sie Farbe und Freude in das Leben. Und mir der Zeit lernten die Menschen das Bunte wieder zu schätzen und sorgten selber für immer mehr Farbe, ihre Auftritte wurden nicht mehr geschätzt.
Natürlich gab es immer wieder Sonderfälle. Auf ihre alten Tage hatte die Fee im Osten Deutschland nochmal so richtig viel Arbeit um ganze entfärbte Landstriche wieder zu beleben und mit der Farbe Hoffnung zu geben.
Aber jetzt war nicht mehr viel zu tun. Es gab nicht mehr genug Arbeit für eine Vollzeitstelle als Farbfee, das Einfärben hatte die Duftfee mit übernommen, und die war ja mit ihrer eigentlichen Aufgabe völlig überlastet. Die konnte mit einzelnen duftenden Blumen oder einem frischen Luftzug noch ganz einfach glückliche Gesichter zaubern.
Die Farbfee seufzte und schwelgte weiter in ihrem Bildband über englische Gärten. Das war immer ihr Hobby gewesen - und die Chelsea Flower Show ist eine einzige Hommage an ihr Lebenswerk.

Dienstag, Mai 30, 2006

Der Chronist von Fürstenzell

Der Chronist schob den nun leeren Teller zur Seite, schlug das große, in Schweinsleder gebundene Buch auf und zückte seinen Füller. Das Pärchen am Nebentisch des Cafés musterte ihn unverhohlen. Das war er gewohnt. Er hatte sich bewußt gegen einen Laptop und für die traditionelle Ausrüstung entschieden.

Montag 29.05.06
Im Café Gantheimer gibt es wieder Linzer Torte. Heute ist sie besonders gut gelungen. Nicht dass sie sonst nicht schon hervorragend wäre. Aber heute ist sie ein Traum. Die perfekte Kreation. Womit hier festzuhalten bleibt: Die beste Linzer Torte der Weltgeschichte habe ich gerade gegessen.


Der Chronist blickt aus dem Fenster. Er beobachtet.

Heute kommt der Postbote sehr früh vorbei. Er strahlt über das ganze Gesicht.

Am Nachmittag wird er noch die Tischkarten für eine Hochzeit schreiben. Kalligraphie war seine zweite Leidenschaft, und diese brachte ihm auch noch das nötige Geld für Linzer Torte und andere Annehmlichkeiten.

Fluffi rennt den Bürgersteig entlang und zieht seine Leine hinter sich her. Seine zwei kleinen Besitzer laufen johlend hinterher.

Agnes stellt ihm unaufgefordert einen neuen Milchkaffee hin. Er strahlt sie an: "Heute lohnt es sich wieder besonder zu leben".


Der Chronist hätte auch seinen Platz im wunderbaren Dokumentarfilm "Gernstls Reisen - Auf der Suche nach dem Glück" verdient gehabt.

Montag, Mai 29, 2006

Prinzessin Ling trifft einen Freier

Prinzessin Ling versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Sie hatte mit großem Bedauern auf ihre prachtvolle Kleidung verzichtet und sich unauffällig gekleidet - Jeans nach aktueller Mode, flache Schuhe, unauffällige Bluse, und hatte auch ihren umfangreichen Silberschmuck abgelegt. Nur ihre Frisur, zwei lange geflochtene Zöpfe und eine Silberspange mit Sternmotiv im Haar hoben sie von den sonstigen Fahrgästen ab.
Aber das Erlebnis einer S-Bahnfahrt in einer deutschen Großstadt verunsicherte sie sehr. Sie überlegte kurz an der nächsten Station auszusteigen, ihre Träger anzurufen und sich bis zum Lokal tragen zu lassen. Aber so viel hatte sie von Europa schon verstanden um zu wissen dass es ein enormes Aufsehen erregen würde vor dem Szenelokal aus ihrer Sänfte zu entsteigen. Also musste sie durchhalten. Verstohlen ließ sie ihre Blicke schweifen: Anzugträger die Unterlagen studierten, Mütter mit quengelnden Kindern, Jugendliche mit seltsamen gegelten Frisuren, alte Omas mit Stock - so verschiedene Menschen in einem Verkehrsmittel. Eigentlich interessanter als in ihrer Sänfte.
Aber ganz sicher fühlte sie sich immer noch nicht. Tarnung hin oder her - sie zog die Perlenkette mit dem großen Jadeanhänger aus der Handtasche und legte sie um. Dann strich sie mit dem Zeigefinger über den Stein und murmelte eine Beschwörung ihres Ahnen, der diesen Stein vor über 1000 Jahren einem Drachen entrissen hatte um damit einer Prinzessin, und damit ihrer Urahnin, der sie übrigens sehr ähnlich sieht, den Hof zu machen. Sofort fühlte sie sich mutig und der Situation gewachsen.
Jetzt wird sie gleich den jungen Mann treffen den sie bei der Eröffnung der Chinesischen Filmtage kennengelernt hat. Mal sehen welchen Gefahren dieser getrotzt hat um sie zu beeindrucken.

Samstag, Mai 27, 2006

Auf nach Rimini

Natürlich hatte er sich das genau überlegt. Exakt durchgeplant. Durch Computersimulation überprüft. Dabei auch mögliche Varianten durchgespielt. Mit Hilfe der Chaostheorie Überraschungen den Schneid genommen. Was sollte die Frage "wissen Sie was Sie da machen" ?
Er hatte seinen VW-Transporter auf dem Schloßplatz abgestellt, seine im Garten gebaute Intrakontinentalrakete abgeladen und sich darangeschnallt. Gerade ging er mit dem Laptop die letzten Startvorbereitungen durch.
"Gehen Sie von dem Gerät weg" forderten ihn die Polizisten auf. Er mußte Sie nur noch 20 Sekunden hinhalten, der Countdown lief bereits. Das Ferienquartier in Rimini war gebucht, die Zielkoordinaten auf dem Strand nahe seiner Lieblingsbar eingegeben - und dank seiner Selbstbaurakete blieb ihm endlich die ewige Autofahrt erspart.
Zündung. Die Polizisten rannten davon und duckten sich hinter einer Parkbank. Langsam hob die Rakete ab.

Lundi wird mit der Realität konfrontiert

Nachdem mein Blog über ein halbes Jahr friedlich und ungestört prosperieren konnte, tauchen die ersten nichtsagenden (wenigstens vom Inhalt nicht fragwürdigen) Kommentare mit Links auf.
This is the end of Unschuld (frei nach you have to win Zweikampf von den Sportfreunden Stiller), ich habe daher die Wortbestätigung aktiviert...

Freitag, Mai 26, 2006

Mohnstriezel

Die Auswahl war gross. Zu gross. Florentiner. Apfeltaschen. Rosinenschnecken. Nußecken. Puddingbrezeln. Erich Lotzing ließ seinen Blick die Glastheke entlanggleiten - erst die oberste Etage, dann die darunter. Und da war er: Schlesischer Mohnstrudel !
Das Herz begann zu rasen. Er bestellte ein Stück - "bitte nicht einpacken" - und begann auf das köstlichst duftende Gebäck mit seinem inzwischen fast ausgestorbenen schlesischen Dialekt einzureden.
"Was machen Sie da" fragte die Verkäuferin den sehr rüstig wirkeden elegant gekleideten älteren Herren interessiert. "Ich beschwöre den guten Geist der Mohnstriezel, um mit ihm nochmal die gute alte Zeit aufleben zu lassen, aber es gelingt einfach nicht." Und auf den fragenden Blick der Verkäuferin hin ergänzte Herr Lotzing "vor der Flucht - da war ich sieben Jahre alt - habe ich mir immer ein Stück Mohnstriezel aus der Bäckerei geholt und mit dem Geist alles wichtige besprochen".
Die Verkäuferin war in diesem lebenswerten Stadtteil exzentrische Kunden gewöhnt und versuchte zu helfen: "Das ist Mohnstrudel nach schlesischem Rezept, aber in Baden-Württemberg von einem urschwäbischen Bäcker hergestellt. Fahren Sie doch mal nach Polen und beschwören einen echten Mohnstriezel !". "Nach Polen ?" Die Gesichtszüge von Herrn Lotzing verhärteten.
"Ja ! Das ist jetzt EU, also ganz einfach zu machen. Die Polen sind nett und hilfsbereit, es gibt auch Städtereisen zu buchen".
"Und Sie meinen da gelingt es mir den Geist der Mohnstriezel wieder zu finden ?"
"Ja" erwiderte die Verkäuferin und fügte in Gedanken hinzu: "Und Ihre Kindheit wird für Sie dort auch ohne den Geist wieder lebendig werden."

Donnerstag, Mai 25, 2006

Kluntje-Auftürmen is coming home

Auf diesen Termin hat das ganze Dorf schon lange hingefiebert: Der offizielle Kluntje-Auftürm-Worldcup 2006 findet bei ihnen statt, im Heimatort dieses anspruchsvollen Sports, der Schnelligkeit, Geschicklichkeit und schnelle Auffassungsgabe vereint.
Auch ohne einen Blick in die Annalen weiß man noch genau wo und wann diese Sportart erfunden wurde: Am 20. November 1954 in einer ungemütlichen, nasskalten Nacht bei Bauer Piet in der Stube bei dampfenden, wohlriechendem Tee am Kachelofen. Aus den Kluntje einen Turm zu bauen, dabei aber immer nur ein Stück auf ein anderes zu legen, und in 10 Sekunden möglichst hoch hinaus zu kommen - eine wahre Herausforderung.
Der Sport hat sich erstaunlicherweise nie außerhalb des Dorfes halten können. Nichtsdestotrotz hat Metzgermeister Jan die Bürgermeisterwahl 1998 mit dem Versprechen gewonnen die Gründung eines Kluntje-Aufturm-Weltverband zu forcieren und auf eine Weltmeisterschaft hinzuarbeiten. Und jetzt war es also soweit: Die erste Kluntje-Auftürm-Weltmeisterschaft findet im Juni 2006 statt.
Der Weltverband hat 500 Mitglieder - fast das ganze Dorf sowie etliche aus der Ortschaft und teils sogar aus Ostfriesland ausgewanderte ehemalige Dorfbewohner. Und bei der Weltmeisterschaft wird es sogar einen ausländischen Teilnehmer geben: Tyärk, den Sohn von Bauer Markolf, der bei seinem Studium in Oldenburg eine Österreicherin kennengelernt hat und nun mit ihr und nach langem Zögern angenommener österreichischer Staatsbürgerschaft im Salzkammergut lebt.
Natürlich wird man im Dorf im Juni auch Fußball schauen und mit der deutschen Mannschaft mitfiebern - aber nur wenn kein Kluntje-Aufturm-Match stattfindet, das an Dramatik und Unterhaltung jedes Fußballspiel in den Schatten stellt.

Papageientaucher sitzt im Wohnzimmer und schaut über die Stadt

Es ist vollbracht ! Wirklich alles aus der alten Wohnung ist in der neuen Bleibe (oder auf dem Sperrmüll) gelandet. Natürlich hat die Wohnung im Moment etwas sehr chaotisches an sich - aber sie ist schon benutzbar.

Nun kann ich im Wohnzimmer sitzen, den Blick über die Dächer der Stadt und auf die Hügel schweifen lassen und mir vorstellen ich säße auf einem Hügel am Meer.

Da sich Arcor für einen Umzug 4 Wochen Zeit ausbedingt bin ich in nächster Zeit noch ohne Internet (und Festnetzanschluß) zuhause. Daher beim Bloggen behindert - ich werde aber mein Bestes tun !

Freitag, Mai 19, 2006

Peter Licht(gestalt) bei König Harald

Kurz vor dem Umzug noch auf einem Seminar gewesen. Gestern Abends im Hotelzimmer noch schnell den Fernseher angeschaltet. Es laufen die letzten 5 Minuten des von Madame Einzelfall so hoch verehrten Herrn Schmidt. Und dieser kündigt einen Gast an: Peter Licht ! Dieser Musiker der uns vor ein paar Jahren den (Insider-) Sommerhit "Sonnendeck" bescherte und nun eine CD und ein Buch mit den Titeln "Wir werden siegen ! Buch / Lieder vom Ende des Kapitalismus" veröffentlicht hat. Und so erscholl in der Sendung von Harald Schmidt das "Lied vom Ende des Kapitalismus" mit der Textzeile "der Kapitalismus, der alte Schlawiner, ist uns lange genug auf der Tasche gelegen". Großartig !
Dafür alleine muss man Harald Schmidt mögen.

Dienstag, Mai 16, 2006

Warum ist der Pazifik nur so groß ?

Gott war müde. Furchtbar müde. Er sehnte sich nach seinem weichen Bett. Vielleicht noch seine aktuelle Bettlektüre in die Hand nehmen, aber nach spätestens einer halben Seite würde er eingeschlafen sein.
Aber er musste noch den letzten Kontinent formen. Er hatte sich in verschiedene Kunsttheorien eingearbeitet, hatte es auch mit Le Corbusier versucht, hielt sich dann aber doch mehr an sein Gefühl.
Langsam fielen ihm die Augen zu. Erde rieselte zwischen seinen Fingern auf die große Wasserfläche auf der noch unbearbeiteten Seite der Kugel und formte winzige Inseln. Gott schreckte auf. Nein, jetzt schaffte er keinen Kontinent mehr, diese große Wasserfläche wird einfach ein riesiges Meer bleiben. Er muss jetzt dringend schlafen, denn der Projektplan für den nächsten Tag war auch sehr voll.
Gott begab sich in sein Badezimmer und wusch sich die Erde von den Händen. Und der Pazifische Ozean blieb entgegen dem göttlichen Projektplan bis auf die unzähligen kleinen Inseln eine leere Fläche.

Montag, Mai 15, 2006

Die grössten Plagen: Umzug bis 22.5.

Es gibt so manche Dinge die man seinen schlimmsten Feinden nicht wünschen sollte: Lepra, Tinnitus, Einkaufen am Samstag Nachmittag oder Umzug. Ich weiss nicht ob mir jemand Umzug gewünscht hat - ich stecke aber gerade mittendrin. Und im Chaos zwischen Kartons und abgebauten Möbeln fehlt dann etwas die Motivation und die Kreativität sich an seinen Blog zu setzen.

Eventuelle Zwischenbeiträge sind nicht ausgeschlossen - ansonsten geht es hoffentlich in etwas über einer Woche in gewohnter Manier weiter.

Freitag, Mai 12, 2006

Parole Potemkin

Wenn man jeden Tag im Büro verbringt um seinen Lebensunterhalt zu verdienen kommt einem diese Tätigkeit normal vor, man denkt selten darüber nach mit was man sich da die Zeit vertreibt. Sehr erfrischend ist es da die Aussensicht einer nicht im "normalen" Arbeitsleben befindlichen Person zu erfahren.
Hier Ausschnitte aus dem Lied "Büro, Büro" aus der neuen CD "Das schöne Leben" von Britta:

Andere spielen Büro, Büro
Projekt-Projekte sowieso
Und sie rennen rum
Und raus kommt doch nur
Smoke on the water, Baby

...

Andere spielen Büro, Büro
Projekt-Projekte sowieso
decken sich mit Arbeit ein
Die es gar nicht gibt
Parole Potemkin, Baby

Donnerstag, Mai 11, 2006

Hauptfriedhof 2 Minuten

U2 Hauptfriedhof 2 Minuten stand auf der Leuchttafel, die man am Bahnsteig montiert hatte. Frau Bertelsacker erstarrte. Sie war zwar schon 75 Jahr alt, aber immer noch sehr rüstig, nur etwas vergeßlich, und freute sich schon sehr auf ihr erstes Urenkelkind das in einer Woche geboren werden sollte. Und jetzt soll sie in 2 Minuten auf den Friedhof ?
Frau Bertelsacker war nicht dumm. Sie hatte zwar nicht studiert, was zu ihrer Zeit für Frauen auch eher unüblich war, hätte aber durchaus die Eignung für ein Jura-Studium gehabt, was sie ihrem mittlerweile verstorbenem Mann, einem Rechtsanwalt, immer wieder eindrucksvoll bewiesen hatte. Ihr war also durchaus klar dass dies eine Anzeige der nächsten U-Bahn war. Aber sie glaubte auch an Zeichen.
U2 Hauptfriedhof 1 Minute. Sie begann zu überlegen ob sie so aus dem Leben scheiden will. Da war noch die Sache mit ihrer alten Freundin Jutta die sie unbedingt ausräumen wollte, sie war schon öfters kurz davor gewesen, hatte im letzten Moment dann aber irgendetwas anderes gesagt. Und ihr Enkel Kevin. Dem war sie solange mit ihrer politischen Meinung auf den Geist gegangen bis der sich geweigert hatte weiter mir ihr zu sprechen. Das war vor 10 Jahre gewesen.
U2 Hauptfriedhof 0 Minuten. Die U-Bahn fährt ein, Türen öffnen sich, Leute steigen ein und aus, und Frau Bertelsacker mustert sie. Ein korrekt gekleideter alter Herr mir Stock, ein Junge mit diesen seltsam heruntergerutschten Hosen und einer Kappe, ein sportlich gekleidete Frau mit dreirädigem Kinderwagen - sie hat aufgehört sich über die neuen Entwicklungen zu wundern und das Alte zu loben, sie fand sie vielmehr spannend und war froh noch soviele Dinge erleben zu können.
U2 Hauptfriedhof 9 Minuten. Die U-Bahn war abgefahren, und Frau Bertelsacker lebte immer noch. Sie betrachtete dieses Erlebnis aber als strenge Warnung, zog ihren Terminkalender aus der Handtasche und notierte in Sütterlinschrift für den nächsten Tag: Jutta besuchen. Kevin anrufen.

Mittwoch, Mai 10, 2006

Lass uns Wolken angeln gehen

Wie jeden Morgen kurz nach Öffnung des Fernsehturms fand sich Herr Pletzka auf der obersten Aussichtsplattform ein. Im goldgelben Licht der aufgehenden Sonne steckte er seine Angel zusammen, bestückte den Haken mit frisch gepflückten Wiesenblumen und warf die Angel aus. Der Himmel sah vielversprechend aus, leichte weiße Schleier waren auf dem blauen Hintergrund zu sehen, aber auch ein paar Schäfchenwolken. Jetzt konnte er wieder in Ruhe seiner Passion nachgehen. Bevor die nächsten Besucher eintreffen muss er schnell wieder seine Ausrüstung zusammenpacken um nicht bei seiner sicherlich nicht gestatteten Beschäftigung ertappt zu werden.
Er liebte diese morgendliche Stille hoch über der Stadt, den weiten Ausblick über das von hier völlig erstarrt wirkende Land, diese Möglichkeit der Meditation und des Begreifens. Bisher war es ihm noch nicht gelungen eine Schäfchenwolke zu angeln. Aber er wusste eines Tages würde er diesen großen Fang machen, der Schäfchenwolke in seinem Garten ein neues Zuhause geben und den großen Traum seines Anglerlebens verwirklicht haben.

Dienstag, Mai 09, 2006

Der Sturz ins Nirvana

So sieht also das große Nichts aus denkt sich der Wassertropfen und klammert sich am Rand des Wasserhahns fest. Gerade ist er erst geboren worden, und schon wird er mit dem Absoluten konfrontiert. Ganz unten ist eine glatte spiegelnde Oberfläche zu sehen, gleißendes Licht zeigt rundherum eine dezent graue Welt. Bei angestrengtem Starren glaubt der Tropfen ein weißes gekreuztes Linienmuster zu erkennen - ist das Ende der Welt eine in graue Rechtecke unterteilte Fläche ?
Er spürt seine Kräfte schwinden, und egal ob die Spezialisten das Adhesion, Oberflächenspannung oder anders nennen würden, er weiß dass er sich nicht mehr lange halten kann, und sein noch ganz junges Leben nach einem kurzen wachen Augenblick wieder zuende gehen wird. Da unten wartet das Nirvana auf ihn, das Auflösen in der Gesamtheit, das Einswerden mit den anderen vormaligen Wassertropfen, die den selben Weg genommen haben wie er. Er saugt nochmal alle Eindrücke dieser fremden Umgebung in sich auf und lässt los.

Montag, Mai 08, 2006

Wann kann ich endlich intellektuelle Sätze bilden und dadurch glänzen ?


Ein typisches Pollesch-Stück, zur Zeit im Stuttgarter Schauspielhaus zu bewundern. Die im gutbürgerlichen Theater üblichen Gewohnheiten werden teils gebrochen - so befindet sich die Bühne neben den Sitzreihen, die Schauspieler spielen teils hinter einer nur etwas durchsichtigen Plastikwand, dann ist das Geschehen auf einer großen Leinwand auf der eigentlichen Bühne zu bewundern, und die Souffleuse läuft immer mit den Schauspielern mit, und wird auch öfters mal angebrüllt ("was sollen immer diese Überleitungen ?" oder "Sie dürfen mir nicht helfen").
Ansonsten die üblichen etwas schwer verständlichen Texte, ab und zu schreiende Schauspieler, absurde und komische Zwischeneinlagen - aber zwischendrin ist ein tieferer Sinn zu entdecken. Und die Schauspieler machen das Stück zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Nikki Sudden

In einem kürzlichen Beitrag habe ich mich an das Nikki Sudden - Universum erinnert, an ein Konzert von Nikki Sudden das ich Ende 2005 besucht habe - und an seinen Bruder Epic Soundtrack, der vor 9 Jahren gestorben ist. Erst jetzt habe ich erfahren dass Nikki Sudden neun Tage nach meinem Beitrag im Alter von 49 Jahren in New York gestorben ist.
Ein schönes Nachruf ist u.a. in der Spex zu finden.

Freitag, Mai 05, 2006

Wenn Buchstaben schreien könnten

Der Regisseur Thomas Polpe saß lässig im Straßencafé, das Moleskin-Notizbuch auf das rechte Bein gelegt, welches er am gegenüber stehenden Stuhl abstützte. Das Seidenhemd tief aufgeknöpft schob er die Sonnenbrille ins Haar - er hatte das Gefühl mit Sonnenbrille erkannte ihn niemand. Er nahm einen Schluck aus seinem Milchkaffee - er hatte genug Stil um nicht etwa Latte Macchiato zu bestellen und lächelte die Frau am Nebentisch an, die ihn eher an eine überdekorierte Schaufensterpuppe erinnerte - aber er hatte ja einen Ruf zu bewahren. Er spielte mit seinem Stift und sinnierte über seine Arbeit.
Wenn er sich eine Szene überlegte, diese niederschrieb und wieder durchlas, dann klang das so langweilig. Und auch fünf Sätze Regieanweisungen vor einem einzigen gesprochenen Satz konnten das nicht erläutern. Er las die letzten Sätze auf der Seite nochmal durch: "Mein Leben besteht nur aus dem was andere in mir sehen. Ich existiere nur als Ware in einem globalisierten Austausch von Sinnesausdrücken. Wo bleibt da mein Gefühl ? Mein Leben besteht nur als Bilanz von Transaktionen. Wenn ich nicht mehr gehandelt werde bin ich tot. Wer bin überhaupt Ich ?". Irgendwie fade und unverständlich. Er hielt das Moleskin-Buch an sein Ohr. Wenn die Buchstaben die Texte flüstern, schreien, seufzen könnten, dann wär das Schreiben nicht der Tod des Theaters.
Er knallte das Notizbuch auf den Tisch, sprang auf und sprach die Nachbarin am Nebentisch mit in der Satzmitte und am Satzende überschnappender Stimme an: "Mein Leben besteht nur aus dem was andere in mir sehen. Ich existiere nur als Ware in einem globalisierten Austausch von Sinnesausdrücken.". Er beugte sich über ihren Tisch und schrie der sich erschrocken zurücklehnenden Frau mit feuchter Aussprache ins Gesicht: "Wo bleibt da mein Gefühl ?". Daraufhin schüttete er sich ihren Latte Macchiato über den Kopf.
Passanten waren mitten in der Bewegung erstarrt, eine Mutter zog ihr Kind schnell weiter. Thomas Polpe setzte sich ruhig wieder an seinen Platz und atmete durch. Der Text war wunderbar. Wenn Buchstaben schreien könnten würde man das auch beim Lesen verstehen.

Donnerstag, Mai 04, 2006

Nicht das Leben, nur noch das Projekt des Lebens

Ein Tourist auf der Suche nach spektakulären Fotomotiven stößt im Norden von Indien auf ein malerisches Kloster. Es liegt sehr romantisch in einem Tal und ist gut erhalten. Der Tourist füllt fleißig die Speicherkarte seiner Digitalkamera.
Im Inneren des Klosters trifft er einen alten Mönch an. Dieser verkündet ihm der Heilige des ewigen Tals zu sein und ihm seine tiefsten Fragen zu beantworten. "Dann sagen Sie mir, wie bekomme ich Sie hier im Tempelinneren am besten ins Bild ? Und wie kann ich die Glitzereffekte auf dieser goldbestäubten Figur festhalten ?" eröffnet ihm der Tourist seine brennendsten Fragen. Dem Mönch fallen trotz jahrelanger Meditation etwas die Gesichtszüge zusammen, dann faßt er sich aber wieder und ergänzt: "Ich meine Fragen mit andauernder Bedeutung für das Leben". "Wieviel Megapixel braucht man für professionelle Aufnahmen im DIN A 4 Format ?".
Der Mönch bekommt einen Hustenanfall, fängt sich und spricht: "Du bist offensichtlich von der Weisheit weit entfernt und führst ein gänzlich leeres Leben. Hast Du zum Beispiel schon mal etwas von Der Weg ist das Ziel gehört ?". Der Tourist starrt den Mönche mit großen Augen an: "Der Weg ist das Ziel ? Das gilt wohl nur für Bauarbeiter die einen bestimmten Weg aufgraben oder neu teeren sollen und deswegen zu diesem Weg fahren. Alle anderen benutzen diesen Weg nur um an ihr Ziel zu gelangen."
Der Mönch sammelt seine letzten Zen-Reserven und startet einen verzweifeltes letztes Kommandounternehmen: "Das ist gerade der Fehler, nur auf ein fernes Ziel fixiert zu sein und dabei...". "Ziele sind das A und O" fällt ihm der Tourist ins Wort. "Die Weisheit fehlt wohl eher ihnen, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Sie haben ja gar keine Ahnung von Projektmanagement."
Entrüstet weist ihn der Mönch vor die Tür. "Kein Wunder dass die Welt vor die Hunde geht" denkt er sich, "wenn die Menschen nur noch in Management-Kategorien denken und ihr Seelenheil verkümmern lassen. Sie leben nicht mehr ihr Leben, sondern nur noch das Projekt ihres Lebens". Der Tourist ist froh etwas über die fernöstlichen Religionen gelernt zu haben. "Kein Wunder dass die Religionen aussterben, wenn sie nicht die grundlegendsten Projekt-Management Regeln befolgen !"

Dienstag, Mai 02, 2006

Lethargie im Nordatlantik

Dem Kapitän war langweilig. Wieder eine Atlantik-Überquerung. Vergnügungssüchtige Passagiere, jeden Abend Kapitäns-Dinner, belanglose Konversation, von alleinreisenden Frauen zum Tanz aufgefordert werden, die Nacht mit manchen von ihnen verbringen.
Tagsüber auf der Brücke stolzieren, einen Blick auf den Kurs werfen, den ersten Offizier loben. Nichts kann ihn aus seiner Lethargie wecken. Alles ist unbedeutend, die Zeit fliesst dahin ohne dass irgendetwas passiert.
Auch der Anblick von Eisbergen löst bei ihm keine Begeisterung mehr wie bei den Passagieren aus, und der große Eisberg direkt vor dem Schiff lässt ihn auch gleichgültig. Als das Schiff frontal den Eisberg rammt beobachtet er das plötzlich entstehende Getümmel von der Brücke: So wie wenn man aus Langeweile mit einem Stock in einen Ameisenhaufen sticht.
Ein aufmunternder Blick zum ersten Offizier der den Notfallplan ausarbeitet ist alles was von ihm verlangt war. Er steigt die Brücke hinab, krempelt die Hosenbeine hoch und geht über das schon leicht unter Wasser stehende Deck. Das Leben ödet ihn an. Für was lebt man wenn nie etwas von Bedeutung geschieht ? Und als er dann schliesslich im eiskalten Wasser schwimmt denkt er dass ihm Schwimmen schon als Kind zu gleichförmig war.
Die Leiche des Kapitäns sowie der meisten anderen Passagiere wird nie gefunden werden.